Göhlberge Göhlberge: Verborgene Paradiese

Hier haben die Nummern an den Grundstückseinfahrten fünf Stellen. So etwas, verrät das Internet, ist üblich an der Miami Avenue oder an anderen Straßen amerikanischer Städte, in Deutschland sind Hausnummern höchstens dreistellig. Und so steht denn auch an einem der Tore „Hacienta“, über ein anderes spannt sich der Schriftzug „Flamingo-Road“. Doch wir sind nicht in Florida, wir sind in den Freyburger Göhlbergen. Die verborgenen Paradiese hinter den hohen Hecken haben höchstens einen steinernen Flamingo am Gartenteich mit den Sunshine State gemeinsam. Doch auch hier grünt der Rasen, dass es eine Freude ist, und Blumen in mit Sorgfalt angelegten Beeten entfalten Farbenpracht. Hier hat sich mancher einen ganz privaten Rückzugsort geschaffen.
Entstanden in den 1970ern
Die Wochenendhaussiedlung im Wald der Neuen Göhle ist in den 1970er Jahren entstanden. Damals kauften sich Bewohner der Plattenbausiedlungen im nahen Industriegebiet um Merseburg hier Grundstücke, errichteten darauf ihre Datschen. Die Originale, meist des Typs, wie sie damals in Ziegelroda gefertigt worden waren, sind kaum noch zu besichtigen. Über die Jahre wurde erneuert, aus- und umgebaut. Die Gebäude haben Bestandsschutz, Neubau hingegen ist hier, im Außenbereich und Landschaftsschutzgebiet, nicht möglich. So nach und nach hat in den vergangenen 20 Jahren unter den „Datschniki“ ein Generationswechsel stattgefunden. Jüngere Leute sind hierher gezogen. Mancher sucht und findet hier auch ein Paradies für seine Kinder.
Nun im Schweden-Look
Nach einem solchen hat auch Toni Ehret gesucht. Der Freyburger, der aus Schleberoda stammt, kennt die Siedlung aus der Zeit, in der er hier entlang mit dem Fahrrad gen’ Freyburg fuhr. „Im Internet habe ich erfahren, dass ein Bungalow zum Verkauf steht, ich wollte ihn unbedingt haben.“ Nun bauen die Ehrets Stück für Stück um. Das Spielhaus im Garten steht schon mal. Viel bleibt noch zu tun. Und auch wenn ihr Bungalow inzwischen mehr an Schweden erinnert, als an die Datsche, mit der der Vorbesitzer sein Fernweh dämpfte - die Aufschrift „Hacienta“ will Toni Ehret am Zaun lassen, sozusagen als kleine Reminiszenz an die ersten Siedler in der Göhle.
Zu den Alteingesessenen hier gehört Joachim Bunk alias Drehorgel-Mucki. Auch der Merseburger war Mitte der 1970er auf der Suche nach einem Wochenendgrundstück und streifte durch das Neue Göhle genannte Waldstück. An der Hangkante, dort wo man aufs Zeuchfelder Tal und die Marienberge in Freyburg blickt, hielt er inne. „Hier ist es schön, hier will ich bauen“, hat er sich gesagt. Das Grundstück am Hang stand sogar zum Verkauf. 3 000 Quadratmeter groß. So viel Land durfte einer zu DDR-Zeiten nicht kaufen. Also haben sich Datschniki zusammengetan und jeder hat ein Fleckchen in der zulässigen Größe erworben, schildert Bunk. Auch das Häuschen sollte besonders sein, erinnert er sich. Eine Finnhütte, wie er sie an der Ostsee gesehen hatte und im „Guten Rat“. Sie hat die Zeiten überstanden, auch einen Blitzeinschlag vor zwei Jahren in die Eiche daneben. Gebrannt hat nur der Baum, doch Dach und Elektrik waren hinüber.
Inzwischen ist’s repariert. Traudel Bunk ist gerade mit dem Frühjahrsputz beschäftigt, wienert die Fenster. Nein, so will sie nicht aufs Foto. Von nebenan, von der „Flamingo-Road“, schaut Angelika Cuta übern Gartenzaun. Auch die Cutas, die damals ebenfalls in Merseburg wohnten, gehören zu den Pionieren der Göhlberge-Siedlung. Nun, im Ruhestand, haben sie ihren Hauptwohnsitz nach Freyburg verlegt.
„Es gibt durchaus Nachfrage“
Ständig präsent ist Dieter Cuta oft Ansprechpartner, wenn hier einer ein Häuschen sucht. „Es gibt da Nachfrage“, weiß Cuta.
Der „Göhlberger“ gehörte mit Arno Günther, einem Freyburger, der hier ebenfalls sein Häuschen hat, zu jenen, die in den 1990er Jahren dafür gesorgt haben, dass die Straße am Berg eine Schwarzdecke bekommt. Die Stadt hat sich sogar finanziell beteiligt, was heute undenkbar wäre. Den großen Rest der Baukosten aber haben die Bewohner selbst aufgebracht. Für den Winterdienst auf der Zufahrtsstraße sind die Anwohner ebenfalls selbst zuständig, die Stadt, so Cuta, stellt Streugut bereit. Und auch heute noch ist, wenn es um Infrastruktur geht, Gemeinsinn gefragt. Vor zwei Jahren mussten Stränge der Wasserversorgung ausgewechselt werden. Kein Fall für den öffentlichen Versorger. Fast alle Anlieger haben selbst angepackt, schildert Horst Kreßner, der sich damals den Hut für einen Abschnitt aufgesetzt hatte. Nun wird erneut zu einem Arbeitseinsatz aufgerufen, um den Weg wieder herzurichten.
Im Übrigen: Es ist vor allem die erste Generation der Wochenend-Siedler, die auskunftsbereit ist. Neusiedler sind mitunter zurückhaltender. Auch das Naumburger Ehepaar, dass Anfang der 1990er hier einen Bungalow erworben hat, bittet um Verständnis: „Es muss niemand wissen, dass wir hier ein Grundstück haben!“
Es wird aufgerebt
Zu den Häusern, die am längsten in den Göhlbergen stehen, gehört das von Angelika und Hans-Jochim Tuma. Anfang der 1990er hat der heutige Ruhestandsbeamte das Haus von seinen Eltern übernommen, und dann auch seinen Hauptwohnsitz nach Freyburg verlegt. Die Eltern hatten es 1959 gekauft. Ein Wohnhaus, so hat er herausgefunden, war dieses Haus schon 1927.
Tuma, mit 68 einer der älteren Jungwinzer an Saale-Unstrut, hat 2010 vorm Haus aufgerebt. 600 Stöcke, für 400 weitere hat er die Rebrechte beantragt. Weinberge, so hat Tuma, inzwischen Vorsitzender der Naumburger Weinbaugesellschaft, herausgefunden, gab es in den Göhlbergen schon im 15. Jahrhundert.
Im Übrigen gehören die Tumas hier zu den Exoten: Sie haben nämlich eine der wenigen einstelligen Hausnummern. „Die fünfstelligen“, so klärt er auf, „sind keine Hausnummern, das sind die Grundsteuernummern“.