Glauben Glauben : Ein Haus für die Gemeinde in Naumburg

Naumburg - Tausende Autofahrer passieren täglich die Baustelle an der Weißenfelser Straße, quasi der Einfahrt Naumburgs. Und viele haben sich schon gefragt, was da wohl seit Mai gebaut wird. „Am Anfang sind sogar täglich Menschen hierhergekommen, die wissen wollten, ob hier eine Moschee entsteht“, erzählt Rustam Galimzianov.
Die Frage findet der 47-Jährige in Ordnung, überhaupt freut er sich über jedes Interesse am Vorhaben seiner Glaubensgemeinde. „Eine Moschee entsteht hier aber nicht. Wir sind keine Moslems, sondern Christen.“ Genauer gesagt sind es Evangeliumschristen-Baptisten, eine Freikirche, die in Naumburg reichlich 30 Mitglieder hat.
600 Quadratmeter Eigenbau
Bisher trifft man sich bei Familie Galimzianov zu Hause, was bei natürlich auf Dauer kein Zustand sei. Also begann die schwierige Suche nach einem Grundstück. Und 2019 wurde man fündig beim Eigentümer der einstigen Brachfläche an der Weißenfelser Straße, auf der die Gemeinde vor vielen Jahren einst mit einem Missionarszelt bereits für ihre Freikirche werben durfte.
Nun aber wird es ein fester Bau - und was für einer. 600 Quadratmeter Nutzfläche entstehen. Ein großer Raum für die Gottesdienste, ein Speisesaal, ein Foyer, Funktionsräume, Mutter-Kind-Zimmer, eine Wohnung für befreundete Glaubensbrüder, die zu Besuch kommen. Finanziert werde das alles durch die Gemeinde, sagt Galimzianov. Dass der Bau dabei weit günstiger bleibt als vergleichbare Projekte hängt damit zusammen, dass jeder Handschlag von den Gläubigen selbst ausgeführt wird. Fremde Handwerksfirmen braucht es nicht. „Die gemeinsame Arbeit schweißt unsere Gemeinde zusammen“, findet Galimzianov. Bei aufwendigen oder komplizierten Gewerken kämen immer wieder auch Glaubensbrüder aus anderen Gemeinden der Evangeliumschristen-Baptisten zum Helfen vorbei, etwas aus Torgau, Leipzig oder Wurzen.
Wenn das Gemeindehaus im kommenden Jahr fertiggestellt ist, sollen dort neben den Gottesdiensten am Sonntag auch Bibel- und Gebetsstunden am Mittwoch und Freitag stattfinden, sich eine Kindergruppe und ein Chor treffen. Die strenge Nähe zur Bibel, „unserer Richtschnur für das gesamte Leben“, sei es, die seine Gemeinde von anderen Christen unterscheidet, so Galimzianov. Ansonsten sei man dem Evangelischen recht ähnlich.
Den Tageblatt/MZ-Lesern sind Rustam Galimzianov und seine Frau Raschel bekannt, nachdem unsere Zeitung 2013 vorgestellt hatte, wie eine Familie mit elf Kindern Weihnachten feiert. Mittlerweile sind es zwölf, „und drei Enkel haben wir schon“, so der erst 47-Jährige, der seit vielen Jahren bei Gehring Naumburg als Dreher arbeitet, aber derzeit von Kurzarbeit betroffen ist. „Das einzig Positive: Ich komme mehr zum Bauen.“
Er und seine Frau stammen aus Kasachstan, gingen dort zur selben Schule und entschieden sich 1994, in die Heimat von Raschels Eltern, nach Nordrhein-Westfalen, zu ziehen. Vor neun Jahren wurde Naumburg zum neuen Lebensmittelpunkt. „Wir haben uns hier sehr gut integriert“, sagt der zwölffache Familienvater. Ihn freut, dass neben vielen „Russland-Deutschen“, wie er sagt, auch einige Einheimische zur Gemeinde dazugekommen sind. Die Predigten im Gottesdienst werden deshalb auch auf Deutsch und Russisch gehalten. Da sie Werbung in Weißenfels und Zeitz gemacht hätten, kämen auch Auswärtige. Auf 100 Mitglieder könnte seine Gemeinde wachsen, hofft Galimzianov, wenn das neue Domizil erst mal fertig ist und man mehr Öffentlichkeitsarbeit machen kann.
Von Kasachstan nach Karsdorf
Einer, der jetzt schon regelmäßig dabei ist, heißt Alexander Ruff. Der 70-Jährige stammt ebenfalls aus Kasachstan und lebt seit 20 Jahren im Karsdorfer Ortsteil Wetzendorf. Als gelernter Kraftfahrer arbeitete er zuletzt als Hausmeister. Um seinen Glauben zu praktizieren, musste er bis nach Halle-Neustadt fahren. Nun ist es bis Naumburg nicht mehr so weit.
Dass die Evangeliumschristen-Baptisten ihren Glauben hier frei ausüben können, ist für Ruff nicht selbstverständlich. So sei sein Vater vor über 60 Jahren, als er in Kasachstan einer Glaubensgemeinde vorstand, dafür ins Gefängnis gesperrt worden. Heute ist Ruff als Rentner beinahe täglich auf der Naumburger Baustelle und packt mit an. Er hat Zeit, genau wie Samuel Galimzianov. Der 20-jährige Sohn des Gemeindeleiters studiert an der Uni Jena, um Lehrer für Geschichte und Geografie zu werden. Da die Vorlesungen aber coronabedingt meist online ablaufen, kann auch er den Bau vorantreiben. Nächste Woche gilt es, Zwischendecken zu betonieren. Bis zum Winter soll das Dach drauf und die Fenster drin sein. „Und dann laden wir nächstes Jahr alle, die möchten, zum Tag der offenen Tür ein“, sagt Rustam Galimzianov.
