1. MZ.de
  2. >
  3. Mitteldeutschland
  4. >
  5. Burgenlandkreis
  6. >
  7. Friedrich Nietzsche : Friedrich Nietzsche : Also radelte Zarathustra

Friedrich Nietzsche  Friedrich Nietzsche : Also radelte Zarathustra

Von Winfried Mahr 04.01.2018, 09:09
Auf Naumburgs Holzmarkt erinnert ein Denkmal an Friedrich Nietzsche.
Auf Naumburgs Holzmarkt erinnert ein Denkmal an Friedrich Nietzsche. Urbansky

Naumburg/Leipzig - Es geht bergauf. Frank Urbansky legt sich mächtig ins Zeug, mit Zelt und Sack und Pack allein auf seinem Fahrrad, gegen den Wind gen Weimar. Im Sattel folgt der Leipziger Journalist und Blogger tagelang den Spuren, die sein Lieblingsphilosoph Friedrich Nietzsche 150 Jahre zuvor in Mitteldeutschland hinterlassen hat. Seinerzeit waren Wohlhabende noch vorwiegend mit Kutsche oder Eisenbahn unterwegs, beides ähnlich gemächlich wie mit dem Rad. Und so führt Urbanskys Spurensuche von Leipzig über Röcken, Naumburg, Jena, Weimar, Freyburg und zurück. 320 Kilometer durch Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Alles aus eigenem Antrieb. „Eine Tour, die ich seit 25 Jahren vorhatte, aus beruflichen Gründen aber immer wieder verschieben musste“, sagt der 53-Jährige.

Damals, Anfang der 1990er-Jahre, wollte er Friedrich Nietzsches mitteldeutsche Fußabdrücke noch mit dem Auto abklappern. „Aber man entwickelt sich ja weiter“, sagt der überzeugte Radfahrer, der im Alltag weitgehend aufs Auto verzichtet. Ohne rollende Rostlaube habe er mehr von der Natur und den Menschen. Ist kein Campingplatz in der Nähe, schlägt der lesende und schreibende Nietzsche-Jünger sein Zelt eben auf Privatgrundstücken auf.

Urbansky stammt aus dem thüringischen Kölleda, keine 80 Kilometer von Nietzsches Geburtsort Röcken entfernt. So richtig für sich entdeckt hat er den Philologen, Philosophen, Komponisten und Dichter während seines Journalistik-Studiums in den 80er-Jahren. „Obwohl Nietzsche zu DDR-Zeiten verpönt war und zu Unrecht in die Nähe der Nazi-Ideologie gerückt wurde, waren seine Werke in der Bibliothek der damaligen Karl-Marx-Universität frei zugänglich“, erinnert sich Urbansky. Er hat sie aufgesogen. „Nietzsches Schreibstil war sehr klar, trotz des damals üblichen Hanges zum Pathos. Viele seiner Ideen waren brillant“, schwärmt der Leipziger, der heute als Journalist eher fachlichen Themen wie Energiepolitik zugewandt ist.

Nietzsches radikaler Wandel vom Pfarrerssohn und Theologiestudenten zum Kirchenkritiker hat Urbansky fasziniert. Profaschistische Züge lässt er dagegen nicht gelten. „Der Wille zur Macht“ werde dafür gern als Beweis herangezogen. „Aber dieses von den Nazis vereinnahmte und missbrauchte Werk hat seine Schwester Elisabeth erst nach Nietzsches Tod zusammengestellt“, betont Urbansky.

Der Dichter selbst habe Deutschland zeitlebens ebenso verachtet wie den Antisemitismus. „Statt militärischen Drills sang der Philosoph ein Hohelied auf den Individualismus. Auf selbstbewusste Menschen, die ihre Fesseln aus Tradition, Religion und Bildung abstreifen und so zu wahrer Freiheit gelangen“, erklärt der Nietzsche-Jünger und Familienvater, nachdem er am Weimarer Ettersberg die „Blutstraße“ zur Gedenkstätte Buchenwald hinter sich gebracht hat. „Nietzsche und die Nazi-Ideologie vom Führer, dem die formbare Masse folgt - das passt überhaupt nicht zusammen!“

Auch die Kargheit und Ödnis der Landschaft, die zu beklagen der Dichter seinerzeit nicht müde wurde (siehe Kasten), ist passé. „Alte Braunkohlereviere sind heute Badeseen und Erholungsgebiete, neue Radwege führen an Saale und Ilm durch schöne Gegenden“, schwärmt der Fahrradreisende in philosophischer Mission. Um gleich noch eine Lanze für seine sächsisch-thüringische Heimat zu brechen: „Das geistige Flachland Europas ist das längst nicht mehr!“ Diesbezüglich sei Nietzsche überholt, „von einigen wenigen einheimischen Populisten mal abgesehen“, räumt Urbansky ein.

Was er unterwegs über den Philosophen, die hier lebenden Menschen und über sich buchstäblich „erfahren“ hat, ist in dem kürzlich erschienenen Buch „Einmal Nietzsche und zurück“ nachzulesen. Viele Fotos, Karten und knappe Beschreibungen jeder Etappe regen zum Nachahmen an, ob nun physisch oder in Gedanken.

Auf ein bestimmtes Genre will sich Urbansky dabei nicht festlegen lassen: „Es ist eine Art Reisebericht, gewürzt mit philosophischen Anleihen, Selbstreflexionen und (auto-)biografischen Elementen.“ Von allen Traditionen und Genre-Fesseln befreit. So wie es Friedrich Nietzsche wohl gefallen hätte...

Autor Frank Urbansky vor der Wagner-Nietzsche-Villa in Leipzig.
Autor Frank Urbansky vor der Wagner-Nietzsche-Villa in Leipzig.
Kempner
In Röcken wurde Nietzsche geboren, und hier ist auch seine Familie begraben.
In Röcken wurde Nietzsche geboren, und hier ist auch seine Familie begraben.
Urbansky