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Dorfreport aus Allerstedt Dorfreport aus Allerstedt: Ein 300-faches "Kikeriki!"

09.06.2020, 09:49
Schmuckes Dorf in der sogenannten Toskana des Ostens: Allerstedt weist eine landschaftlich überaus reizvolle Lage im Unstruttal auf.
Schmuckes Dorf in der sogenannten Toskana des Ostens: Allerstedt weist eine landschaftlich überaus reizvolle Lage im Unstruttal auf. Andreas Löffler

Zu schade, dass das alljährliche Allerstedter Hähnewettkrähen nach gut einer Hand voll Auflagen im Jahr 2018 zum (vorerst?) letzten Mal stattfand. Denn übereinstimmenden Schilderungen zufolge muss es eine Riesen-Gaudi gewesen sein, wenn es bei dem vom Geflügelzüchterverein des Ortes veranstalteten Event darum ging, welcher Hahn binnen 60 Minuten die meisten „Kikeris“ zustandebringt.

„Es wurde penibel Strichliste geführt. Unsere besten Champions schafften in der Stunde 300 ’Wortmeldungen’ - also fast eine für jeden unserer rund 350 Dorfbewohner“, verrät Reinhardt Tanz, der die Geschicke des Vereins seit 1989 führt. „In Bottendorf gleich hinter der Landesgrenze zu Thüringen brachten es die Siegerhähne bei einem ähnlichen Wettbewerb sogar auf ganze 500 Kikeris“, sagt er anerkennend.

"Mit Wassermühle Paradies gefunden"

Ob die Vorwerkhühner, die sich Alexander Pille und seine Partnerin Kathrin anzuschaffen planen, beim Allerstedter Hähnewettkrähen Aussichten auf eine vordere Platzierung gehabt hätten, muss also ungewiss bleiben - was allerdings sicher ist: Das Paar, aus dem thüringischen Heygendorf vor vier Jahren nach Allerstedt gezogen, fühlt sich im Ort und der umgebenden „Toskana des Ostens“ mit dem Unstruttal „sehr, sehr wohl“, wie Alexander Pille betont. „Mit der schönen alten Wassermühle hier haben wir unser Paradies gefunden - und nach langer Suche auch ein ausreichend großes Grundstück für unsere Tiere.“

Wer weiß, womöglich verfügt Allerstedt in nicht allzu ferner Zukunft dank der beiden studierten Landwirte sogar über ein absolutes Alleinstellungsmerkmal. Alexander Pille mahnt diesbezüglich zwar ganz eindringlich, den Ball flach zu halten und keine vollmundigen Ankündigungen zu verbreiten, die sich schlussendlich womöglich doch nicht erfüllen, lässt sich aber immerhin entlocken: „Ja, wir streben an, von der Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Haustierrassen die geschützte Bezeichnung als sogenannter ’Arche-Hof’ verliehen zu bekommen, womit wir Stand heute die einzigen in ganz Sachsen-Anhalt wären.“ Schon jetzt züchten der 39-Jährige und seine Partnerin auf ihrem Anwesen die vom Aussterben bedrohten Rhönschafe sowie Meißner Widder (eine Kaninchen-Rasse) - und halten überdies drei Pferde, Hund, Katze sowie Schafe.

Lebende Tiere zum Krippenspiel

Letztgenannte haben sich im Vorjahr gewissermaßen sogar um das Allerstedter Gemeinwohl verdient gemacht, indem sie dafür sorgten, dass das traditionelle und übrigens unter freiem Himmel (!) aufgeführte Krippenspiel im Ort erstmals mit lebenden Tieren über die Bühne ging. „Wir haben vorab lediglich eine Generalprobe gemacht - die Schafe haben einwandfrei mitgespielt“, erinnert sich die Kirchenälteste Kerstin Schröder-Riedel lachend.

Hingegen gar nicht nach Lachen zumute gewesen sein dürfte den Allerstedtern, als 1973 ihre Dorfkirche abgerissen wurde. Gottesdienste finden seitdem im Gemeinderaum statt; immerhin wurde 1979 auf dem Areal der einstigen Kirche ein Glockenstuhl eingeweiht. Und das frühere Pfarrhaus hat nach langer Zeit des Leerstandes - ein für Allerstedt ansonsten gänzlich untypisches Phänomen - seit zwei Jahren wieder Bewohner: Mit Patricia Eberhardt, geborene Stein, ist zur allgemeinen Freude sogar eine waschechte Tochter Allerstedts nach Studien- und Wanderjahren in der Fremde in die Heimat zurückgekehrt und wird das beeindruckende Gebäude gemeinsam mit ihrem Ehemann nun Schritt für Schritt sanieren.

Beeindruckend ist auch die Sammlung von Adelheid Kleinschmidt, die in einem Gehöft an der Wieheschen Straße eine Art privates Heimatmuseum betreibt und dafür in den vergangenen sieben Jahren Möbelstücke, Kinderwagen sowie Küchenutensilien und nicht zuletzt landwirtschaftliche Geräte aus unserer Väter Vorzeit zusammengetragen hat. Mit ihren 55 Jahren ist die jugendlich daherkommende Dame gleichzeitig auch jüngstes Mitglied im Allerstedter Frauenverein.

Steht die Frage an die Herren der Schöpfung: Einen Männerverein gibt es im Dorf wohl nicht? „Nee, denn wir waren ja alle nicht im DFD“, sagt Gerd Brückner mit einem Augenzwinkern und stellvertretend für seine Geschlechtsgenossen - und spielt damit auf die Ursprünge des örtlichen Frauenvereins an. „In der Tat ist unser Verein aus der früheren Ortsgruppe des zu DDR-Zeiten bekannten Demokratischen Frauenbund Deutschlands DFD hervorgegangen“, erläutert Renate Bornstein. 32 Mitglieder seien sie anfangs gewesen, weiß Eva Saal, mit ihren 82 Jahren die Älteste im Verein, zu berichten. Und auch wenn die Zahl der Mitglieder inzwischen auf 18 geschrumpft sei, würden sie und ihre Mitstreiterinnen nach dem Motto „Klein, aber fein“ noch immer allerhand losmachen. „Wir treffen uns einmal monatlich zu Kegelabend, Buchlesung oder zum gemeinsamen Basteln, feiern Weihnachten, Fasching sowie den Internationalen Frauentag und führen alljährlich eine schönes Tagesfahrt durch - beispielsweise nach Berlin, Görlitz oder in den Spreewald“, erzählt Ingrid Brückner.

Jugendclub "Bude" ein Unikum

Übrigens hat eine weitere bereits aus DDR-Zeiten bekannte Institution bis heute in Allerstedt überdauert: der Jugendclub „Bude“, der, wohl einzigartig in der Region, praktisch ohne staatliche Förderung auskommt und von den Jugendlichen und jungen Erwachsenen komplett in Eigenregie gemanagt wird - selbst heizen und Rasen mähen eingeschlossen. Das Domizil des seit 1965 (!) bestehenden Jugendclubs hoch oben am Berg hinter dem Friedhof geht auf eine frühere, aus Holz gefertigte Baubude zurück, die 1984 komplett niederbrannte und in der Folge im Rahmen der damaligen „sozialistischen Nachbarschaftshilfe“ in Massivbauweise wiedererrichtet wurde.

Auch wenn die dramatische Geschichte einen solchen Schluss nahelegen könnte, darf man sich die Allerstedter höchstens im übertragenen Sinne als einen „feurige“ Dorfgemeinschaft vorstellen: Tatsächlich zeichnen die Freiwillige Feuerwehr (mit knapp 30 aktiven Kameraden) und der eigens für Veranstaltungen gegründete Allerstedter Feuerwehrverein 1934 heute für einen Großteil der Feste und Aktivitäten im Dorf verantwortlich: für das große Osterfeuer beispielsweise, für das in diesem Jahr am 20. Juni geplante Feuerwehrfest und nicht zuletzt für den traditionellen Fackelumzug am 30. April, dem Vorabend des Maifeiertags. „Das Ganze fungiert gleichzeitig auch immer als eine Art Angrillen“, scherzt Winfried Reichardt, der Chef des gut 20-köpfigen Feuerwehrvereins, welcher sich jüngst - gemeinsam mit anderen Einwohnern - um die Sanierung der Friedhofsmauer und die Erweiterung des Spielplatzes verdient gemacht hat und auch beim alljährlichen Frühjahrsputz im Ort stets kräftig mit anpackt.

„Da bringt der Feuerwehrverein den Festplatz auf Vordermann, verleiht der Frauenverein dem Friedhof ein picobello Aussehen, sorgt der Geflügelzüchterverein am Aufgang zur Burgruine für Ordnung“, schildert Robert Riedel. Der 32-Jährige ist Chef der Jugendfeuerwehr und hat sieben Schützlinge unter seinen Fittichen - eine Nachwuchsquote, über die man sich beim Geflügelzüchterverein vor Freude kaum einkriegen würde. „Es ist wirklich schwer“, sagt Chef Reinhardt Tanz, er habe dies auch persönlich erlebt. „Um meinen Enkel ’anzufüttern’, habe ich ihm meine schönsten weißen Zwerg-Wyandotten überlassen. Das Ende vom Lied: Während ich leer ausging, wurde er gleich fünfmal Kreismeister. Das Hobby hat er dann trotzdem aufgegeben.“ Zum Trost: ein 300-faches Kikeriki!