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Burgenlandkreis Der Burgenlandkreis bei der Bundestagswahl: Frust rechts unten

Von Alexander Schierholz 26.09.2017, 04:00
Plakat-Panorama in Kretzschau, Burgenlandkreis. Nicht nur hier hat die AfD am Sonntag sogar die CDU überholt.
Plakat-Panorama in Kretzschau, Burgenlandkreis. Nicht nur hier hat die AfD am Sonntag sogar die CDU überholt. Hartmut Krimmer

Vielleicht ist Maik Pfeffer genau der Typ Wähler, von dem schon am Sonntagabend in den TV-Expertenrunden die Rede war, wenn es um die AfD ging: Der die Rechtspopulisten weniger gewählt hat, weil er ihr Anhänger ist. Sondern weil er es den anderen Parteien mal zeigen wollte. Aus Frust also und aus Protest.

Montagmittag, Maik Pfeffer stürmt aus seiner Autowerkstatt in Großpörthen, Burgenlandkreis, in das kleine Büro, das eher einem Verschlag gleicht. Als er „Bundestagswahl“ hört, verdreht er die Augen: keine Zeit, er deutet hinter sich, in der Werkstatt wartet ein Haufen Arbeit.

Und dann sprudelt es aus ihm heraus: Früher gab es einen Kindergarten im Dorf, jetzt muss er den Nachwuchs nach Heuckewalde bringen, sechs Kilometer entfernt. „In dem Kindergarten wird nichts gemacht, in der Schule wird nichts gemacht, und schauen Sie sich mal unsere Sozialsysteme an, die gehen bald krachen, und was wird aus unserer Rente?“

Burgenlandkreis: In keinem Landkreis schnitt die AfD in Sachsen-Anhalt bei der Wahl so gut ab

Fühlt Maik Pfeffer sich allein gelassen von der Politik? „Allein gelassen?“, sagt er, „ich fühle mich nicht verstanden.“ Er habe das Gefühl, dass „die da oben“, er sagt das wirklich so, gar nichts mehr wüssten von den Problemen der Bürger. Und ja, mit der Einwanderungspolitik ist er auch nicht einverstanden. Der Kraftfahrzeug-Meister hat seine Stimmen gesplittet - AfD und FDP.

Großpörthen gehört zur Gemeinde Schnaudertal südlich von Zeitz, dort wo Sachsen-Anhalt endet und Thüringen beginnt. Auf der Landkarte rechts unten haben die Rechten ihren größten Erfolg erzielt: In keinem Landkreis schnitt die AfD in Sachsen-Anhalt bei der Bundestagswahl so gut ab wie im Burgenlandkreis: 24,3 Prozent der Zweitstimmen.

Und in keiner anderen Gemeinde erreichte sie so viele Wähler wie in Schnaudertal: 36,2 Prozent. Dort, aber auch in Zeitz und in den Nachbargemeinden Kretzschau und Wetterzeube hat die AfD die CDU überholt.

Zeitz ist die neue AfD-Hochburg

Zeitz und Umgebung - die neue AfD-Hochburg. „Unvorstellbar“, sagt der Mann in roter Allwetterjacke, der unterm Vordach eines Zeitzer Supermarktes darauf wartet, dass der Regen nachlässt. Natürlich, sagt er, in Zeitz seien viele frustriert. „Schauen Sie sich mal an, wie die Stadt aussieht, ganze Straßenzüge sind kaputt!“

Und dann die Wirtschaft: „Wir waren mal eine Industriestadt, aber nach der Wende ist so viel platt gemacht worden.“ Auch sein eigener Betrieb, Zitza, einst Hersteller von Kosmetikartikeln, mit 400 Mitarbeitern. „Nur noch eine Ruine“, sagt der rotbejackte Mann, „ich gehe da manchmal spazieren, traurig ist das.“ Ja, sagt er, auch er schiebe Frust.

Aber deswegen die AfD wählen? Das kann er nicht verstehen. „Die mit ihren platten Parolen!“, schimpft er. Seinen Namen mag er nach einigem Überlegen nicht nennen. Am Sonntag haben sie am Stammtisch zusammengesessen, er war ziemlich allein mit seiner Meinung. Er will es sich nicht verscherzen mit seinen Stammtisch-Brüdern.

Schnaudertal: 20 Jahre Kampf gegen den Frust

In Schnaudertal kämpft Roland Böttger seit 20 Jahren gegen den Frust, Gemeinderatssitzung um Gemeinderatssitzung. „Manchmal frage ich mich selber, ob das alles noch Sinn hat“, sagt der Zimmerer mit eigener Werkstatt in Großpörthen.

„Wir beschließen dies und beschließen das, und am Ende können wir doch nichts machen.“ Die Gemeinde stehe praktisch kurz vor der Pleite, sagt er. „Wir haben jedes Jahr vielleicht 5 000, 6 000 Euro übrig, mehr nicht, das regt die Leute natürlich auf.“ Und könne durchschlagen auf das Wahlergebnis.

Schnaudertal, Hort der Frustwähler? Böttger, 59, zuckt mit den Schultern. „So richtig erklären kann ich mir das Ergebnis auch nicht.“ Er erzählt, was er von vielen aus den Dörfern ringsum höre: Dass es zu viele Ausländer gebe, und dass die auch noch besser gestellt seien als Deutsche - da bricht sich der Frust in Ressentiments gegen Migranten Bahn. Bloß, sagt Böttger, „es gibt hier ja so gut wie keine Ausländer“. Er schüttelt nachdenklich den Kopf.

Uwe Gewiese hat es nicht in den Bundestag geschafft

Trotz des AfD-Erfolges im Burgenlandkreis - der örtliche Direktkandidat Uwe Gewiese hat es nicht in den Bundestag geschafft. Noch am Sonntagabend bei der Wahlparty in Magdeburg hatte Gewiese auf ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit dem CDU-Direktkandidaten Dieter Stier gehofft - der Christdemokrat holte letztlich das Mandat.

Auch über die Landesliste hat Gewiese den Einzug in den Bundestag ganz knapp verpasst, er stand auf Platz 5. Das Ergebnis in Sachsen-Anhalt reichte nur für die ersten vier Plätze. So wird das Land im Bundestag künftig von vier AfD-Abgeordneten vertreten, die zum Teil eine illustre politische Vergangenheit haben.

AfD-Mann Martin Reichardt will auf soziale Gerechtigkeit achten

Etwa Spitzenkandidat Martin Reichardt, der sich schon bei der SPD, den Republikanern und der FDP versucht hat. Der ehemalige Berufssoldat aus der Börde gilt als Vertrauter von Landeschef André Poggenburg.

Beim Wahlkampfauftakt der AfD Anfang August in Helbra (Mansfelder Land) brachte Reichardt es fertig, sich für seine frühere SPD-Mitgliedschaft zu entschuldigen. Doch bei der Wahlparty am Sonntagabend in Magdeburg nach seinen Zielen gefragt, klingt der Sozialdemokrat durch: Er wolle auf soziale Gerechtigkeit achten, es gelte etwa zu verhindern, „dass Altersarmut um sich greift“, sagt Reichardt.

Andreas Mrosek aus Dessau und die „Hotel-Affäre“

Auch Andreas Mrosek aus Dessau wird für die AfD in den Bundestag einziehen. Früher saß der ehemalige Kraftsportler mal für die CDU im Stadtrat, auch für eine Landtagswahl hat er schon mal kandidiert: 2002 trat er für eine Abspaltung der rechtsextremen DVU an, die später in der NPD aufging. Seit März 2016 sitzt Mrosek für die AfD im Landtag, dieses Mandat wird er nun abgeben müssen.

Der Vize-Landeschef war Vorsitzender des Verkehrsausschusses, doch politisch aufgefallen ist er nicht groß. Dafür macht er Anfang des Jahres in der „Hotel-Affäre“ um sexuelle Belästigung und den Rauswurf einer Referentin seines Abgeordneten-Kollegen Matthias Büttner von sich reden. Er musste nach Recherchen der MZ einräumen, nicht die Wahrheit gesagt zu haben.

Frank Pasemann aus Magdeburg hat es über die Liste in den Bundestag geschafft

Im Gegensatz zu Mrosek verpasste Frank Pasemann im vorigen Jahr den Einzug in den Landtag - nun schafft es der Magdeburger über die Liste in den Bundestag. Pasemann gehört wie Poggenburg dem rechten Parteiflügel an, er ist Mitglied der parteiinternen Rechtsaußen-Gruppierung „Patriotische Plattform“.

Auch gegenüber der vom Verfassungsschutz beobachteten „Identitären Bewegung“ kennt der Landesschatzmeister der Partei offenbar keine Berührungsängste - trotz eines Abgrenzungsbeschlusses des AfD-Bundesvorstandes: Bei einer AfD-Kundgebung im November vergangenen Jahres auf dem Magdeburger Domplatz stand auch Pasemann auf der Bühne - als Pausenfüller machten dort zwei Aktivisten des halleschen Identitären-Ablegers „Kontrakultur“ Musik.

Auch Matthias Büttner aus der Altmark zieht über die Liste nach Berlin

Bleibt Matthias Büttner aus der Altmark, ein Namensvetter des oben genannten Landtagsabgeordneten aus Staßfurt. Er zieht ebenfalls über die Liste nach Berlin. Der Mann aus Stendal, Jahrgang 1990, ist bisher nur kommunalpolitisch als Stadtrat in Erscheinung getreten. Als eines seiner politischen Vorbilder nennt Büttner Reichskanzler Otto von Bismarck (1815 bis 1898).

Bismarck ist immerhin der Vater der deutschen Sozialgesetzgebung. Vielleicht ein gutes Omen für alle, die sich um die Sozialsysteme sorgen. Wie Maik Pfeffer, der frustrierte Kraftfahrzeug-Meister aus Großpörthen. (mz)