Burgenlandkreis Burgenlandkreis: Zwei Blitzer sorgen für Geldregen in Bad Kösen

Magdeburg/Naumburg/MZ - In Zeiten klammer Kassen greifen in Sachsen-Anhalt immer mehr Kommunen auf eine lukrative Art der Geldbeschaffung zurück - die Verkehrsüberwachung. Über Jahre als Zuschussgeschäft geschmäht, nehmen inzwischen zwei Landkreise und neun Städte die Dienstleistung privater Firmen in Anspruch. Die Konditionen sind ausgesprochen interessant: Die Technik zum Blitzen wird gestellt - im Gegenzug sind die Firmen am Umsatz beteiligt. Allerdings kommt so der Verdacht auf, dass wirtschaftliche Interessen vor der Erhöhung der Verkehrssicherheit stehen.
Einer dieser Dienstleister ist German Radar mit Sitz im brandenburgischen Dörfchen Crinitz südwestlich von Lübbenau (Spreewald). In nur sieben Jahre ist die Firma bundesweit zu einem der großen Anbieter für Verkehrsüberwachungsanlagen geworden. Die Firma wirbt auf ihrer Internetpräsenz offensiv mit Sonderangeboten für Kommunen: Wer eine stationäre Messanlage bei German Radar least oder mietet, bekomme zwischen 12, 24, 36, 48 oder 60 mobile und kosten- freie Messtage pro Jahr inklusive. „Völlig gratis und auf Wunsch auch mit dem System Ihrer Wahl.“
Gleichzeitig offeriert German Radar seine stationären Anlagen de facto zum Nulltarif: Die Kommunen müssen nichts investieren, im Gegenzug erhebt die Firma ein „falldatenbasiertes Nutzungsentgelt“. Auf die Frage, mit wie vielen Kommunen man bundesweit Verträge habe, antwortet Geschäftsführer Christian Noack allerdings nicht.
German Radar
In Sachsen-Anhalt gehören laut Auskunft des Innenministeriums in Magdeburg die Städte Staßfurt und Zeitz zu den Kunden von German Radar. Zudem war es die Stadt Naumburg. Nur ein halbes Jahr zwar - doch das sollte sich lohnen. Genau zwei Wochen vor Beginn der europaweit beachteten Landeausstellung „Naumburger Meister“ im Juni 2011, die am Ende fast 200 000 Besucher zählte, nahm die Stadtverwaltung an der Bundesstraße 87 im Ortsteil Bad Kösen eine besondere Form des Willkommensgrußes in Betrieb: zwei schmucke, silbergraue Säulen mit schwarzen, blickdichten Fenstern.
Ihre Funktionsweise erschließt sich erst, wenn man des Infrarotblitzes aus ihrem Innern gewahr wird. Oder später Post von der Bußgeldstelle bekommt. Die Säulen hören auf den Namen „Poliscan Speed Tower“ und sind der letzte Schrei auf dem Markt der Geschwindigkeitsmessanlagen.
Was folgte, war eine wahre Blitzerorgie. Bis zu 2 000 Fotos pro Woche schossen die Geräte. Was nicht wirklich verwundert: Die Blitzer am Ortseingang von Bad Kösen stehen zwar an einer Bundesstraße, doch die ist zu diesem Zeitpunkt von der Stadt Naumburg zur 30er-Zone deklariert worden. Wer also aus Richtung Apolda auf der abschüssigen B 87 in Richtung Naumburg steuerte, erlebte oft eine böse Überraschung. In der Gegenrichtung erwischte es hingegen oft Lkw-Fahrer, die vor der Steigung Schwung holten. Die offizielle Begründung der Stadtverwaltung für den Blitzer: Klimaschutz für den Kurort Bad Kösen.
Doch das darf bezweifelt werden. Vielmehr liegt der Verdacht nahe, dass die Stadt Naumburg vor allem finanzielle Interessen bei der Installation der Geräte verfolgte - auch wenn sie das über ihren Sprecher Felix Prescher mit Vehemenz bestreiten lässt. Die Stadt Naumburg hat die Blitzer nicht selbst beschafft, sondern die - im Einzelkauf etwa 90 000 Euro teuren Anlagen - bei der Firma German Radar gemietet.
Private Anbieter zulässig
Nach einem Erlass des Innenministeriums zur Verkehrsüberwachung ist die Zuhilfenahme privater Anbieter zulässig, solange die Datenaufbereitung und Auswertung in der Hand der Kommunen bleibt. Dennoch lässt sich die Firma ihren Aufwand gut entlohnen: Im Fall Naumburg waren es 40 Prozent der Gesamteinnahmen, die an German Radar flossen. Auf Anfrage will die Stadtverwaltung Naumburg die absoluten Zahlen zunächst mit Verweis auf den Vertrag mit German Radar nicht nennen. Auch Radar-Geschäftsführer Noack nennt keine Details, sondern erklärt allgemein: „Aus der Sicht unseres Unternehmens wäre es wirtschaftlich ratsam und uns am gefälligsten, wenn feste Mieten und feste Preise für all unsere Leistungen stehen würden.“ Die Behörden würden aber nur die tatsächliche Inanspruchnahme der Systeme „bevorzugen“ oder gar vorschreiben, so Noack: „Damit entsteht mancherorts der Anschein, dass die Verstöße zur direkten Refinanzierung des Dienstleisters dienen - was aber praktisch nicht miteinander im Zusammenhang steht, da keine prozentuale Beteiligung an der Höhe der verhängten Ordnungsstrafen vorhanden ist.“ Ja, was denn nun?
Erst nach dem Verweis darauf, dass kommunale Haushalte öffentlich sind, liefert die Stadt Naumburg die konkrete Antwort: Zwischen dem 15. Juni 2011 und dem 31. Dezember 2011 habe die Stadt 575 000 Euro aus der Verkehrsüberwachung eingenommen, sagt Stadtsprecher Prescher. 40 000 Euro entfielen auf einen mobilen Blitzer, der Rest - 535 000 Euro - auf die Blitzsäulen am Ortseingang von Bad Kösen. „Davon haben wir 253 000 Euro an German Radar gezahlt“, so Prescher.
Zum Vergleich: Im gesamten Jahr 2011 lagen die Einnahmen aller Verfahren, die von den Kommunen im Land an die Zentrale Bußgeldstelle des Technischen Polizeiamtes in Magdeburg abgegeben worden, gerade bei einer Million Euro. Diese Summe enthält allerdings nicht jene Verfahren, bei denen die Strafe unter 35 Euro lag.
Geschäftsbeziehungen zu Blitzerfirmen
Viel tun muss man nicht, um als Kommune Geschäftsbeziehungen zu Blitzerfirmen aufzunehmen - die Angebote kommen frei Rathaus: „Die German-Radar-Leute sind da sehr eifrig“, sagt Verkehrsrechtsanwalt Matthias Feltz aus dem hessischen Wetter. Und deutet an, dass manche Kommunen dabei offenbar auch die Pflicht zur Ausschreibung übersehen, wenn eine Firma mit lukrativem Angebot vor der Rathaustür steht. Feltz hat selber Erfahrungen mit der Firma gesammelt und vertritt Mandanten, die sich gegen Bußgeldbescheide hessischer Kommunen wehren. „Verkehrskontrollen müssen Sicherheitskriterien genügen, innerorts eventuell auch dem Lärmschutz“, sagt Feltz. Das scheine aber nicht immer im Vordergrund zu stehen - sondern der Kommunalhaushalt.
Genau dies ist aber verboten: „Fiskalische Erwägungen dürfen nicht Anlass für Verkehrsüberwachungsmaßnahmen sein“, sagt der Sprecher des sachsen-anhaltischen Innenministeriums, Stefan Brodtrück. Das regele der Verkehrsüberwachungserlass des Ministeriums.
Der Traum vom großen Reibach in Bad Kösen endete für die Stadt Naumburg und German Radar allerdings jäh: Die Verwaltung des Burgenlandkreises forderte Naumburg Anfang 2012 auf, die Tempo-30-Zone aufzuheben und die Geschwindigkeitsbegrenzung auf 50 Kilometer pro Stunde heraufzusetzen. Es gebe keine ausreichenden Gründe für die Begrenzung auf 30 Kilometer pro Stunde, der Verweis auf den Heilbadstatus reiche nicht, teilte die Verkehrsbehörde des Landkreises mit. In der Folge registrierten die Blitzer nicht mehr bis zu 2 000, sondern nur noch zehn Fälle pro Woche.
Geräte außer Betrieb
Am 15. Februar 2012 kamen die beiden Vertragsparteien daher überein, die Geräte außer Betrieb zu nehmen. „Das war für beide Seiten nicht mehr wirtschaftlich“, sagt Stadtsprecher Prescher einen Satz, der alle Beteuerungen, die Blitzer dienten der Verkehrssicherheit - „wir machen das nicht zur Haushaltskonsolidierung“ - ad absurdum führt. „Das zeigt doch, dass es nicht um Verkehrssicherheit, sondern um Einnahmebeschaffung geht - und dabei ist egal, ob für die Kommune oder den Anbieter der Geräte“, sagt der Innenexperte der SPD-Landtagsfraktion, Rüdiger Erben.
Naumburg hat sich unterdessen bemüht, die 30er-Zonen in Bad Kösen wieder einzurichten. Bislang ist die Stadt an der Kreisverwaltung gescheitert. Diese hält die erneut vorgetragene Begründung, dem Heilbad-Status zu genügen, für nicht ausreichend. Aktuell äußern will sich die Kreisverwaltung mit Verweis auf zwei beim Landesverwaltungsamt anhängige Verfahren nicht.
