Besser nie geschlüpft Besser nie geschlüpft: Wie leipziger Forscher verhindern wollen, dass Küken geschreddert werden

Leipzig - Ihr Interesse für Vögel verdankt Maria-Elisabeth Krautwald-Junghanns einem Papagei. Während des Studiums flog ihr ein Tier zu. Wie die Wissenschaftlerin heute erzählt, sperrte sie den Papagei daraufhin allerdings nicht in einen Käfig. Vielmehr fütterte sie den Vogel morgens und abends kehrte das Tier zu ihr zurück. Die angehende Tierärztin wollte den Papagei möglichst artgerecht halten. Die Haltung von exotischen Vogelarten wurde später auch einer der Schwerpunkte ihrer Arbeit.
Professorin will das Töten beenden
Die Lebensbedingungen von Tieren zu verbessern und kranke zu heilen, ist das Berufsbild jedes Tierarztes. Der Professorin für Vogel- und Reptilien-Krankheiten bietet sich jetzt jedoch eine Möglichkeit, die nur wenige ihrer Kollegen bekommen: Sie arbeitet daran mit, das Töten von jährlich Millionen männlicher Küken zu beenden.
Direkt neben der Alten Messe in Leipzig befindet sich der Campus der Tiermediziner. In einem grauen, eher schmucklosen Altbau im Haus 17, geht es über eine enge Treppe in Krautwald-Junghanns Büro. In den Gängen hängt durch Desinfektionsmittel der typische Krankenhausgeruch. Aktuell, so berichtet die Wissenschaftlerin wird sie mit Anfragen zum Forschungsprojekt „Geschlechtsbestimmung im Ei“ wieder überhäuft. Ein 14-köpfiges Team aus Leipzig und Dresden hat ein High-Tech-Verfahren entwickelt, um das Geschlecht des Huhns bereits im Ei zu bestimmen.
„Marathonläufer“ gezüchtet
Warum dies wichtig ist, dazu muss man folgende Hintergründe kennen: Allein in Deutschland wurden im vergangenen Jahr rund 48 Millionen männliche Küken getötet. Dies resultiert aus „Züchtungserfolgen“. Früher war die Rollenverteilung bei den Hühnern noch klar. Barthähnchen und Legehennen waren Brüder und Schwestern. Die einen gaben Fleisch, die anderen produzierten Eier. Doch durch Züchtungen gibt es seit den 50er Jahren Legerassen und Mastrassen.
Bei den Mastrassen werden bei den Küken keine Unterschiede gemacht. Männchen und Weibchen werde gemästet, bis sie nach etwa fünf Wochen ihr Schlachtgewicht erreichen. Bei den Legerassen ist das anders. „Die Hühner ähneln drahtigen Marathonläufern“, beschreibt es ein Geflügelzüchter. Die Hennen produzieren mehr als 300 Eier im Jahr. Die männlichen Tiere haben für die Unternehmen allerdings keinen wirtschaftlichen Wert, weil sie weder Eier noch ausreichend Fleisch liefern. Ein bis zwei Tage nach dem Schlüpfen werden sie entweder geschreddert oder mit Kohlendioxid getötet. Die toten Küken landen dann teilweise in Zoos und Tierhandlungen, die meisten aber auf dem Müll.
"Zweinutzungshühner" sind nicht so leistungsstark
Zwar gibt es auf dem Markt auch sogenannte „Zweinutzungshühner“, die als Eier- und Fleischproduzent eingesetzt werden können. Doch sind diese nicht so leistungsstark und daher kaum verbreitet. Die Branche sieht das Küken-Töten jedenfalls als alternativlos an. Die Leipziger und Dresdner Wissenschaftler haben nun zusammen mit der Evonta-Technology aus Dresden ein technisches Modul-System entwickelt, welches das Töten bald beenden soll.
Nachdem das Ei drei Tage bebrütet ist, wird mittels eines Lasers ein kleines Loch in die Schale gefräst. „Das muss äußerst präzise erfolgen“, sagt Krautwald-Junghanns. Das Eihäutchen unter der Schale dürfe dabei zunächst nicht verletzt werden. Nach Abheben der Eischale werden die Gefäße sichtbar. „In diesen Blutzellen können wir berührungsfrei mit dem sogenannten Raman-Spektroskop die Unterschiede in der DNA zwischen männlich und weiblich sehen“, so die Forscherin. Nur durch Licht werde in Sekundenschnelle die Erbinformation ausgelesen. Anschließend muss die abgehobene Eischale wieder verklebt werden. Die Eier mit männlichen Embryonen werden aussortiert, sie könnten beispielsweise als Tierfutter verwendet werden.
Bereits mehrmals klagten Tierschützer gegen das millionenfache Töten
Drei Millionen Euro hat die Bundesregierung bereits in das Forschungsprojekt gesteckt, Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) besuchte im vergangenen Jahr bereits medienwirksam die Leipziger Forscher. Die Abschaffung des Kükenschredderns ist ein wichtiger Baustein in Schmidts „Tierwohl-Initiative“.
Erste Module der Apparatur sind bereits fertiggestellt und wurden beim Wirtschaftspartner, Lohmann Tierzucht aus Cuxhaven, unter Praxisbedingungen getestet. „Das verlief erfolgreich“, so Lohmann-Sprecher. Bis Sommer 2017 soll ein kompletter Prototyp einsatzbereit sein.
Eischale muss genau aufgefräst werden
Nach Worten von Krautwald-Junghanns ist es eine Herausforderung, die Eischale genau aufzufräsen, da diese von Ei zu Ei unterschiedlich dick ist. „Bisher liegen unsere Schlüpf-Einbußen noch bei zehn Prozent“, sagt sie. Ziel sei es, diese weiter zu reduzieren. „Ich bin mir sicher, dass wir ein wirtschaftliches Verfahren entwickeln werden.“
Denn auch das jetzige Töten von Küken kostet. Die Geflügelfirmen tun sich schwer damit, die Arbeit der sogenannten Sexer zu zeigen. Doch im Internet gibt es eine Reihe von Videos dazu. Über ein Fließband laufen dabei die Küken. Per Hand werden sie angehoben, der Mitarbeiter, fachlich Sexer genannt, trennt dann Männchen und Weibchen.
Asiaten trennen die Küken
Weltweit - auch in Deutschland - setzen die Unternehmen dafür asiatische Mitarbeiter ein, die diese Arbeit am genauesten erledigen. 2.000 bis 3.000 Tiere sortiert ein Sexer pro Stunde. Laut Krautwald-Junghans kostet dies etwa zwei bis drei Cent pro Küken. Dies sei auch der Kostenrahmen, an den man sich auch mit den Eier-Automaten orientieren müsse.
Die deutschen Geflügel- und Bauernverbände begrüßen das Projekt, sind aber noch skeptisch, ob die Geräte schnell praxistauglich sind. „Es besteht noch viel Forschungsbedarf“, heißt es immer wieder.
US-Konzern setzt auf das Verfahren
In den USA gehen die großen Eiererzeuger da sehr viel forscher voran. Der mit Abstand größte Eiererzeuger, United Egg Producers, und die Tierschutz-Organisation The Humane League haben vereinbart, dass spätestens 2020 das Kükentöten enden soll. Der amerikanische Konzern setzt auf die deutsche Technologie. „Ich telefoniere derzeit fast wöchentlich mit verschiedenen Organisationen aus den USA“, so Krautwald-Junghanns.
Bei der Wissenschaftlerin werden sich sicher bald auch viele deutsche Geflügelfirmen melden. Denn kommt das Gerät mit Lasertechnologie auf den Markt, dann wird das Kükentöten sehr wahrscheinlich hierzulande enden. Bereits mehrmals klagten Tierschützer gegen das millionenfache Töten. Im Kern ging es vor Gericht um die Frage, ob wirtschaftliche Interessen der Betriebe über oder unter dem Tierschutz angesiedelt werden. Bisher bestätigten die Richter immer das Vorgehen der Unternehmen. Gibt es zum Töten aber eine Alternative, dann wird die bisher gängige Praxis aber wohl schnell gekippt. Krautwald-Junghans ist zumindest sehr zuversichtlich, dass das Kükentöten in naher Zukunft der Vergangenheit angehört. (mz)
