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Autobahnen in Sachsen-Anhalt Autobahnen in Sachsen-Anhalt: Zu dicht und zu schnell

Von Katrin Löwe 29.07.2014, 19:53
Polizeisprecher Veit Raczek an dem mobilen Kontrollsystem, das auf der A9 Tempo und Abstand der Fahrzeuge misst
Polizeisprecher Veit Raczek an dem mobilen Kontrollsystem, das auf der A9 Tempo und Abstand der Fahrzeuge misst Andreas Stedtler Lizenz

Weissenfels/MZ - Der Lkw hat den Schilderwagen der Autobahnmeisterei rund 150 Meter vor sich hergeschoben, die Bauarbeiter-Kolonne nur knapp verfehlt. Es war einer dieser schweren Baustellen-Unfälle, die das Land in den vergangenen Wochen in Atem hielten - verursacht durch einen Lkw-Fahrer auf der Autobahn 9 zwischen Naumburg und Weißenfels. Vier Tote hat es zuletzt bei ähnlichen Unfällen gegeben. Was ist los auf Sachsen-Anhalts Schnellstraßen? Eine Spurensuche mit der Autobahnpolizei.

„Da, sehen Sie! Das sind lange keine 50 Meter.“ Veit Raczek, Sprecher des Autobahnreviers Weißenfels, steht auf einer Brücke über der A 9 bei Röcken (Burgenlandkreis) und deutet auf zwei Lastwagen auf der rechten Spur. Dass sie den für Lkw vorgeschriebenen Mindestabstand nicht einhalten, ist mit bloßem Auge und mit Hilfe von Messstreifen auf der Fahrbahn leicht zu erkennen. „Passiert minütlich“, sagt Raczek und fragt gleichzeitig: „Was will der Fahrer noch erkennen, um rechtzeitig zu reagieren? Der Lkw vor ihm ist bei dem Abstand wie eine Wand.“

Neue Technik im Einsatz

Ein paar Meter neben der Brücke sitzt René Kanne in einem Transporter vor mehreren Bildschirmen. Der Polizeiobermeister bedient ein System, über das die Autobahnpolizei Weißenfels seit dem vergangenen Jahr verfügt: VKS 3D Select. Auf der Brücke stehende Kameras filmen von oben, was sich auf den Autobahnspuren tut, eine weitere auf der Leitplanke unten liefert bei Bedarf Beweisaufnahmen mit Kennzeichen. Die Software hinter dem System misst in einem genau festgelegten Feld auf der Fahrbahn Tempo und Abstand, filtert mögliche Verstöße heraus und speichert nur sie als Videoclip auf dem Rechner ab - inklusive der Sekunden davor und danach. „Das ist nur eine Vorauswahl“, sagt Kanne. Im Büro muss er die Clips noch einmal ansehen, um festzustellen, ob wirklich ein Verstoß vorliegt. Es könnte zum Beispiel sein, dass sich jemand in den Sicherheitsabstand gedrängelt hat, den Hintermann gar keine Schuld trifft.

Die Liste der Videoclips ist diesmal nach einer Stunde Messung rund 500 Einträge lang - trotz des eher mäßigen Verkehrsstroms. Abstand wird vor allem bei viel Verkehr zum Problem, sagt Kanne. Von den 500 Einträgen, schätzt er, wird am Ende rund die Hälfte übrig bleiben und als Verstoß bestraft. So wie der eines Pkw-Fahrers, der trotz Tempo 140 nur 20 Meter Abstand zum Vordermann hält. „Und das auf der linken Spur!“ Faustregel für Sicherheitsabstand bei Pkw ist die Hälfte des Tachowertes. Ganz abgesehen davon ist der Wagen zu schnell - wegen einer nahen Baustelle gilt an der Brücke bereits Tempo 120.

Kanne hat in seinen Berufsjahren - er ist seit 1988 bei der Autobahnpolizei und seit 1997 bei der Verkehrsüberwachung - schon einiges erlebt. Die Drängler unter den männlichen Pkw-Fahrern ebenso wie die Träumerinnen unter den Frauen, die zu nah auf den Vordermann auffahren, wie er erzählt. „Das Kopfschütteln habe ich mir eigentlich abgewöhnt“, sagt Kanne. Manchmal überkommt es ihn aber doch. Wenn ein Lkw-Fahrer nur fünf bis zehn Meter Abstand hält, „dann würde ich am liebsten sagen: Geht doch mal jemand hin und weckt den auf!“. Mit Abstandswarnern, die bei Unterschreitung der Sicherheitsdistanz akustisches Signal geben, habe sich aber, sagt er, zumindest schon etwas gebessert.

Nur nicht immer: Erst am Montag ist auf der A38 ein tschechischer Lkw-Fahrer erwischt worden, der nur zehn Meter Platz zum Vordermann gelassen hatte. Zu hohe Geschwindigkeit und fehlender Abstand sind Hauptursachen für Unfälle auf Autobahnen. Im Bereich des Reviers Weißenfels - insgesamt 210 Kilometer auf den Autobahnen 9, 14, 38, 71 und 143 - waren sie Grund für 247 von 783 Unfällen im ersten Halbjahr 2014. An 307 Kollisionen in diesem Zeitraum waren Lkw beteiligt - 237 Mal davon als Verursacher.

Alles über die zweite Station der Spurensuche, Autobahn 9 am Rastplatz Köckern, erfahren Sie auf der nächsten Seite.

Zwar hat sich wie landesweit auch im Autobahnrevier Weißenfels die Zahl der Unfälle insgesamt verringert. Grund zur Beruhigung ist das für Thomas Tauche, Chef der spezialisierten Verkehrsüberwachung, aber nicht. „Das hier macht uns Sorgen“, sagt der Polizeihauptkommissar und zeigt auf eine Tabelle, die einen Anstieg der Todesopfer von einem auf vier im Vergleich zum Vorjahr und auch der Schwerverletzten (von 39 auf 59) ausgibt. Absehbar, erklärt er, wird das System zur Abstands- und Tempomessung nicht nur an sechs, sondern an zwölf Stellen im Revierbereich eingesetzt werden.

Unsichere Ladung, zu kurze Pausen

Während bei Röcken weiter gemessen wird, geht es zu Station zwei der Spurensuche: Autobahn 9 am Rastplatz Köckern (Anhalt-Bitterfeld). Dort findet gerade eine zentrale Lkw-Kontrolle statt. „Man findet bei fast jedem Lastwagen etwas“, sagt Tauche.

Auch diesmal müssen die Experten nicht lange suchen. Ein Lkw aus dem Saale-Holzland-Kreis hat Schrott geladen - die Container sind nach oben aber nicht abgedeckt. Eine Windböe und die leichteren Teile landen beim Hintermann auf der Frontscheibe, erklärt ein Beamter kopfschüttelnd. Die Containerwände sind teilweise nur provisorisch gesichert - und mit vorgeschriebenen Pausen hat es der Fahrer in jüngerer Vergangenheit auch nicht so genau genommen. Zweimal innerhalb weniger Tage hat er laut Fahrtenschreiber eine 45-Minuten-Pflichtpause auf 17 abgekürzt. Warum? Der Fahrer hebt die Achseln. „Vielleicht guckt man nicht immer so genau hin.“

28 Minuten zu wenig Pause ist ein Verstoß, aber längst nicht Höhepunkt dessen, was Tauche und seine Kollegen kennen. „Wir hatten schon Lkw, bei denen keine Bremse funktionierte, die völlig durchgerostet waren. Oder Fahrer, die zwölf bis 14 Stunden durchgeschrubbt haben, auch wenn das durch den Kontrolldruck nicht mehr so häufig ist“, sagt er. Tauche will nicht alle Lkw-Fahrer über einen Kamm scheren. Aber es gebe kaum etwas, was die Polizei nicht schon erlebt habe: Kaffee kochen, Laptop bedienen, Zeitung lesen während der Fahrt gehören dazu.

Diesmal stehen am Ende der Kontrolle von 28 Lkw zehn Anzeigen und sieben Mängelmeldungen. Und hoffentlich ein Stück mehr Sicherheit auf Autobahnen.

Polizist René Kanne verfolgt am Rechner den Verkehr.
Polizist René Kanne verfolgt am Rechner den Verkehr.
Andreas Stedtler Lizenz
Das Messgerät zeigt auch das Tem po der Fahrzeuge an.
Das Messgerät zeigt auch das Tem po der Fahrzeuge an.
Andreas Stedtler Lizenz