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Zeitz Zeitz: Lieder vom Turm

Von Angelika Andräs 26.04.2012, 18:05

Zeitz/MZ. - "Oh, das klingt aber schön, wo kommt das her?" Die Frage stellt die sechsjährige Melanie Wegner, mit ihrer Familie aus Chemnitz in Zeitz zu Besuch, kaum dass das Glockenspiel auf dem Gewandhausturm zu läuten begonnen hat. Viele Zeitzer hören es schon gar nicht mehr, mancher ist sogar froh, wenn um 18 Uhr der letzte Durchgang beendet ist.

Doch, wo kommen die Melodien nun wirklich her? Was bringt die Glocken zum Klingen? Oder wer? Die MZ stieg auf den Turm und schaute nach. Kein Glöckner wird hier gebraucht, eher ein Techniker. Alles läuft vollautomatisch. Die Liedfolge und die einzelnen Glockenschläge sind programmiert. Eigentlich muss das alles nur einmal im Jahr gewartet werden. Normalerweise steigt Thomas Winz, Hausmeister der Stadtverwaltung Zeitz, im Sommer auf den Turm vom Gewandhaus, um das Glockenspiel einer Kontrolle und Wartung zu unterziehen. Bei extremer Witterung oder wenn wirklich mal ein Fehler auftritt, ist er aber auch zur Stelle. "Ansonsten läuft das Glockenspiel wartungsfrei, es schaltet sich sogar am festgelegten Datum automatisch um und spielt den entsprechenden Liedblock", erklärt Sebastian Nicolai, der Pressesprecher der Stadt Zeitz.

Die Glocken auf dem Gewandhaus haben Tradition. Seit Jahrhunderten gibt es zumindest eine Glocke auf dem Turm: Um 1480 begann man am Altmarkt mit dem Bau eines Kaufhauses, 1531 erhielt das Gebäude sieben Gewölbe, die heute noch erhalten sind. 1581 gesellte sich ein Uhrturm mit Glocke dazu. In den Gewölben wurden Lebensmittel, Kleidung und Schuhe verkauft. Im großen Saal des Obergeschosses boten Tuchmacher und Gewandschneider ihre Waren feil. Doch fanden hier auch Versammlungen, Tanz und Theater statt. 1834 / 35 erfolgte der Abbruch des Gewandhauses, es wurde zur ersten Bürgerschule umgebaut.

1934 erhielt der Turm durch eine Stiftung des Zeitzer Fabrikbesitzers Max Emmerling sein erstes richtiges Glockenspiel. Von den 28 Glocken wurden 20 im Jahr 1942 für Kriegszwecke eingeschmolzen. Jetzt umfasst das vor fast 17 Jahren eingeweihte Glockenspiel 22 Glocken im Wert von 93 000 Mark, also etwa 46 000 Euro. Fast die Hälfte davon kam Mitte der 90er Jahre durch den Spendenaufruf des ehemaligen Zeitzers, Lehrers und "Glockenspielinitiators" Hans-Rudolf Beckmann zusammen.

Geboren 1928, trat Beckmann als Zehnjähriger in die Zeitzer Stiftsschule ein. Mit seinen Klassenkameraden musste er ab 1944 als Luftwaffenhelfer bei Zeitz und in der Eifel noch am Kriege teilnehmen. Erst 1947 konnte er das Abitur ablegen. Nach einer Neulehrerausbildung begann er in Grana und Salsitz seine Lehrertätigkeit. Er gehörte zu den Lehrern, die der zunehmenden kommunistischen Indoktrinierung des Schulwesens nicht widerspruchslos zusahen. Nach einer Flugblattaktion in der sowjetischen Garnison wurde er verhaftet. Ein sowjetisches Militärtribunal verurteilte ihn zu 25 Jahren Zwangsarbeit im sibirischen Steinkohlebergbau im berüchtigten Straflager Workuta. 1955 konnte er heimkehren. Es folgten harte, Jahre des Studiums in Frankfurt / Main. Später war er Oberstudiendirektor der Beruflichen Schule in Büdingen. Nach der Wende nahm er den Kontakt zu Zeitz wieder auf. Hans-Rudolf Beckmann Er starb am 22. Januar 1999 in Büdingen (Hessen, Wetteraukreis).

Das Glockenspiel ist das Vermächtnis Beckmanns. Eine Freude für Besucher der Stadt und für viele Zeitzer. Und selbst ein Stück Geschichte auf dem Turm eines geschichtsträchtigen Gebäudes der Stadt - auch wenn niemand mehr hinaufsteigen und läuten muss. Das Gewandhaus befindet sich am Zeitzer Altmarkt, gegenüber vom Rathaus. Es beherbergt die Tourist-Information und die Gewandhausgalerie.