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Zeitgenossen Zeitgenossen: Abenteurer treibt Neugier in die Ferne

Von Holger Zimmer 30.03.2004, 19:04

Goseck/MZ. - Deutsches Fachwerk- haus-Flair in Goseck. Drinnen aber kann Hausherr Ulli Hoffmann nicht leugnen, wo er fast neun Jahre seines Lebens verbracht hat. Die gute Stube wird von Mitbringseln aus Asien dominiert: Eine als Tisch umfunktionierte Liege mit geflochtener Auflage; ein Schönheitsschränkchen, das die Damen in Tibet benutzten; der rund 40 Zentimeter lange Nachbau einer Harley Davidson aus Dosenblech; ein kleines Messingauto, in dem verschiedene Gewürze als Dessert nach dem Essen gereicht wurden. Sogar Andenken aus dem Naga-Land in Indien - eine Zone, in die Europäer keinen Zutritt haben - stehen da: Der Schulterblattknochen eines Elefanten mit geschnitzten religiösen Motiven und ein Tragekorb mit Stirnriemen. Die Dinge hat der 41-Jährige auf Märkten oder beim Trödler erstanden.

Nach einem Landwirtschaftsstudium an einer Fachschule arbeitete Hoffmann einige Zeit in der Uichteritzer Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft. Dann wollte er ein Diplom erwerben, doch zur Wende in Leipzig waren für ihn politische Dinge wichtiger als das Studium. Schließlich bewarb er sich auf eine Annonce des Deutschen Entwicklungsdienstes (DED) und arbeitete von 1991 an drei Jahre in Nepal. Für Absolventen einer so genannten Technischen Schule versuchte er direkte Hilfe zu organisieren. So gab es über den Entwicklungsdienst eine Kleingewerbeförderung. Einer von Hoffmanns Schützlingen züchtete Ziegen, ein anderer handelte mit Veterinärmedizin . . .

Wir nippen am Tee, den der Gosecker gebrüht hat, ehe er von weiteren Projekten erzählt, die ins Leben gerufen wurden. Sein Bruder Joachim kam 1992 das erste Mal zu ihm. Damals suchte eine nichtstaatliche Klinik in der Hauptstadt Nepals, in Kathmandu, einen Zahnarztstuhl, der gebraucht über die Firma Siemens beschafft werden konnte. Später sind mit Hilfe des DED und des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit tonnenweise Medizintechnik - darunter ein zahntechnisches Labor - nach Asien transportiert worden. In Jena wurde ein Hilfsverein gegründet, und seit Jahren fliegen Studenten der dortigen Fachhochschule für Medizintechnik zum Praktikum in die Himalaja-Region, um vor Ort zu helfen.

Nach den ersten drei Jahren hätte sich Ulli Hoffmann gut vorstellen können, wieder daheim sesshaft zu werden. Angesichts der Perspektivlosigkeit in der Landwirtschaft arbeitete er auf einer Strecke, die ihm lag: Als Jugendsozialarbeiter beziehungsweise Streetworker in Weißenfels mit und für junge Leute. Doch die Sehnsucht trieb Hoffmann 1998 nach Nepal zurück.

Zunächst war er als einziger Ausländer in einem Distrikt eingesetzt, in dem eine maoistische Untergrundbewegung aktiv war. Mit der habe er anfangs sogar sympathisiert. Denn schließlich wurde von der Regierung viel versprochen und wenig gehalten, so dass die Enttäuschung unter der Bevölkerung groß war. 70 Prozent der Menschen leben nämlich in Nepal unter der Armutsgrenze von 200 Dollar im Jahr. Hinzu kommt eine Analphabetenrate von ebenfalls 70 Prozent. "Doch dass dann Leute umgebracht wurden, verstieß gegen meine Prinzipien."

Die Gewalt eskalierte, die Armee wurde eingesetzt, und als ihm eines Nachts ein angetrunkener Polizist ein Gewehr auf die Brust setzte, wurde er ab 2000 nach Kathmandu versetzt. Dort arbeitete er nicht mehr direkt an der Basis, sondern aufgrund neuer Strukturen als DED-Koordinator für Ressourcenschutz. In den Bereichen Land- und Forstwirtschaft ging es zum Beispiel um Anpflanzungen, die Sanierung nach Erdrutschen und den Bau von Wasserrückhaltebecken. Wie in den ersten Jahren stand direkte Hilfe im Vordergrund, wobei unser Gesprächspartner die Verarbeitung von Heilpflanzen und die Gewinnung von Öl aus dem Zimtbaum nennt, mit denen Geld zu verdienen ist.

Für Ulli Hoffmann ist das Erlebte Anlass, immer auch das Leben daheim auf den Prüfstand zu stellen. Natürlich gebe es hier Nöte und Ängste, doch vergleichbar mit Nepal seien diese nicht, denn dort gehe es um die nackte Existenz. Die Leute leben wie seit Jahrhunderten von Ackerbau und Viehzucht. Es werde gebettelt und die Kleidung getragen, bis sie vom Leib falle. Doch gastfreundlich seien die Nepalesen "ohne Ende". Zur Vorbereitungszeit habe ein mehrwöchiger Aufenthalt in einer Familie gehört, und auch später sei die Pflege von Bekanntschaften mit den Einheimischen für ihn wichtig gewesen. Klar, dass er auch heute noch mit Ex-Kollegen und Freunden in Ver- bindung stehe. Fotografen und Touristen, die nach Nepal reisen wollen und ihn um Rat fragen, gebe er deshalb regelmäßig kleine Geschenke und Post mit.

Zurückgekehrt ist Ulli Hoffmann im Vorjahr wie 1995 mit dem Motorrad über Indien, Pakistan, Afghanistan, den Iran und die Türkei. Für immer. Nun könnte er sich durchaus vorstellen, im Bildungsbereich zu arbeiten. Deshalb war er im Herbst sofort bereit, für die Akademie "Sonneneck" im Blütengrund mit Schülern Projektwochen durchzuführen. "Denn es ist wichtig, Berührungsängste zu Ausländern abzubauen." Dabei sei auch Kleidung genäht worden, und man habe nepalesisch gekocht. Reis und Linsen sind Grundnahrungsmittel, während Fleisch ein Festmahl ist.

Der 41-Jährige sitzt in seiner Küche mit dem alten Herd, der selbst gebauten Arbeitsplatte aus Eichenholz und den dazu passenden Regalen. Dabei betont er, dass ihm bei der Sanierung des Hauses ein guter Freund sehr geholfen habe. Kulturbedarf wolle er nach den Jahren in Nepal decken. Daneben interessiert er sich für Heimatgeschichte, Bücher und alle Musikrichtungen bis auf Techno und Operetten. Er bekennt, neugierig und offen für alles zu sein. Beruflich suche er neue Herausforderungen jenseits festgefahrener Gleise. Vielleicht auch deshalb führte ihn jetzt das nächste Abenteuer mit der Deutschen Welthungerhilfe nach Afghanistan.

Bis Mai soll er dort das Kreditwesen im ländlichen Raum begutachten und beurteilen, ob Darlehen für Investitionen in Obstplantagen oder Kleintierhaltung zurückgezahlt werden können. Ob es angesichts der politischen Situation dort gefährlich sei? "In Europa ist es auch gefährlich. Wie überall in der Welt. Passieren kann schon etwas, wenn man auf der Autobahn mit 180 überholt wird."