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NSDAP, SED und Drogerie NSDAP, SED und Drogerie: Die bewegte Geschichte vom Sächsischen Hof in Zeitz

Von Petrik Wittwika 24.02.2021, 07:30
So sah der Sächsische Hof in seiner Glanzzeit um 1900 aus.
So sah der Sächsische Hof in seiner Glanzzeit um 1900 aus. Archiv Petrik Wittwika

Zeitz - Mit Fleischermeister Heinrich Claus wechselte die Obere Garküche von ihrem jahrhundertealten Standort in der Gewandhausgasse in Zeitz, wo sich seit Alters her die Fleischbänke im „Garküchenwinkel“ befanden, in die Wendische Gasse. Am 1. Oktober 1868 hat sein Sohn Robert Claus die Lokalität erworben und erbaute 1869 ein völlig neues Haus, das seit nunmehr über 150 Jahren die Wendische Straße prägt.

Genauso wie sein Vater genoss Carl Claus den Ruf einer jovialen und stadtbekannten Persönlichkeit in Zeitz. Unter seiner Führung konnte der Sächsische Hof, das gastronomische Zeitzer Pendant zum „Preußischen Hof“ am Roßmarkt 13, seinen Ruf als eine der angesehensten Einkehrstätten der Elsterstadt behaupten. Darüber hinaus machte Carl Claus sein Lokal noch attraktiver und zu einem Haus „ersten Ranges“. Dafür sorgte bei weitem nicht nur die Zentralheizung und das elektrische Licht.

Aufgestockt

1902 wurde das bis dahin dreieinhalbstöckige Gebäude um eine weitere Etage erhöht. 1906 eröffnete Claus sein „vornehmes Wein-Restaurant“ und warb für „Bäder und Equipagen im Hause“ sowie eine „vorzügliche Küche“. Die als „Equipagen“ bezeichneten Kutschen garantierten Claus’ Gästen bestmöglichen Komfort zwischen Sächsischem Hof und Bahnhof, damit ihnen die An- und Abreise so angenehm wie möglich gestaltet werden konnte. Doch der Erste Weltkrieg veränderte alles.

Hermann Claus verlor als einer der ersten Zeitzer Soldaten 24-jährig sein Leben im August 1914 während einer Kampfhandlung in Frankreich, sodass sich sein Vater aufgrund seines fortgeschrittenen Alters bald darauf gezwungen sah, den Gasthof zu verkaufen. Die letzten Jahre seines Lebens verbrachte Carl Claus zurückgezogen in seiner Wohnung in der August-Bebel-Straße 61 und starb 71-jährig am 30. März 1931, nachdem bereits im Jahr zuvor seine Frau Hulda, Tochter des Gutsbesitzers Kolbe aus Trebnitz, ihre Augen für immer geschlossen hatte.

Erhalten ist die Grabstätte der Familie von Carl Claus auf dem Michaelisfriedhof in Zeitz, aber nur der aufmerksame Besucher wird ihr vermutlich einen Blick zuwerfen, zumal der Efeu als Symbol ewiger Treue die Ruhestätte fest umklammert hat. In oder an seiner langjährigen Wirkungsstätte in der Wendischen Straße 29 erinnert schon lange nichts mehr daran, dass sich hier um 1900 eines der besten Zeitzer Lokale mit Hotelbetrieb befand.

Rege genutzt

Doch auch danach blieb das Haus in reger Nutzung. In den 1920er Jahren gehörte Otto Richter der Sächsische Hof. Mit seiner eigenen Konditorei versuchte er den guten Ruf des Hauses weiterhin hochzuhalten. Auch das Sachsen-Café im Haus lud jeden Tag nachmittags um vier Uhr zum Künstler-Konzert ein. Aber der Niedergang des Hotelbetriebes war nicht mehr aufzuhalten. Ende der 1920er Jahre kaufte der jüdische Zeitzer Unternehmer Jacob Leschziner die Wendische Straße 29, die sich direkt neben seinem Wohn- und Geschäftshaus Wendische Straße 30 befand.

Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten erwarb die Stadt sehr rasch die Immobilie, die am 1. Dezember 1934 zum Haus der NSDAP umfunktioniert wurde. Gleichzeitig öffnete die Gaststätte wieder ihre Tür, allerdings als Zeitzer Hof. Nach dem Zweiten Weltkrieg zogen die SED-Kreisleitung und der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund (FDGB) in das Haus ein. Mehr als 30 Jahre nutzte die SED die Räumlichkeiten, ehe der Neubau am Volksplatz (heute Schützenplatz) bezogen wurde.

Gaststätte bestand um 1950 unter dem Namen Volksgaststätte

Die im Haus befindliche Gaststätte bestand um 1950 unter dem Namen Volksgaststätte. Nachdem die SED-Kreisleitung Ende der 1970er Jahre ihren Sitz verlegt hatte, blieb der Wendischen Straße 29 weiterhin eine intensive Nutzung als Haus der Massenorganisationen bis zur Wendezeit vorbehalten. Großer Beliebtheit erfreute sich die im Erdgeschoss untergebrachte Konsum-Kantine, die Brigitte Thiel mit viel Herzblut leitete. Regelrecht legendär waren ihre Fleischsalat-Brötchen mit Petersiliengarnitur.

In den beiden folgenden Jahrzehnten nach 1990 zog das Haus mit seiner dm-Drogerie bis 2010 täglich viele Menschen an. Inzwischen sind die Ladenlokale schon seit längerer Zeit verwaist, und es bleibt zu hoffen, dass es irgendwann wieder ein Geschäft gibt, damit die Geschichte dieses bekannten Zeitzer Hauses fortgeschrieben werden kann. (mz)

Am 1. Mai 1962 entstand dieses Foto vom Haus der SED, der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, zu dem die Wendische Straße 29 nach dem Zweiten Weltkrieg geworden war.
Am 1. Mai 1962 entstand dieses Foto vom Haus der SED, der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, zu dem die Wendische Straße 29 nach dem Zweiten Weltkrieg geworden war.
Archiv Petrik Wittwika
Das Haus Wendische Straße 29 in Zeitz als Haus der SED, aufgenommen am 1. Mai 1947
Das Haus Wendische Straße 29 in Zeitz als Haus der SED, aufgenommen am 1. Mai 1947
Archiv P. Wittwika