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Rettung aus Problemfamilien Kinderdorf in Zeitz: Hier finden Kinder eine "Ersatzfamilie"

Von Christiane Rasch 22.04.2017, 10:00
Abendbrotzeit im Zeitzer Kinderdorf: Bei Juliane Kipping (links) lernen die Kinder, wie ein geregeltes Familienleben funktioniert.
Abendbrotzeit im Zeitzer Kinderdorf: Bei Juliane Kipping (links) lernen die Kinder, wie ein geregeltes Familienleben funktioniert. Hartmut Krimmer

Zeitz - In ihren jungen Jahren haben sie Dinge erlebt, mit denen selbst Erwachsene zu kämpfen hätten. Sie stammen aus teils zerrütteten Verhältnissen, waren von Beginn an auf sich allein gestellt. Wie ein geregelter Alltag in einer intakten Familie aussehen kann, müssen sie erst lernen.

Das hat sich das Zeitzer Kinderdorf zur Aufgabe gemacht. In einem Wohnhaus in der Clara-Zetkin-Straße finden Kinder mit speziellen Bedürfnissen ein neues Zuhause. Das Besondere: Sie werden dort in eine bestehende Familie aufgenommen.

Kinderdorf in Zeitz: Pflegeeltern kümmern sich um Kinder zerrütteter Familien

Leben mit den Hauseltern Juliane und Christoph Kipping sowie deren zwei leiblichen Kindern unter einem Dach - bis sie auf eigenen Beinen stehen und für sich selbst sorgen können.

„Kinder, die bei uns leben, werden nicht in ihre Urfamilien zurückgeführt“, erklärt Juliane Kipping. Bei einigen ihrer acht Schützlinge habe es in der Vergangenheit massive Vorkommnisse gegeben, die eine Rückkehr unmöglich machten. Es gebe auch Eltern, die aufgrund von Krankheit oder Behinderung nicht imstande sind, sich zu kümmern.

Kinderdorf in Zeitz: Projekt entstand in den 90er Jahren

Die Anfänge des Kinderdorfes liegen im gleichnamigen gemeinnützigen Verein. Der wurde 1990 von einer Gruppe Zeitzer gegründet. „Ihnen war damals aufgefallen, dass es in Zeitz viele Kinder gab, die tagsüber auf der Straße herumlungerten und um die sich niemand kümmerte“, so Kipping.

Die Vereinsmitglieder suchten nach einem Weg, um ihnen eine ganzheitliche Betreuung zukommen zu lassen. Die Idee: Ein Ersatzelternpaar nimmt sich der Kinder an und lebt mit ihnen wie in einer „richtigen“ Familie zusammen. Drei Jahre dauerte es, bis alle nötigen Modalitäten geklärt, ein Wohnhaus und Hauseltern gefunden waren. 1993 schließlich wurde das Projekt Kinderdorf zum ersten Mal in die Praxis umgesetzt.

Kinderdorf in Zeitz: Umfassende Betreuung der Kinder

Die ersten Hauseltern waren Juliane Kippings Schwiegereltern. Sie selbst lernte das Projekt über ein Praktikum vor 14 Jahren kennen und kehrte im Laufe ihres Studiums im Bereich „Soziale Arbeit“ immer wieder zurück.

Denn im Kinderdorf werden die Kinder nicht nur untergebracht, sondern individuell gefördert. „Wir führen hier eine ganzheitliche Betreuung durch, um Defizite auszugleichen, die in früher Kindheit entstanden sind“, erklärt Kipping.

Hierbei findet eine enge Zusammenarbeit mit acht Sozialpädagogen statt. Sie sind täglich vor Ort, um die Hauseltern unter anderem bei der schulischen Förderung zu unterstützen. In die gesundheitliche Betreuung sind zudem Logopäden und Ergotherapeuten involviert. Hinzu kommt der Einsatz der derzeit rund 70 Vereinsmitglieder. Diese ermöglichen etwa kleine Ausflüge, besorgen Bücher und Spielzeug oder helfen aus, wenn es um fachliche Fragen geht.

Kinderdorf in Zeitz: Kinder müssen sich teils erst an feste Regeln gewöhnen

Doch nicht jedes Kind kommt auf Anhieb mit diesem durchstrukturierten Alltag zurecht, in dem es feste Regeln gibt. „Natürlich gibt es Ausnahmen, nicht immer läuft es ideal“, so Kipping. „Aber kein Kind wird hier festgehalten, das Kind entscheidet selbst, ob es uns als Ersatzfamilie annehmen will.“ Denn damit das Zusammenleben in dem Familienbetrieb - wie Kipping ihn nennt - funktioniert, müssen alle an einem Strang ziehen.

Deshalb wird vor dem Einzug eines neuen Bewohners auch gemeinschaftlich mit allen Kindern entschieden, ob dieser zur Familie passt. Zuvor lebt dieser zwei Monate zur Probe im Kinderdorf.

Kinderdorf in Zeitz: Für Kipping und ihren Ehemann bedeutet das Leben dort einen Rund-um-die-Uhr-Job

Für Kipping und ihren Ehemann bedeutet das Leben dort einen Rund-um-die-Uhr-Job. Privates und Berufliches fließt fast nahtlos ineinander. Dass das mitunter an die Kräfte geht, gibt die 30-Jährige ohne Umschweife zu. „Das ist für uns alle ein großes Experiment. Wir machen es solange, wie es uns als Familie damit gut geht. Mein Mann und ich gehen aber nicht davon aus, dass wir das bis zur Rente machen“, so die Sozialpädagogin. Ihr Wunsch sei es, dass sich irgendwann neue Hauseltern finden, die sie in aller Ruhe einarbeiten könne. So wie es bei ihr war. (mz)