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Gemeindeassistentin in Markröhlitz Gemeindeassistentin in Markröhlitz: Kumpel ohne erhobenen Zeigefinger

Von Holger Zimmer 20.04.2001, 18:16

Markröhlitz/MZ. - Als sie das ersteMal in den "Reaktor" schaut, erschrickt sie.Ingeborg Schiffner sieht in dem von den Jugendlichengenutzten Raum im Markröhlitzer Ritterguttropfende Abflussleitungen und verkeimte Wände,zu denen der dreckige Teppich bestens passt."Es kann doch nicht sein, dass man Jugendlichendas antut", sagt sich die 57-Jährige. Kurzzuvor ist sie angesprochen worden, ob sienicht als Gemeindeassistentin arbeiten wolle.Dabei sollte sie auch die Kinder von der Straßeholen.

Zwei Jahre alt ist sie, als das Elternhausin Bad Dürrenberg zerbombt wird. 1950 erhaltenMutter und Vater in Goseck eine Neubauernstelle.Im Ort beginnt sie 1958, mit dem Aufbau derGeflügelfarm der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft,eine Ausbildung. Und die LPG hilft ihr auchbeim Ausbau einer Wohnung in einem alten Haus.In den 70-er Jahren baut die Familie in derMüntzer-Siedlung neu. Hier wohnt auch diejüngste Tochter mit ihrer Familie. Der Sohnlebt in Weißenfels, während die andere Tochter- wie so viele andere - in die alten Bundesländergegangen ist.

Sie selbst arbeitet in Wendezeiten in derPflanzenproduktion Burgwerben, aus der balddie Agrargenossenschaft wird. 400 Beschäftigtesind es, von denen 1993 noch 36 übrig bleiben.Auch ihr nützt das Studium als Agraringenieurnichts. Sie bedient die Tankstelle, doch imPersonalbüro gibt es zwangsläufig immer wenigerArbeit. Ihre Entlassung hat sie dann faktischselbst von der Sekretärin schreiben lassen.Heute sagt das Ingeborg

Schiffner leicht hin, weil alles unausweichlichwar, doch damals habe es durchaus Tränen gegeben,gesteht sie. Sie bekommt wenig später fürein Jahr eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahmein der Freizeiteinrichtung der WeißenfelserSüdstadt, hatte sie doch während der Ferien-und Lehrlingsbetreuung in der LPG schon einschlägigeErfahrungen sammeln können.

Es folgt eine Personalmanagment-Qualifikation.Sie bekommt auch ein Zertifikat, und eineAbschlussprüfung wäre möglich. Aber die machtsie davon abhängig, ob sie mit über 50 Jahrenin dieser Richtung überhaupt eine Chance bekommt.Nach gut 20 vergeblichen Bewerbungen verzichtetsie frustriert auf den Prüfungsstress. DasJahr danach bis zur Einstellung als Gemeindeassistentinbezeichnet sie als bisher längste Durststrecke.

Bald findet sich Platz in den leerstehendenRäumen der ehemaligen Gemeindeverwaltung,die sie nun gemeinsam mit den Jugendlichenherrichtet. Eltern helfen mit Möbeln, diesonst auf dem Grobmüll gelandet wären. Undstolz kann Ingeborg Schiffner darauf verweisen,was inzwischen alles erreicht wird. Fernseher,Musikanlage, Dartsspiel und Billardtisch konntengekauft werden, auch weil die Fördermittelanträgeim Landratsamt schnell bearbeitet werden.Mit den Jugendlichen wird gezeltet, es gehtzum Baden, auf die Bowling- und die Sommerrodelbahn.Jedes Jahr fährt sie außerdem mit einer Kindergruppeins Ferienlager, ist schon in Bad Schmiedeberg,im Selketal und in Potsdam-Rebrücke gewesen.In diesem Jahr soll es nach Zalesi in Südböhmengehen. Für einen Fitnessraum liegen derzeitdie Anträge beim Jugendamt, und für einenTischtennisraum soll wieder selbst Hand angelegtwerden.

Viele im Dorf sprechen von "ihren Kindern",die sie nachmittags im Alter von zehn bis17 Jahren betreut. Mancher stellt schon mittagsauf dem Weg von der Schule draußen das Mopedab und schaut herein. Hierher kommen die Kindernach den Hausaufgaben. Selbst ihre EnkelinFranziska fühlt sich schon dazugehörig. Fürmanche ist sie der Kumpel, für manche Oma-Ersatz.Gibt es Probleme, gehen die Heranwachsendenmitunter sogar lieber zu ihr als zu den Eltern,weil sie nicht gleich mit dem Zeigefingerdroht und dennoch raten und helfen kann. IngeborgSchiffner verweist auf einen Kalender, aufdem 50 Mädchen und Jungen ihre Geburtstageverewigt haben und darauf, dass die Räumeabends den Älteren zur Verfügung stehen.