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Gasthof Gleina Gasthof Gleina: Ende einer Geschichte nach 200 Jahren

Von Petrik Wittwika 29.09.2018, 10:00
1899 lud der Gasthof Gleina in seiner Blütezeit zum Verweilen ein.
1899 lud der Gasthof Gleina in seiner Blütezeit zum Verweilen ein. Archiv/Petrik Wittwika

Gleina - 1929 erwarb die Zeitzer Stadtbrauerei Oettler mit dem Kauf des Gasthofes Gleina eine weitere Lokalität. Oskar Maul hieß der damalige Pächter, der 1922 die Bewirtschaftung des Lokals in dem unweit von Zeitz gelegenen Ort übernommen hatte. Der noch gut bekannte Gastwirt Franz Bücker wurde um 1930 sein Nachfolger und führte den Betrieb als Pächter über Jahrzehnte erfolgreich weiter. Doch das ist alles nur noch Erinnerung: 200 Jahre wurden vom Bagger zerlegt. Bald ist der Gasthof in Gleina tatsächlich nur noch Geschichte. Aber immerhin eine, aus der sich viele Geschichten erzählen lässt.

Eine große Zweckentfremdung erlebte der Saal des Gasthofes auf behördliche Anweisung in den letzten Jahren des Zweiten Weltkrieges. Zeitzeugenaussagen zufolge waren dort ab etwa 1943 zahlreiche Kriegsgefangene inhaftiert, aber auch Deutsche, beispielsweise sogenannte „Schwarzhörer“, die den „Feindsender“, nämlich „Radio London“ (BBC) gehört hatten und von „Volksgenossen“ daraufhin denunziert worden waren, wie man im Dorf nur unter vorgehaltener Hand munkelte.

Gasthof Gleina: Auf dem Podest der Treppe lagen fast jeden Tag die Leichen verstorbener Häftlinge

Zum Sinnbild eines verbrecherisch-maßlosen Regimes wurde ausgerechnet die zum Saal führende Feuer- oder Fluchttreppe, die sich an der Gebäudeseite direkt neben dem Grundstück von Schneidermeister Willy Kirmse befand und unlängst vor einigen Jahren völlig verrostet und verwittert in sich zusammengestürzt und daraufhin beseitigt worden war.

Auf dem Podest der Treppe lagen fast jeden Tag die Leichen verstorbener Häftlinge. Es waren allesamt Menschen, deren Lebensschicksal im „Gasthof Bücker“ sein Ende gefunden hatte. Ein Bild des Grauens für nicht wenige damalige Schulkinder, das bis heute nachwirkt, denn auf dem langen Weg zur Schulbaracke nach Tröglitz mussten sie diesen Anblick jeden Morgen ertragen und irgendwie verarbeiten. Das Zählen der Toten gehörte mit dazu.

Eine „Hengststation“ im Gasthof Gleina

Aber die Geschichte des Gasthofes Gleina wäre geradezu unvollständig ohne eine Erinnerung an die einst dort im Hof untergebrachte „Hengststation“, denn die ursprüngliche Ausspannwirtschaft entwickelte sich im 20. Jahrhundert zu einer sehr angesehenen, über den Kreis Zeitz hinaus bekannten Deckstation für Zuchthengste. Beim ritualmäßig durchgeführten morgendlichen Austritt in Richtung Sprossen konnten die edlen Tiere immer wieder, angeführt vom Gestütswärter oder „Hengstmeister“, in Reih und Glied bestaunt werden.

Die Gleinaer Deck- oder Hengststation war lange eine Filiale des im Stadtteil Kröllwitz in Halle gelegenen Landesgestütes Kreuz und gehörte nach dessen Auflösung 1960 zum Volkseigenen Hengstdepot Neustadt in Brandenburg. In den 1960er Jahren spielte die Pferdezucht in der Landwirtschaft der DDR trotz voranschreitender Technisierung weiterhin eine wichtige Rolle, wobei der „Warmblutzuchtgenossenschaft Gleina“ eine große Bedeutung zukam.

Gasthof Gleina: Noch Ende der 80er Jahre öffneten sich die Türen zur „Rassegeflügelschau“

Noch Ende der 80er Jahre öffneten sich die Türen des Gasthofes zur „Rassegeflügelschau“, zu der so mancher Sonntagsspaziergänger mit Kind oder Enkel vor dem Mittagessen den Weg in den dortigen, mittlerweile sichtlich in die Jahre gekommenen Saal fand. Mit Manfred Kriegel (1947-2016) und seiner „Elvis-Stimme“ lebte der traditionsreiche Gleinaer Gaststättenbetrieb in den frühen 1990er Jahren ein letztes Mal auf. Leerstand und Verfall des gesamten Gebäudekomplexes ließen in den letzten Jahren eine Revitalisierung immer unwahrscheinlicher erscheinen, zumal der Platz vor dem Gasthaus aufgrund der Gefahr herabfallender Gebäudeteile abgesperrt werden musste.

Fast 200 Jahre Geschichte sind inzwischen durch Abriss, mit dem die Firma Christian Bittner aus Kretzschau beauftragt wurde, vollständig besiegelt. Das vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft sowie dem Land Sachsen-Anhalt im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ mit Fördergeld finanzierte und bis in den Spätherbst geplante Vorhaben „dient der Erhaltung, Gestaltung und Entwicklung ländlich geprägter Orte zur Verbesserung der Lebensverhältnisse der Bevölkerung“, wie ein Schild verrät. (mz)