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Wittenberg Wittenberg: Ausstellung erinnert an Judenverfolgung

Von KARINA BLÜTHGEN 10.11.2013, 19:15
Die Ausstellung im Zeughaus findet schon bei ihrer Eröffnung reges Interesse.
Die Ausstellung im Zeughaus findet schon bei ihrer Eröffnung reges Interesse. ACHIM KUHN Lizenz

WITTENBERG/MZ - Es muss anfangs eine unwirkliche Situation gewesen sein an jenem Morgen des 10. November 1938 in Wittenberg. „Der Volkszorn bleibt aus“, schildert der Historiker Ronny Kabus den Tag, Luthers Geburtstag. Es gibt Kranzniederlegungen und Glockengeläut, die Menschen essen Martinshörnchen und gehen zur Psalmenauslegung in den Gottesdienst. Dann kommt am Nachmittag ein Anruf aus Halle, was los sei. Nichts? „Es muss aber etwas los sein“, heißt es barsch. Worauf sich auch in der Lutherstadt unter Führung von SS-Organisationen der organisierte Mob in Bewegung setzt, Geschäfte jüdischer Mitbürger plündert und mit Beilen und Messern deren Wohnungen verwüstet.

Finsterer Tag in der Geschichte

Es ist still bei diesen Schilderungen im Wittenberger Zeughaus, dem Stadtmuseum. Über 100 Besucher sind am Freitag gekommen, um sich der Erinnerung an einen der finstersten Tage in der Wittenberger Geschichte zu stellen. Kabus legt in seinem Vortrag bewusst den Fokus vor allem auf 24 Stunden, auf die „Kristallnacht“ in Wittenberg an Luthers Geburtstag. Er benennt die Opfer, aber auch die Täter wie jenen Sturmbannführer Krause, den er als einzigen selbst noch hat sprechen können, „ein unverbesserlicher Nazi und Antisemit, dem die schwarze Uniform Ansehen und Macht verschafft hat“.

Dass am Freitag keine festliche Stimmung wie sonst bei Ausstellungseröffnungen aufkommt, liegt in der Natur der Sache. „Juden der Lutherstadt Wittenberg im III. Reich“ ist keine Schau, die man ansieht und dann zur Tagesordnung übergeht. Sie hat nicht nur in Deutschland, sondern auch in den USA und Israel Aufmerksamkeit geweckt. „Für uns als Stadt ist eine Freude, zugleich auch Ehre und Verpflichtung, Ihre Ausstellung in unserem Hause zu präsentieren“, sagt Wittenbergs Bürgermeister Torsten Zugehör (parteilos). Ihm fällt es sichtlich schwer, seine Gefühle in Worte zu fassen. Denn so stolz die Wittenberger auf „ihren Luther“ sind, seine Schmähschriften gegen die Juden, die die Nazis für ihre Ideologie nur zu gern aufgriffen, lasten nach wie vor schwer auf dem Gewissen. Dabei gab es, so Kabus, zur Reformationszeit wohl bis auf einige getaufte Hebräisch-Lehrer an der Universität kaum jüdisches Leben hier.

Die Ausstellung widmet sich den gesamten zwölf Jahren nationalsozialistischer Herrschaft und Propaganda gegen die jüdischen Bürger der Stadt, zeigt aber auch, dass es schon in den 20er Jahren Anfänge von Repressalien gab. Ob das SS-Ehrenspalier für den Reichsbischof Ludwig Müller vor dem Katharinenportal des Lutherhauses oder der „SA-Theologen-Sturm“ als Ehrenwache neben dem Stadtkirchenaltar, die Instrumentalisierung Luthers durchdrang das gesamte städtische und kirchliche Leben und ist aus Sicht der Gegenwart um so schwerer zu ertragen.

Deutliches Zeichen gegen rechts

Zusammen mit zwei wunderbaren jiddischen Liedern sowie der Aufführung des Kurzfilmes „Spielzeugland“ ist schon die gut besuchte Eröffnung der Ausstellung ein mahnendes Zeichen gegen rechtes Gedankengut. „Erinnern und Mahnen darf sich nicht auf einen Tag im Jahr beschränken“, sagt Torsten Zugehör. „Vor dem Hintergrund von Schneeberg, NPD-Leuten in Stadträten und besudelten Denkmälern sehen wir noch immer, wie rasant sich das braune Geschwür in die Öffentlichkeit frisst.“

Unübersehbar prangt das J auf dem Ausweis von Richard Wiener.
Unübersehbar prangt das J auf dem Ausweis von Richard Wiener.
Achim KUHN Lizenz