Wirtschaft im Landkreis Wittenberg Wirtschaft im Landkreis Wittenberg: Tanks aus Titan

Wittenberg - Halle reiht sich an Halle. Das Firmengelände ist durchzogen von Schienen. Draußen lagern Bauteile, fast alles glänzt wie die verchromten Stücke einer Autotuning-Ausstellung. Aluminium ist der Werkstoff, auf den der Spezialfahrzeughersteller Feldbinder besonders setzt. Das Unternehmen mit Hauptsitz in Winsen bei Hamburg kaufte 1991 ein zweites Werk im Wittenberger Ortsteil Reinsdorf und baut hier vor allem Tank- und Silofahrzeuge für die Schiene und die Straße.
Und die werden in alle Welt vertrieben. Rund ein Drittel gehe nach Deutschland, der wichtigste Markt für das Unternehmen, ein Großteil in andere EU-Länder, aber Feldbinder-Wagen seien durchaus auch in Japan, Israel und dem Nahen Osten unterwegs, heißt es vom Unternehmen. Aluminium biete sich besonders für das Transportgeschäft an - leicht und widerstandsfähig. Damit senkt sich das Eigengewicht der Fahrzeuge, das zulässige Gesamtgewicht kann also mit mehr Transportmaterial bestückt werden.
Die Tanks beinhalten Flüssigkeiten, von Sirup für die Lebensmittelproduktion bis zu hochätzender Säure. Die Silofahrzeuge enthalten all das, was nicht flüssig ist - oft Baustoffe wie Zement oder Fertigmörtel, oder wiederum Lebensmittel wie Mehl. Jetzt allerdings bauen die Spezialisten an einem exotischen Auftrag: Titantanks.
Tanks und Silos
Die stellen die Konstrukteure und Schweißer im Werk vor hohe Herausforderungen, erklärt Prokurist Peter Boost. „Wir bauen Sonderanfertigungen. Und das machen wir auch bei Stückzahl eins“, sagt er. Etwa 450 Mitarbeiter seien in Wittenberg beschäftigt. Kleinere Teams aus Konstrukteuren beschäftigten sich mit den Maßanfertigungen für die zu transportierenden Güter. Das sorge bisweilen für „exotische“ Aufträge, wie es Boost ausdrückt.
Das trifft auch auf die 15 Kesselwagen aus Titan zu. Darin soll Monochloressigsäure transportiert werden. Der Stoff ist hochgiftig, deswegen auch die erhöhten Sicherheitsvorkehrungen durch die Titantanks.
Und: Die Säure, die in der Pflanzenschutzmittel-, Chemie- und Medizinindustrie zur Anwendung kommt, müsse konstant bei hohen Temperaturen gehalten werden, damit sie nicht fest werde, erklärt Prokurist Boost. „Für uns ist es immer spannend, wenn wir solche Spezialitäten bauen“, sagt er.
Zu den Kunden von Feldbinder gehörten nicht nur Speditionen. Schienenfahrzeuge würden meist von großen Unternehmen gekauft, die ihre Tank- oder Silowagons dann an Industriekunden vermieteten. Dabei sind auch deutlich höhere Stückzahlen üblich - etwa 800 „Fahrzeuge“, wie Boost seine Produkte nennt, werden jährlich in Wittenberg gebaut.
Das Geschäft habe sich in all den Jahren als krisensicher erwiesen, sagt er. „Natürlich arbeiten wir immer im Transportgeschäft. Aber durch die vielen verschiedenen Segmente lassen sich Konjunkturschwankungen sehr gut ausgleichen.“ Die Wirtschaftskrise um 2008 hätte die Produktion von Tankfahrzeugen für die Straße getroffen.
Im Schienensegment, das wesentlich langfristiger angelegt sei, hätte es hingegen Zuwächse gegeben. Zugute dürfte dem Unternehmen auch der Bauboom kommen - schließlich transportieren die Fahrzeuge auch Kalk, Gips und Mörtel.
Dennoch: Das Unternehmen hat - wie die meisten anderen - ein Problem: Die Lieferzeiten sind lang, weil das Personal fehlt. Etwa 20 Stellen im Behälterbau seien unbesetzt, sagt Boost. Das Anforderungsprofil des Unternehmens an seine Mitarbeiter sei speziell - geschulte Konstruktionsmechaniker und Aluminium-Schweißer seien schwer zu finden, der Zeitarbeitsmarkt sei leer.
Auszubildende gesucht
Man habe die interne Ausbildung intensiviert und 13 neue Lehrlinge für dieses Ausbildungsjahr gewinnen können. Das sei eine gute Zahl - dennoch hätten nicht alle freien Ausbildungsstellen besetzt werden können, so Boost.
Hinzu komme, dass Metallverarbeitung schwere körperliche Arbeit bedeute - die Angestellten seien zwar oft seit vielen Jahrzehnten dabei, gingen aber häufig vorfristig in Rente. Das sei zwar absolut verständlich, verstärke aber das Problem „Arbeitskräftemangel“ noch weiter. Zumal am hiesigen Standort weiter investiert wird: Eine Halle wird derzeit neu gebaut, dort werden die Tankböden gefertigt. Eine zweite für die Oberflächenbehandlung soll 2020 oder 2021 folgen.
Geschichte
In Reinsdorf hatte das Unternehmen nach der Wende die Apparate und Chemieanlagenbau Wittenberg GmbH übernommen. Seit über 60 Jahren waren hier Druckbehälter für die chemische Industrie und die Eisenbahn gebaut worden. Feldbinder, das bis dahin nur Silofahrzeuge gebaut hatte, stellte nun auch Tanks her. Der namensgebende Gründer des Unternehmens, Otto Feldbinder, war Anfang 2019 in Wittenberg verstorben.
(mz)
