MZ-Serie „Alt wie ein Baum“ Was die älter werdende Gesellschaft für Pflegedienste bedeutet
100 Jahre und älter – das ist keine große Seltenheit mehr. Aus diesem Anlass hat die MZ die Serie „Alt wie ein Baum“ begonnen. Heute geht es unter anderem um Pflegedienstleistungen.

Wittenberg/MZ. - Auch in Sachsen-Anhalt ist ein Anstieg der Zahl der Hochbetagten zu verzeichnen. Nach Angaben des Statistischen Landesamtes hat sich die Zahl derjenigen, die 99+ sind, seit dem Jahr 2000 erhöht: von damals 25 auf jetzt 37 allein im Landkreis Wittenberg. Wie berichtet leben derzeit in Wittenberg sechs Menschen im Alter von 100 Jahren und darüber. In der MZ-Serie „Alt wie ein Baum“ hat sich Corinna Nitz diesmal beim Geschäftsführer des Deutschen Roten Kreuzes Wittenberg, Karsten Pfannkuch, erkundigt, welche Auswirkungen der demografische Wandel aus dortiger Sicht hat.
Was bedeutet eine immer älter werdende Gesellschaft für Einrichtungen wie das DRK?
Karsten Pfannkuch: Die Nachfrage nach Pflegedienstleistungen steigt stetig. Meist beginnt es mit kleineren Unterstützungen bei der Haushaltsführung, Begleitdiensten zu Ärzten oder auch Hilfe bei der Grundpflege. Mit der älter werdenden Gesellschaft steigt auch die Zahl der Pflegebedürftigen, die im häuslichen Umfeld auf Hilfe und Unterstützung angewiesen sind. Wir betreiben deshalb mittlerweile vier Sozialstationen, zwei Pflegeheime und fünf Tagespflegeeinrichtungen im Landkreis Wittenberg und auch kreisübergreifend – so in der Stadt Dessau-Roßlau und in Zerbst. Im DRK Wittenberg beschäftigen sich aktuell knapp 600 Beschäftigte ausschließlich mit der Pflege – ambulant, stationär und teilstationär.
Bisher in der Serie "Alt wie ein Baum" erschienen:
- Anfang Hundert - Wo im Kreis Wittenberg das Alter erreicht wird
- Was die älter werdende Gesellschaft für Pflegedienste bedeutet
- Senioren basteln gegen das Altern in Annaburg
- Pustewind umweht Senioren: Jessener Kitakinder zu Besuch bei Omis und Opis der Tagespflege
- Kranken- und Pflegekassen: So wirkt sich älter werdende Bevölkerung im Kreis Wittenberg aus
Der demografische Wandel hat aber auch Auswirkungen auf unseren Mitarbeiterstamm. In den kommenden Jahren werden nach und nach die Angestellten aus den geburtenstarken 1960er Jahrgängen in Rente gehen. Daher haben wir in den vergangenen Jahren Maßnahmen eingeleitet, um dem starken Rückgang von Arbeitskräften entgegenzuwirken. Wir bilden an allen Standorten Pflegefachfrauen und -männer aus und halten Strukturen vor, die es auch Altersberenteten möglich machen, noch bei uns zu arbeiten – möglicherweise auch nur stundenweise.
Wie hoch ist der Anteil Hochbetagter, die vom Pflegedienst des DRK Wittenberg betreut werden? Von unseren gut 2.800 ambulant versorgten Klientinnen und Klienten sind 368 Klienten über 90 Jahre und sechs über 100 Jahre alt. Der Leistungsumfang ist dabei aber sehr unterschiedlich. Einige der Hochbetagten leben noch recht selbstständig in ihrem Haushalt, andere brauchen mehrmals am Tag Hilfe bei grundpflegerischen Tätigkeiten wie der Körperpflege, beim Zubereiten von Mahlzeiten, Toilettengängen sowie Hilfe bei der Haushaltsführung.
Wie wirkt sich ein Anstieg bei der Zahl der Hochbetagten auf Beitragszahlungen aus? Das ist eher ein politisches Thema. Aber Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung müssen auch Rentnerinnen und Rentner im hochbetagten Alter zahlen. Die Beitragshöhe richtet sich dabei nach der Höhe der Rente.
Wird die Zahl von Pflegeeinrichtungen und Pflegekräften in Deutschland ausreichen? Die Zahl der stationären Pflegeeinrichtungen wird ausreichend sein, da sich, auch aufgrund der tariflichen Entgeltentwicklung und der damit einhergehenden hohen Eigenanteile, immer mehr Pflegebedürftige/Angehörige für eine Versorgung im häuslichen Umfeld entscheiden bzw. sich die durchschnittliche Verweildauer in einer stationären Einrichtung immer mehr verkürzt. Wenn das Zusammenspiel zwischen ambulanter Pflege und pflegenden Angehörigen gut läuft, lässt sich die Pflege in der gewohnten Umgebung durchaus, auch bei hohem pflegerischem Aufwand, realisieren. Die teilstationäre Versorgung, zum Beispiel in einer Tagespflege, kann dabei den Unterschied machen. So entsteht auch für pflegende Angehörige ein Zeitfenster, in dem die zu Pflegenden versorgt sind, und die Angehörigen einer Tätigkeit nachgehen können. Zukunftsorientiert sehen wir in dem Zusammenhang auch den weiteren Ausbau von altersgerechten beziehungsweise betreuten Wohnformen. Durch die gesetzlich eingeführte Tariftreue für Pflegeunternehmen wird der Beruf der Pflegekraft finanziell attraktiver. Wir beschäftigen viele Quereinsteiger, die geschult und in die pflegerischen Tätigkeiten eingearbeitet werden.
Viele Menschen, gerade aus dem Niedriglohn-Sektor, orientieren sich dabei gezielt um und suchen Tätigkeiten, bei denen sie tarifliche Bedingungen geboten bekommen. Auch bei den Schulabgängern verzeichnen wir einen Zuwachs an Bewerbungen, weil sich scheinbar der Ruf der Branche positiv verändert hat.
Wie verändert der demografische Wandel mit immer mehr Hochbetagten familiäre Strukturen – zum Beispiel wenn über 70-Jährige die Pflege ihrer Eltern übernehmen? Da haben wir die Erfahrung gemacht, dass es für ältere Pflegepersonen wichtig ist, Entlastungsangebote wahrzunehmen. So durch Betreuungsgruppen oder den Besuch einer Tagespflege. Besucht die zu pflegende Person zum Beispiel eine unserer Betreuungsgruppen, hat die Pflegeperson einen Freiraum von etwa drei Stunden am Tag.
Für den Pflegebedürftigen bringt eine solche Teilnahme Abwechslung, Beschäftigung und Kontakt zu Gleichaltrigen. Beides wird durch die Pflegekasse mitfinanziert. Immer mehr pflegende Angehörige sind auch an Selbsthilfegruppen interessiert, um sich mit anderen Pflegepersonen auszutauschen und Wege zu finden, die eine häusliche Versorgung verbessern oder sicherstellen können. Denn die größte Gefahr bei älteren Pflegepersonen ist die Überlastung mit der häuslichen Versorgung. Oft sind es nicht nur die zu Pflegenden, die einen Nachteil dabei erfahren, sondern auch die Pflegepersonen selbst. Denn die Pflege und Versorgung von den eigenen Verwandten ist nicht zu unterschätzen.
Welche Angebote müsste es aus Ihrer Sicht für Hochbetagte in einer Stadtgesellschaft oder im ländlichen Raum geben? Und: Wird da schon genug getan? Die Herausforderungen liegen meist in der Bewältigung des Alltags. Das heißt, dass die Versorgung mit Lebensmitteln einen ganz wichtigen Raum einnimmt. Wir sehen das gerade bei unseren Pflegebedürftigen, die nicht im Stadtgebiet wohnen. Für sie ist der Einkaufsservice ein sehr wichtiger Bestandteil unseres Leistungsangebotes. Einkaufsmöglichkeiten, insbesondere Lebensmittel, sind im ländlichen Bereich faktisch nicht vorhanden. Die Hochbetagten sind auf Hilfe von Angehörigen oder Pflegediensten angewiesen.
Wobei auch das gemeinschaftliche Einkaufen, also die Begleitung von Hochbetagten sehr wichtig ist. Das blanke Einkaufen nach „Zettel“ ist für die Pflegebedürftigen nicht befriedigend, sie möchten selbst die Dinge sehen und auch mal etwas einkaufen, das ihnen spontan ins Auge fällt. Lebensmittel-Fahrzeuge, ähnlich wie der bekannte „Bäcker-Wagen“, würden an dieser Stelle sicher das ländliche Angebot verstärken.
Wir haben ebenso festgestellt, dass der Ausbau von Angeboten zur gesellschaftlichen Teilhabe einen hohen Stellenwert einnehmen wird. Die Hochbetagten haben, allein aufgrund ihrer eingeschränkten Mobilität, die Gefahr zu vereinsamen. Die Teilnahme an Betreuungsgruppen, der Besuch von Tagespflegen oder Gemeinwesenzentren würde die gesellschaftliche Einbindung stärken beziehungsweise sicherstellen.
Gerade im Gemeinwesenzentrum vor Ort, also in den Ortschaften und Gemeinden, könnte man Hochbetagte und ältere Menschen für Aktivitäten zusammenbringen und ein attraktives Angebot schaffen. Im Stadtgebiet gibt es bereits meist entsprechende Angebote. Zum Beispiel durch uns selbst über die offene DRK-Seniorenarbeit im Torhaus in Piesteritz oder unsere Begegnungsstätten in Coswig und Jessen.