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Paul Gerhardt Stift Tagung in Wittenberg behandelt Tabu-Thema: Gewalt in der Pflege und wo sie anfängt

Bei einer Tagung beleuchten leitende Mitarbeitende aus dem Landkreis Wittenberg ein sensibles Thema: Es geht um Gewalt. Wo fängt sie an? - Und welche Formen gibt es?

Von Corinna Nitz Aktualisiert: 25.05.2022, 17:44
Ein Gruppenfoto gehört auch zur Klausurtagung, wenn diese wieder in Präsenz stattfinden kann. Bei der Tagung der leitenden Pflegekräfte der Johannesstift Diakonie im Kreis war das so. Sie trafen sich in Nienburg.
Ein Gruppenfoto gehört auch zur Klausurtagung, wenn diese wieder in Präsenz stattfinden kann. Bei der Tagung der leitenden Pflegekräfte der Johannesstift Diakonie im Kreis war das so. Sie trafen sich in Nienburg. Foto: Janet Pötzsch

Wittenberg/MZ - Wer im Internet die Suchworte Gewalt in der Pflege eingibt, erhält in nicht einmal einer Sekunde mehr als 16 Millionen Ergebnisse. Nicht wenige Beiträge handeln von Übergriffen pflegebedürftigen Menschen gegenüber, doch ist das wohl zu kurz gegriffen. Aus vielen Perspektiven beleuchtet wurde das Thema jetzt bei einer Klausurtagung für leitende Pflegekräfte der Pflegeeinrichtungen Pflege & Wohnen Georg Schleusner in Wittenberg, Pflege & Wohnen Katharina in Oranienbaum und Pflege & Wohnen Barbara in Zschornewitz.

Die Einrichtungen befinden sich in Trägerschaft der Johannesstift Diakonie, zu der auch das Evangelische Krankenhaus Paul Gerhardt Stift in Wittenberg gehört. Wie dessen Sprecherin Janet Pötzsch, die auf MZ-Nachfrage über die Veranstaltung informiert, mitteilt, fand die Tagung in Nienburg an der Saale statt. Auf die Frage, ob es einen aktuellen Anlass für die Tagung und die Wahl des Themas gegeben habe, sagt Kathi Max von der Oranienbaumer Einrichtung zur MZ, dass es keinen Vorfall gab, und: „Prävention muss im Vordergrund stehen.“ Wichtig sei auch die Sensibilisierung - in beide Richtungen.

Um welche Fragestellungen ging es?

„Übergriffe von beispielsweise demenzkranken Bewohner*innen auf unsere Mitarbeitenden sind nicht so selten. Wir haben das Thema Gewalt aber auch aus vielen anderen Blickwinkeln beleuchtet“, wird Heike Fischer, Geschäftsführerin der Pflegeeinrichtungen der Johannesstift Diakonie im Landkreis Wittenberg, in einer Mitteilung zitiert. Wo fängt Gewalt an, welche Formen gibt es und worin bestehen die Ursachen - mit dieser Fragestellung beschäftigten sich demnach die Wohnbereichsleitungen und ihre Stellvertreterinnen und Stellvertreter zu Beginn der Klausurtagung.

Welche Formen von Gewalt in der Pflege gibt es im Einzelnen?

Psychische Gewalt, physische Gewalt, intime Übergriffe, aber auch Vernachlässigung wurden benannt und jeweils Beispiele aus dem Alltag aufgezählt sowie Ursachen beleuchtet. „Es ging dabei nicht darum, Bewohner*innen oder gar Pflegekräfte vorzuführen, sondern sehr sensibel auf das Thema einzugehen und mithilfe von Workshops aufzuzeigen, wie schmal der Grat zwischen Fürsorge und empfundener Gewalt manchmal sein kann“, so Teilnehmerin Kathi Max, Einrichtungs- und Pflegedienstleitung im Pflege & Wohnen „Katharina“ in Oranienbaum.

Sie benennt zwei Beispiele, die, wie es weiter heißt, von ihren Kolleginnen und Kollegen aufgezählt wurden: „Wenn ein Bewohner sich nicht waschen lassen möchte, wir es aber dennoch tun, weil es aus hygienischen Gründen einfach sein muss, könnte der Bewohner dies bereits als intimen Übergriff und somit als eine Form der Gewalt empfinden. Oder eine Bewohnerin empfindet es als psychische Gewalt, wenn wir ihr gut zureden, doch an den Freizeitbeschäftigungen teilzunehmen - obwohl sie es eigentlich gar nicht möchte.“

Was könnte außerdem in Betracht kommen?

Auch fehlender Blickkontakt beim Gespräch mit Bewohnerinnen und Bewohnern, das Duzen der Pflegebedürftigen, das Aufräumen von Nacht- oder Kleiderschrank, ohne vorher zu fragen, wurden den Angaben zufolge von Tagungsteilnehmern als „übergriffige Handlungen“ benannt.

Welche Umstände führen zu solchen Handlungen in der Pflege?

„Häufig entsteht dies aus der Situation heraus - doch Zeitdruck oder Stress dürfen niemals ein Alibi sein, um den Grat zwischen Fürsorge und empfundener Gewalt zu rechtfertigen“, so Kathi Max. Deshalb seien während der Klausurtagung nicht nur Ursachen benannt, sondern vor allem Wege gesucht worden, um in verschiedenen Situationen richtig reagieren zu können. „Es geht darum, achtsam und respektvoll mit einander umzugehen - nicht nur gegenüber den uns anvertrauten Menschen, sondern natürlich auch im Team selbst“, benennt Heike Fischer das Ziel der Klausurtagung.

Zwei Tage  sind die Mitarbeiter in Klausur gegangen.
Zwei Tage sind die Mitarbeiter in Klausur gegangen.
Foto: Stefan Krutzger

Wie wird es nun weitergehen?

Im nächsten Schritt sollen die in den Workshops erarbeiteten Inhalte nun ausgewertet und mögliche Maßnahmen abgeleitet werden. Fischer zufolge ist es das Ziel, „bis Ende August 2022 ein Konzept zum Thema Gewalt in der Pflege zu erstellen und dazu auch Teamsitzungen und Fortbildungen über unsere unternehmenseigene Akademie anzubieten“. Es gebe Schutzkonzepte und Gesetze für andere hilfsbedürftige Personengruppen, wie zum Beispiel Kinder. Mit der Klausurtagung wollten die Teilnehmer ein Zeichen setzen, dass, wie es heißt, „auch pflegebedürftige Menschen einen ganz besonderen Schutz genießen müssen“.