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Albtraum nach Leitungsbruch Stromleitung gerissen: Rentnerehepaar kämpft um Entschädigung

Eine abgerissene Freileitung, ein funkenreiches Feuerwerk und traumatisierende Stromschläge: Ein Rentnerpaar aus Apollensdorf erlebt einen Albtraum. Jetzt kämpfen sie um Gerechtigkeit.

Von Julius Jasper Topp Aktualisiert: 28.08.2024, 11:55
Das Ehepaar aus Apollensdorf sorgt sich  nach dem Abriss der Freileitung von ihrem Haus (links) auch um die Sicherheit der anderen Leitungen.
Das Ehepaar aus Apollensdorf sorgt sich nach dem Abriss der Freileitung von ihrem Haus (links) auch um die Sicherheit der anderen Leitungen. (Foto: Bauer)

Apollensdorf/MZ. - Die Familie erwacht an einem Sonntagmorgen, es ist der 14. Juli 2024. Die Frau geht in die Küche, der Mann ins Bad. Als Thomas Bauer die Badezimmerarmaturen berührt, durchfährt ihn ein Stromschlag. Seine Frau, Larisa Schröder-Krotova, sieht derweil in der Küche eine dunkle Flüssigkeit auf dem Boden.

Während die beiden noch nach der Ursache suchen, meldet sich eine Nachbarin. Eines der Kabel der Freileitung, die das Dreifamilienhaus in der Alten Dorfstraße im Wittenberger Ortsteil Apollensdorf mit dem Netz verbindet, ist in der Nacht abgerissen. Ein Nachbar habe ein „Feuerwerk“ gesehen, als die Leitung abfiel. Von einer zuckenden Stromleitung, die Funken sprühte, habe er berichtet. „Ein Wunder, dass keiner gestorben ist“, sagt Thomas Bauer.

Nur um wenige Minuten habe der Leitungsabriss die 40-jährige Tochter verfehlt, die nachts von einer Geburtstagsfeier nach Hause kam. Wie es zu diesem Vorfall gekommen ist, warum die Betroffenen Anzeige erstatten und wer die Verantwortung trägt.

Die Befestigung der Freileitung an der Fassade vom Haus.
Die Befestigung der Freileitung an der Fassade vom Haus.
(Foto: Familie Bauer/Schröder-Krotova)

Gerissene Freileitung sorgt für erheblichen Schaden im Haus

Ein von der Familie angefragter Gutachter schreibt später, dass die gerissene Aderleitung für die Erdung des Gebäudes zuständig war. Ohne diese Leitung habe es eine Spannungsverschiebung gegeben, womit bis zu 400 Volt durch das Haus geflossen sein könnten. Die meisten Geräte seien allerdings nur für den üblichen Hausstrom von 230 Volt ausgelegt und nähmen entsprechend Schaden.

Elektronik zerstört: Kostenexplosion nach Stromschaden in Wittenberg

Das zeigt sich im Inneren. Die Heizungssteuerungen sind durchgeschmort. Weil in dem Mehrfamilienhaus mal Wohnungen einzeln vermietet waren, gibt es unglücklicherweise gleich drei davon. Auf Bildern, die das Ehepaar vorzeigt, sind durchgebrannte Platinen und Stecker zu sehen. Das gleiche Schicksal traf die Steuerung des elektrischen Garagentors. In der Küche sorgte der Überspannungsstrom gar dafür, dass die Schweißnähte der Heizungsrohre so heiß wurden, dass sie das Heizwasser nicht mehr zurückhalten konnten und sich Pfützen auf dem Küchenboden bildeten. Sogar am mit Edelstahl verkleideten Kühlschrank sind Schmauchspuren zu sehen.

Verschmorte Kabel an der Heizung
Verschmorte Kabel an der Heizung
(Foto: Familie Bauer/Schröder-Krotova)

Seit über einem Monat lebt das Paar nun ohne warmes Wasser – „wir haben nur noch den Wasserkocher“, sagt Larisa Schröder-Krotova. Alles in allem sei ein Schaden von etwa 20.000 Euro entstanden, schätzen die Beiden. „Für uns als Rentner kaum finanzierbar“, sagt Bauer.

Während die Freileitung recht schnell wieder repariert worden sei – nach dem Anruf bei den Stadtwerken sei bereits am Mittag ein Bautrupp gekommen, um das abgefallene Kabel zu reparieren und den Strom wieder herzustellen, kämpfen beide nun um Schadensersatz für die defekte Elektronik im Haus.

Stadtwerke reagieren schnell, aber Versicherungsfragen bleiben offen

Die Stadtwerke haben dem Fall offenbar eine hohe Priorität eingeräumt. Deren Geschäftsführer, Andreas Reinhardt, traf sich gleich zwei Mal mit der Familie, beim letzten Gespräch besuchte er sie Zuhause. Auf Anfrage der MZ erklären die Stadtwerke, dass sich ein Null-Leiter einige Zentimeter von der Hausfassade entfernt gelöst habe. Die Ursache sei nicht bekannt.

„Unsere Geschäftsführung bedauert die Auswirkungen, die mit dem Schaden an der Hausanlage entstanden sind“, schreibt die Pressestelle der Wittenberger Stadtwerke. Und betont: „Zur inhaltlichen Einordnung ist wichtig zu wissen, dass unsere Leistungsgrenze als Verteilnetzbetreiber an den Freileitungsklemmen des Hausanschlusses außerhalb des Hauses endet. Alle darauffolgenden Anlagenteile (mit Ausnahme des Zählers) gehören zur Kundenanlage und liegen somit im Verantwortungsbereich des Hauseigentümers.“ Zum Versicherungsfall wolle man sich nicht äußern, da dieses Verfahren noch laufe.

Marode Freileitungen: Sicherheit und Zukunft in Frage gestellt

Das Ehepaar sieht im Gespräch mit der MZ weitere Freileitungen in der Umgebung als ähnlich marode an, wie es die an ihrem Haus gewesen sei. „Nicht auszudenken, wenn so eine Leitung am Tag abreißt und einen Fußgänger trifft“, meint Thomas Bauer. Die beiden haben bei der Polizei Anzeige erstattet. Wegen fahrlässiger Körperverletzung gegen die Stadtwerke. Dass ein herabfallender Ast die Leitung abgerissen habe, schließen beide aus. In der Nähe der Bruchstelle stehen keine Bäume.

Die defekte Leitung
Die defekte Leitung
(Foto: Familie Bauer/Schröder-Krotova)

Die Stadtwerke antworten hierauf, dass Freileitungen in der Stromversorgung weiterhin „nicht unüblich“ seien. Deren Lebensdauer liege in der Regel bei etwa 80 Jahren. Und: „Freileitungen sowie deren Masten, Stützen und Isolatoren werden von uns in regelmäßigen Abständen gesichtet.“ Die betroffene Leitung sei im Jahr 1965 errichtet worden, eine Erneuerung oder Sanierung dieser sei aktuell bis zum Ende der wirtschaftlichen Lebensdauer – sprich um das Jahr 2045 – nicht vorgesehen. Zuletzt sei die Leitung 2022 grundlegend überprüft worden.

Erst im März habe man die Bäume in der unmittelbaren Nähe der Leitung ausgeästet. „Anliegenden Anwohnern bieten wir jedoch alternativ zur Stromversorgung über die Freileitung gern die Möglichkeit der Installation eines Kabelhausanschlusses an. Aber auch hier gilt der Hinweis, dass die Installation der Kundenanlage im Haus nicht in unseren Zuständigkeitsbereich fällt, sondern durch eine Elektrofachfirma erfolgen muss“, schreiben die Stadtwerke. Bedeutet: Die Kunden können auch auf Erdkabel zurückgreifen, das ist aber mit Kosten verbunden.

Wachsender Frust: Kampf um Schadensregulierung geht weiter

Mit der Versicherung der Stadtwerke kämpfen Larisa Schröder-Krotova und Thomas Bauer nun schon seit mehreren Wochen – und wachsendem Frust. In einem Schreiben von Anfang August teilte der Kommunale Schadenausgleich zunächst mit, dass er nur einen geringen Teil der Schäden regulieren wolle, weil er kein Verschulden der Stadtwerke sehe. Noch immer gebe es deswegen Gespräche. Von Seiten der Stadtwerke sei ihnen aber zugesichert worden, dass sich diese beim Versicherer für sie einsetzen wollen, sagen die Apollensdorfer.

In welchem Umfang jetzt Kosten übernommen werden, ist bislang nicht klar. Larisa Schröder-Krotova ärgert sich: „Wir sind in Ruinen aufgewacht und jetzt will keiner etwas tun.“