1. MZ.de
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Wittenberg
  6. >
  7. Stolpersteine: Stolpersteine: Gunter Demnig erinnert an Holocaust-Opfer in Wittenberg

Stolpersteine Stolpersteine: Gunter Demnig erinnert an Holocaust-Opfer in Wittenberg

Von Stefanie Hommers 17.11.2016, 16:39
Gunter Demnig verlegt den Stolperstein am Markt 14 in Wittenberg.
Gunter Demnig verlegt den Stolperstein am Markt 14 in Wittenberg. Thomas Klitzsch

Wittenberg - Sechs Millionen ermordete Juden, das sei eine abstrakte Größe, wenig fassbar und kaum zu begreifen, findet Gunter Demnig. Beleuchtet man indes die Einzelschicksale hinter den nackten Zahlen, dann bekommt Geschichte ein Gesicht, zumal, wenn es sich um Menschen handelt, die einmal in der eigenen Heimatstadt lebten, Nachbarn waren.

Einen „etwas anderen Geschichtsunterricht“ nennt der in Köln lebende Künstler denn auch sein Langzeit-Projekt „Stolpersteine“ und er will vor allem junge Leute erreichen mit der in Messing geprägten Erinnerung, eingelassen in den Boden vor den Wohnhäusern oder Arbeitsstätten von Opfern des Nationalsozialismus. Es gibt jetzt 30 solcher Steine in Wittenberg, die letzten wurden am Donnerstagmorgen verlegt - wie immer von Demnig selbst.

30 Namen, 30 Geburtstage und nahezu 30 Todesdaten, soweit sie bekannt sind – mehr verrät die Spur der Stolpersteine zunächst nicht. Das Leben dazwischen, der Alltag das Leiden und der Weg zum qualvollen Ende stecken jetzt zwischen zwei Buchdeckeln. „(Un)vergessene Nachbarn“ lautet der Titel der Broschüre, die zu einem Spaziergang einlädt, bei dem sich 30 Schicksale laufend erschließen.

Die Broschüre „(Un)vergessene Nachbarn. Ein Rundgang zu den 30 Stolpersteinen in der Lutherstadt Wittenberg“ ist im Drei Kastanien Verlag erschienen. Die Veröffentlichung wurde im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben“ gefördert. Die Initiatoren, die 2008 mit der ersten Verlegung begannen, setzen damit einen (vorläufigen) Schlusspunkt unter ihr langjähriges Engagement. Wenn jemand den Staffelstab übernehmen wolle, so Reinhard Pester, Renate Gruber-Lieblich und Mario Dittrich, seien sie jedoch gern bereit, die weitere Arbeit zu unterstützen.

Von 2008 an hatten Reinhard Pester, Renate-Gruber-Lieblich und Mario Dittrich sich zusammengetan, um die Stolpersteine auch nach Wittenberg zu bringen, und dabei oft mühsam Informationen zu den einzelnen Lebenswegen recherchiert, in Archiven gewühlt, Kontakte zu Angehörigen geknüpft. Manchmal sind sie auf ungewöhnlichen Wegen fündig geworden.

Eine Ebay-Kleinanzeige hat Reinhard Pester unlängst einen Kleiderbügel beschert. Hölzern und mit Werbeaufdruck für ein Modehaus in der Collegienstraße 22 verweist er auf das Bekleidungsgeschäft der Familie Hirschfeldt und landet als Präsent in den Händen von Ruth Friedmann. Sie hatte 2014 Kontakt zur Stolpersteininitiative aufgenommen und konnte wertvolle Informationen zur Geschichte ihrer Verwandten beitragen.

Zur Stolpersteinverlegung am Donnerstag ist sie eigens aus Tel Aviv angereist. „Mir ist es wichtig, dass man die Familien nicht vergisst, dass Menschen, die die Steine sehen, sich Fragen stellen“, sagt sie.

Der Künstler, die zahlreichen Initiativen vor Ort und die Informationen der Angehörigen haben dazu beigetragen, dass es mittlerweile über 50.000 Stolpersteine gibt, in Deutschland und in 20 weiteren Ländern Europas, seit kurzem gibt es auch Kontakte nach Mazedonien und Finnland, so Demnig.

Natürlich gebe es auch Gegner. Mancher errege sich darüber, dass auf den Steinen herumgetrampelt werde. Der Stolpersteinleger kann das nicht nachvollziehen. Für ihn ist das gewählte Material von Bedeutung. „Messing wird blank, wenn man darüber läuft, je mehr Menschen die Steine betreten, desto heller strahlen sie und desto intensiver wird die Erinnerung blankpoliert“, argumentiert er.

Damit dies aber überhaupt funktioniert, bedarf es noch einer weiteren Gruppe von Unterstützern: derjenigen, die für die Verlegung der Steine Geld spenden. Auch am Donnerstag sind die Stolpersteinpaten wieder mit von der Partie. „ConAct“, das Koordinierungszentrum Deutsch-Israelischer Jugendaustausch, hat die Patenschaft für den Stein von Isidor Preminger am Markt übernommen. Das sei eine Ehre, sagt Christin Henke und verweist darauf, dass der Holocaust „bei unserer Arbeit immer noch und immer wieder eine zentrale Rolle spielt“.

Im Hintergrund hält sich ein Paar, das aus Nordrhein-Westfalen angereist ist und die Steine für Berta und Martin Wiener in der Breitscheidstraße finanzierte. Ihre Namen wollen sie nicht offenbaren, wohl aber ihre Beweggründe. „Wir leben in einer Situation, die deutlich macht, was geschehen kann, wenn man sich nicht mehr erinnert“, finden sie und hoffen, dass, wenn man die Vergangenheit im Hier und Heute lebendig hält, dies auch auf die Gegenwart ausstrahlt. (mz)

Der Stolperstein für Isidor Preminger wurde in Wittenberg verlegt.
Der Stolperstein für Isidor Preminger wurde in Wittenberg verlegt.
Thomas Klitzsch