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Radfahren in Wittenberg Radfahren in Wittenberg: Theoretische Trockenübungen

Von Rainer Schultz 21.08.2015, 06:38
Viele fahren Rad in der Stadt - die Bedingungen für sie könnten besser sein, im Bild: die Breitscheidstraße.
Viele fahren Rad in der Stadt - die Bedingungen für sie könnten besser sein, im Bild: die Breitscheidstraße. Baumbach Lizenz

Wittenberg - Welch ein Pech. Es regnet Strippen. Der geplante Radwegecheck, initiiert vom Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) und Bündnis 90/die Grünen in Zusammenarbeit mit der Stadt fällt am Dienstag buchstäblich ins Wasser. Praxisnah sollte das Ganze selbstverständlich per Rad stattfinden. Nun muss improvisiert werden.

Vorbild in der Verwaltung

Bürgermeister Jochen Kirchner, als solcher auch für Verkehrsplanungen zuständig, zögert nicht lange und lädt die Radwegeexperten und Radlobbyisten ins Rathaus ein. Ein Mann wie Kirchner darf für die Verwaltung getrost als Vorbild gelten, denn täglich sieht man ihn von Mühlanger zu seinem Arbeitsplatz nach Wittenberg radeln. Wenn von der „Materie“ Radweg die Rede ist, so bedeutet dies für ihn kein Buch mit sieben Siegeln. Da kann der „zweite Mann“ im Wittenberger Rathaus durchaus ein Wörtchen mitreden. Dies nicht nur vom „Grünen Tisch“.

Lobbyarbeit gefragt

Man ist sich einig. All diejenigen, die das städtische Radwegenetz an diesem Tag auf den Prüfstand bringen wollen, möchten in den nächsten Jahren etwas bewegen – einen Qualitätsschub in Sachen Radwege. Die das ankurbeln wollen, sind der Kreisverband des ADFC Wittenberg, der an diesem Nachmittag stark vertreten ist. Lobbyarbeit für die Radfahrer der Stadt leisten ist angesagt. Für Ramona Hoffmann als ADFC-Vorsitzende, aber auch Thomas Schmid (Vorstand) und Reinhild Hugenroth (Kreisvorsitzende Bündnis 90/die Grünen) ist dies, wie sie sagen, Herzenssache. „Wir haben durchaus noch einigen Nachholbedarf in Sachen Qualität von Radwegen“, betont Ramona Hoffmann und nennt dabei die Breitscheidstraße und die Lutherstraße, aber auch Abschnitte der Schiller- und Friedrichstraße als derzeitige Sorgenkinder.

Positive Neuigkeiten

Verkehrsplanerin Enikö Andersen kann an dieser Stelle schon mal Positives verkünden: „Wir sind dabei, die derzeitigen Schwachstellen zu beseitigen. 2015 geschieht da schon einiges.“ Dabei verweist sie auch auf einen deutschlandweiten Fahrradklimatest, eine repräsentative Umfrage des ADFC, der Wittenberg immerhin auf Platz zwei in Sachsen-Anhalt platziert und einen Mittelfeldplatz in Deutschland attestiert. „Wir wollen uns aber nicht auf solchen Lorbeeren ausruhen“, verweist Bürgermeister Kirchner auf noch vorhandene Defizite. „Als Touristenstadt mit einem hohen Fahrradpotential müssen positive Umfrageergebnisse stets neu ,erkämpft’ werden und vor allem der Praxis standhalten.“

In Deutschland gibt es gegenwärtig (Stand 2014) 72 Millionen Fahrräder bei einer Bevölkerungszahl von 81 Millionen. Die Tendenz ist steigend, bestätigen Fahrradhändler. Der Umsatz durch Fahrradverkäufe lag bei 1,980 Milliarden Euro pro Jahr.

Die meisten Fahrradimporte in Deutschland kamen mit 19 Prozent aus Kambodscha. E-Bikes stehen in Deutschland hoch im Kurs. 480.000 davon wurden im vergangenen Jahr verkauft. 1,3 Millionen E-Bikes sind bereits auf Deutschlands Straßen anzutreffen. 3,95 Millionen Fahrräder wurden in einem Jahr verkauft. Der Durchschnittsverkaufspreis lag bei 513 Euro pro Rad. Zum Vergleich: Der Holländer bezahlt für seinen geliebten Drahtesel durchschnittlich 791 Euro. Die boomende Fahrradindustrie zählt etwa 50.000 Beschäftigte in Deutschland.

Eine rosarote Lokalbrille hilft dabei wenig. „Wir müssen uns im Reformationsjahr 2017 auch auf ein größeres Fahrradaufkommen gefasst machen“, sieht es Thomas Schmid (ADFC) recht realistisch. Dirk Kralisch, Chef eines Wittenberger Fahrradgeschäftes mit Werkstatt, ist sich dieser Herausforderung bewusst. Zur Zeit reicht seine Kapazität für etwa 35 bis 40 Leihfahrräder für Touristen. Das wird bei weitem nicht reichen. Der Kirchenkreis plant 200 bis 1 000 Fahrräder zusätzlich zur Verfügung zu stellen. Zielgruppe sind die zahlreich zu erwartenden Konfirmandengruppen und das Organisationsteam für den Kirchentag 2017. Das bedeutet auch, die Abstellmöglichkeiten am Hauptbahnhof auszubauen. Im Gespräch ist wie berichtet auch die Einrichtung einer „Fahrradstation“, für die aber ein Investor benötigt wird.

Hunderte Touris pro Tag

Täglich passieren 400 bis 500 Radtouristen die Lutherstadt. Wie beurteilen sie den Zustand der Fernradwanderwege? Was ist verbesserungswürdig? Ein Aufruf über die Anrainerkommunen soll mit Hilfe einer Umfrage bis November konkrete Ergebnisse liefern. Sachsen-Anhalts ADFC-Chef Christoph Deike sieht darin wichtige Ansatzpunkte, mit den gesammelten Fakten und Zahlen als Argumentationsmaterial etwas in die Wege leiten zu können. Wittenbergs Stadtrat dürfte inzwischen ohnehin bereits parteiübergreifend für das Thema Radwege sensibilisiert sein.

Der jetzt ausgefallene Radwegecheck vom Dienstag werde übrigens im September nachgeholt, hieß es seitens der Beteiligten. (mz)