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Qualitativ hohe Streitkultur trotz vieler brisanter Themen

Von MICHAEL HÜBNER 20.04.2009, 18:15

GRÄFENHAINICHEN/MZ. - Der Mann, der Direktor der Sekundarschule in Bad Schmiedeberg ist, strahlt dabei Ruhe aus. Und bringt sich oft auch selbst in die Diskussion ein. Seine Statements sind kurz und prägnant, lassen aufhorchen. Der Mann ist parteilos, gehört aber der CDU-Fraktion an, was mitunter in Anbetracht deutlicher Kommentare nicht wirklich zu verheimlichen ist.

"Wir mussten ihn anfangs schon daran erinnern, dass er unserer Fraktion angehört", sagt der Vorsitzende, Joachim Hohmann. Dabei habe sein Mann schon seine "Neutralität bewiesen", eben manchmal sogar zu viel. "Seine Rhetorik ist hervorragend, er ist clever. Wir haben uns schon etwas dabei gedacht, als wir ihn vorgeschlagen haben", so Hohmann. Müller hatte sich parteiintern gegen Walter Schwiersch durchgesetzt (die MZ berichtete).

Und der Sieger des Duells erhält - und das ist in Gräfenhainichen durchaus nicht Alltag - auch Lob von der eigentlichen politischen Konkurrenz. "Die großen Schuhe, in die er rein musste, hat er gut ausgefüllt", sagt SPD-Fraktionschefin Ingeborg Bauer und erinnert damit auch an die Leistungen von Müllers Vorgänger, Bernhard Twardy (CDU).

"Die Messlatte war sehr hoch gelegt", erklärt auch die Fraktionschefin der Linken. Für Christel Lück ist die Einschätzung der Arbeit eines Ratsvorsitzenden immer auch eine Frage der Interpretation. "Agiert er im Interesse des gesamten Rates oder seiner Fraktion?", so die Vize-Ratschefin, die dem Vorsitzenden eine Tendenz zur CDU attestiert.

Müller selbst zieht für sich übrigens eine eher durchwachsene Bilanz. Er habe sich in seiner Arbeit drei Schwerpunkte gesetzt, nur einen sieht er erfüllt: eine "qualitativ hohe Streitkultur". Dies sei gelungen "trotz vieler brisanter Themen".

Eines dieser Dauerbrenner ist die Baggerstadt. Da fällt ein Fazit schwer. "Wir sind angetreten, um das zarte Pflänzchen Ferropolis am Leben zu halten", so der 63-Jährige. Das sei zumindest auf den ersten Blick gelungen, und der Christdemokrat ohne Parteibuch sagt auch deutlich: "Es ist unser fester Wille, Ferropolis weiter zu entwickeln." Dazu sei es aber erforderlich, "die wirtschaftliche Seite in Ordnung" zu bringen. Dringend benötigt werde eine finanzielle Rücklage - für eine spätere Sanierung der Tagebaugroßgeräte.

Auch deshalb müssten alle Räte die wirtschaftlichen Details der Stadt aus Eisen kennen. Den Informationsfluss - das ist inzwischen unstrittig - gibt es. "Ich spüre da aber Widerstand", sagt der gelernte Historiker.

Beirat wird in Frage gestellt

Auf Vorstoß der CDU wurde ein Beirat, der unter Ausschluss der Öffentlichkeit tagt, installiert. "Das stellt mich aber nicht zufrieden", so Müller, der sich noch über einen ganz anderen Punkt verärgert zeigt. Es geht um die Bestellung des Geschäftsführers. "Meine Kritik richtet sich nicht gegen die Person, sondern gegen das Verfahren", erläutert der Kommunalpolitiker. Nach seinen Angaben empfahl die Wittenberger Kommunalaufsicht, die Stelle auszuschreiben. Die Entscheidung sei schließlich nicht öffentlich im Hauptausschuss gefallen - und zwar ohne Ausschreibung.

Und als klare Niederlage empfindet der bekennende Fußball-Fan die finanzielle Situation in der Heidestadt. Er sei im Juni 2004 angetreten, um gemeinsam mit allen Räten für einen ausgeglichenen Haushalt zu sorgen. In Anbetracht der Schulden in Millionenhöhe sagt er heute: "Meine fünfjährige Amtszeit war in diesem Punkt nicht erfolgreich."

Was bleibt, ist Ursachenforschung. "Die Verwaltung kostet zu viel Geld", sagt der Vater eines Sohnes. Eine Erkenntnis, die den Stadtrat schon früh dazu bewegte, sich für den Personalabbau zu entscheiden. Dabei wurde auf das Modell der Altersteilzeit gesetzt - aus haushaltstechnischer Sicht nicht gerade ein Volltreffer. "Der Weg zur Veränderung ist zu langlebig", kommentiert Müller.

Und er lässt ein weiteres Beispiel folgen: die Schwimmhalle. Dafür wurde ein Betreiber gefunden, die Stadt zahlt nun jährlich Zuschüsse. Die Zahlen für 2008 lösten aber kein Jubel aus. "Ein echter Durchbruch war das auch noch nicht", so der Ratsvorsitzende, der allerdings auch von günstigeren Prognosen für 2009 spricht. In Sicht ist eine Trendwende. Hinter diesem Satz möchte der Volksvertreter aber noch ein Fragezeichen setzen.

Dafür ist jetzt ein Fall, mit dem sich Müller die Hälfte der Amtszeit beschäftige, zu den Akten gelegt. Die disziplinarrechtlichen Ermittlungen wegen angeblich zu viel gezahltem Gehaltes gegen den Bürgermeister wurden praktisch ohne Ergebnis eingestellt (die MZ berichtete). "Mir geht es nicht um das Stadtoberhaupt, sondern um Verfahrensfragen", so der Ratschef. Nach seinen Angaben hatte der Stadtrat am 11. Juli 2006 mehrheitlich die Aufnahme der Ermittlungen beschlossen. Die Kommunalaufsicht musste im Kern Einwohnerzahlen, Stichtage und das Gehalt überprüfen. Eine offensichtlich zeitaufwendige Arbeit. Von Zwischenständen der Recherchen erfuhr Müller, der den Zeitablauf protokolliert hat, nur auf Anfragen. Dabei sei der 7. Mai 2007 ein Meilenstein. Nach fast zehn Monaten Bearbeitungszeit in der Kommunalaufsicht der Kreisverwaltung erfuhr der Ratschef: "Wir werden jetzt eine Stellungnahme vom Bürgermeister abfordern."

Und das ständige Nachfragen hat sich gelohnt. So erfuhr Müller am 3. November 2008 wenigstens, dass die Einstellungsverfügung vom Landrat längst an den Gräfenhainichener Verwaltungschef geschickt wurde. Eine Begründung fehlte. "Damit wurde uns die Möglichkeit des Widerspruchs genommen, weil wir eben die Fakten, die zur Einstellung des Verfahrens führten, nicht kannten", erläutert der Ratsvorsitzende.

Inzwischen herrscht auch darüber Klarheit. "Nach einer Bearbeitungszeit von zwei Jahren und fast fünf Monaten erhält die Begründung immer noch gravierende Fehler. So wird behauptet, dass der Bürgermeister noch nie disziplinarrechtlich in Erscheinung getreten ist. Das ist einfach falsch. Der Bürgermeister hat per Mehrheitsbeschluss der Stadträte eine Abmahnung erhalten", so Müller.

Über ein ungeschriebenes Gesetz

Doch dieses Kapitel ist Geschichte, und die Zeit der aktuellen Wahlperiode läuft ab. Normal bestimmen die neuen Volksvertreter den Vorsitzenden. In Gräfenhainichen gibt es aber ein ungeschriebenes Gesetz: Die stärkste Fraktion stellt den Ratschef. Und der Gräfenhainichener Wahlsieger wird ermittelt am 7. Juni. "Sollte ich nach diesem Tag noch politischen Einfluss haben, schlage ich wieder Müller vor", so Hohmann. Frau Lück wollte sich an solchen Spekulationen nicht beteiligen.