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Puppen kehren nach einer langen Reise wieder zurück

Von Marcel Duclaud 04.12.2005, 15:29

Wittenberg/MZ. - Vor 60 Jahren waren die Weihnachtsfreuden anderer Natur. Ein neues Kleid für die Puppe etwa ließ bei Kindern damals die Augen glitzern. Jutta Kleiner aus Kemberg erinnert sich noch genau an die Zeiten der großen Entbehrungen.

Eine Puppe überhaupt zu besitzen, das war keine Selbstverständlichkeit. Zwei solcher Puppen in ihren alten Kleidern, die wie ihre Besitzerinnen eine Odyssee hinter sich haben, fanden in der vergangenen Woche den Weg ins Haus der Geschichte. Und nicht nur das, sie sind wieder in das Zimmer gelangt, in dem sie nach dem Krieg schon Trostspender und Spielgefährte waren, wo sie, wie Jutta Kleiner weiß "heiß geliebt" wurden.

Die rührende Geschichte, die dahinter steckt, erzählt Jutta Kleiner - eine Fotografin, die in den 60er Jahren Wittenberg verließ, nach Baden-Württemberg, später Hamburg wechselte, sich dort einen Namen machte und mit ihrem Mann, einem Architekten, Mitte der 90er Jahre in die Region ihrer Kindheit ("Ich bin nun mal eine Heimatpflanze") zurück gekehrt ist.

Sie ist eine der drei Freundinnen, um die es hier geht. Die andere heißt Gundel Schramm - ihr Vater dürfte älteren Wittenbergern noch ein Begriff sein - er war einst Lehrer am Melanchthon-Gymnasium. Jutta Kleiners Vater übrigens ist in der Stadt ebenfalls kein Unbekannter - die Familie hatte bis in die späten 60er Jahre ein Foto-Atelier in der Innenstadt (Foto Proßmann).

Zurück zu den Puppen. Gundel Schramm besaß ihrer zwei. Sie gehörte zu den Vertriebenen aus Reichenberg, die 1946 nach Wittenberg kamen. Gundel Schramm, die jetzt in München lebt, hat eine ihrer zwei Puppen der Tochter von Familie Jeitner geschenkt. Jeitners stammten ebenfalls aus Reichenberg und kamen just in dem Haus in der Schlossstraße unter, in dem jetzt der Pflug e.V. sein "Haus der Geschichte" präsentiert.

Die Puppe reiste mit den Jeitners nach Augsburg, wohin die Familie umzog als der Vater aus der Kriegsgefangenschaft zurück gekehrt war. Vor wenigen Wochen nun kamen die beiden Puppen, die einst zusammen gehörten, durch die gute Tat jedoch Jahrzehnte getrennt waren, wieder zueinander - Jeitners gaben sie Gundel Schramm. Die wiederum vermachte sie ihrer Freundin Jutta Kleiner - damit sie sie in das Wittenberger Museum bringen möge. Dort sitzen Rudolf (eine Puppe der Marke Schildkröte) und Griseldis (eine Käthe-Kruse-Puppe) in der Flüchtlingsstube nun am Fenster, nahe des Bettes, vor einem laut tickenden Wecker und künden von längst vergangenen Zeiten, von Armut und Reichtum ganz anderer Art.