Politik der kleinen Schritte
Wittenberg/MZ. - Seit dem 2. Mai ist Friedrich Geschäftsführer der Lutherstadt Wittenberg Marketing GmbH, das ist die privatisierte Touristeninformation der Stadt und noch ein bisschen mehr. Als in der vergangenen Woche die berühmte 100-Tage-Frist ablief, die man gemeinhin Menschen auf neuen Positionen zugesteht, machte der 56-Jährige gerade selbst das, was sonst sein Metier ist: Urlaub (wobei man aber davon ausgehen darf, dass ein Tourismus-Mensch seine Ferien-Welt mit anderen Augen betrachtet).
Mehrfach ist der gebürtige Niedersachse, der zuletzt in Berlin bei der Gewerkschaft Verdi arbeitete, in diesen ersten 100 Tagen mit Kritik an die Öffentlichkeit getreten, die sich an 1 000 kleinen Dingen entzündete, welche in ihrer Gesamtheit, so Friedrich, indes für den Eindruck mit verantwortlich sind, die die Lutherstadt bei ihren Gästen hinterlässt. Der Müll. Der dunkle Marktplatz. Rein deutsche Speisekarten. Knurrige Dienstleister. Schließlich, ein weiteres Manko, die "Stadt am Fluss ohne Fluss", sprich ohne Wegweiser zur Elbe. Zuschlechterletzt: der Leerstand.
Es ist eine Politik der kleinen Schritte, mit der Friedrich, der für sich in Anspruch nimmt, mit den Augen eines Touristen auf die Stadt zu blicken, das Hauptziel aller professionellen Gastgeber verwirklichen will: die "Verweildauer" (bis dato 1,7 Tage) zu erhöhen. "Wir spielen noch nicht in der ersten Liga. Aber die Perspektiven sind gut." Die Perspektiven tragen in Wittenberg die Jahreszahlen 2010, 2015 ("Ich hoffe, dass die Landesgartenschau kommt") und 2017. Und ganz klar die Adresse Arsenalplatz. Das wird das Stadthaus sein, die Voraussetzung für größere Tagungen überhaupt. Und sollte ein Einkaufszentrum nicht dazu beitragen, den verflixten dritten Tag...
Aber zurück in die Gegenwart. Auf seinen Streifzügen durch die Stadt hat sich Hartmut Friedrich, der nur die Wochenenden in Berlin verbringt, viel Zeit genommen fürs "Kennenlernen" und eine "erste Bestandsaufnahme". Er hat die Wittenberger kennen gelernt ("ehrlich aber kantig") und festgestellt, dass das Miteinander der lokalen Akteure ("die alle tolle Arbeit machen") verbesserungsfähig sei. Nach der Saison sollen all diese Beobachtungen mit den Partnern ausgewertet und ein Tourismus-Stammtisch eingerichtet werden.
Und er will, wie bereits berichtet, den Hauptstadt-Markt aufrollen, unter anderem mit gleich zwei Werbe-Festen 2008 in der Landesvertretung. Friedrich verteidigt den "Stadtsprung", eine Gemeinschaftsinitiative von acht Städten in Sachsen-Anhalt, die Wittenberg wegen der Wahl ausgerechnet des lutherlosen Ferropolis Kritik einbrachte; im nächsten Jahr werde es ein neues Angebot geben. Und er setzt große Hoffnung in das in Arbeit befindliche Konzept zur gemeinsamen Vermarktung von Wittenberg und Wörlitz, dem "Gastgeschenk von McKinsey" anlässlich des Betriebsausflugs der Unternehmensberater ins Gartenreich 2006.
In der kommenden Woche steht unterdessen erst einmal die Gesellschafterversammlung der Marketing GmbH an. Dort wird es laut Friedrich, der selbst, weil in Altersteilzeit, unentgeltlich für die Wittenberger Gesellschaft unterwegs ist, auch um die ganz bodenständige Frage gehen, ob deren Etat überhaupt ausreicht, um die hochfliegenden Erwartungen zu erfüllen.
Hartmut Friedrich hat es mehrfach gesagt im MZ-Gespräch, und er sagt es auch mit Blick auf das Reformationsjubiläum: Für die Inhalte seien andere zuständig, "wir verkaufen" (und er will bald was zu verkaufen haben). Aber ganz lassen mag er es dann doch nicht. Ruft der Schlosshof 2017 nicht geradezu nach einem 95-Thesen-Spiel? "Ich habe erste Kontakte nach Oberammergau geknüpft."