Marion Struck-Garbe Marion Struck-Garbe: Wittenberg, Südsee und zurück

Wittenberg - Die Zurschaustellung von menschlichen Überresten würde sie heute nicht mehr akzeptieren - als Kind aber war sie geradezu fasziniert von den Schrumpfköpfen und den geheimnisvollen Masken, die sie im Riemermuseum erwarteten. Knarzende Dielen, nur wenige Besucher, die Menschheit hatte offenbar anderes zu tun in den 50er Jahren, oft habe sie sogar ganz allein vor den Vitrinen gestanden, das war dann auch ein bisschen gruselig, eine Mischung aus „Abwehr und Verlangen“ nennt sie das heute.
Am Ende setzte sich aber klar das Verlangen durch: Marion Friedrich, Kneipierstochter aus Kleinwittenberg, wurde Ethnologin. Inzwischen überraschende 70 Jahre alt, hat sie nach wie vor einen kleinen Lehrauftrag an der Universität Hamburg, wo sie regelmäßig einen Kurs gibt zu ihrem Spezialgebiet, den Südsee-Inseln.
Das ist jene Weltregion, die dem leidlich gebildeten Normalbürger in der Regel nur dann medial vor die Füße fällt, wenn von den Folgen des Klimawandels die Rede ist. Und natürlich am Silvestertag, wenn es im Radio wieder heißt: In Kiribati haben die Menschen bereits das neue Jahr begrüßt. Kiribas, verbessert Marion Struck-Garbe, man müsse es „Kiribas“ aussprechen.
Und manch einer weiß vielleicht noch, dass Deutschland dort Kolonialmacht war, allen voran auf Samoa. Und dass viel später die Amerikaner Atomwaffenversuche machten auf den Marshall-Inseln, mit schlimmen Folgen für die Menschen dort bis heute.
Am Samstag für Gäste offen
Jenseits des Faszinosums, das „die Südsee“ in der allgemeinen Wahrnehmung aber (trotzdem) darstellt, bleibt die Kenntnis meist schütter. Das muss nicht sein. An diesem Samstag haben Wittenberger, Riemerfreunde zumal, die Gelegenheit, sich über Ozeanien schlauer zu machen. „Mikronesien“, die nördlichste der drei Pazifik-Regionen (neben Polynesien und Melanesien) mit seinen rund 2.000 Inseln steht im Mittelpunkt der Jahrestagung des 1988 gegründeten Pazifik-Netzwerks, die diesmal in der Lutherstadt stattfindet.
„Im Plan“ ist laut Stadt das neue Museum im Zeughaus. Der Auszug des Predigerseminars stehe vor dem Abschluss, „die Restaurierungen der Ausstellungsstücke laufen“ und das Konzept sei „in Arbeit“, hieß es auf MZ-Anfrage. Damit bleibe das Ziel, das Museum Ende 2018 zu eröffnen. Vorgesehen ist, im ersten Obergeschoss Stadtgeschichte in Themenbereichen und in der zweiten Etage Sammlung und Sammler Julius Riemer zu präsentieren. Bis dato gibt es im Zeughaus ständig die „Kronjuwelen“ im Erdgeschoss zu sehen sowie wechselnde Sonderausstellungen, derzeit ist dies „Objekte der Verehrung“ mit sakralen Gegenständen aus unterschiedlichen Kulturen (bis 1.April).
Die Vorträge zu Mikronesien am Samstag in der Jugendherberge sind öffentlich und beginnen um 9.15 Uhr (Teilnahme fünf bis zehn Euro). Mehr Infos unter www.pazifik-infostelle.org/jahrestagung
Selbstverständlich ist das nicht. Marion Struck-Garbe, wie die emsige kleine Museumsbesucherin Marion Friedrich heute heißt, hatte dafür bei ihren Netzwerk-Kollegen die Trommel gerührt. Für sie selbst eine Rückkehr zu Riemer - und eine Rückkehr in ihre Heimatstadt, die sie schon vor Jahrzehnten gegen Hamburg eingetauscht hat. Ihre Eltern, noch ganz junge Leute damals, sagt die zurückgelassene Tochter nicht ohne Verständnis, waren Mitte der 50er zunächst allein in den Westen gegangen.
Die Großmutter, bei der die Kinder aufgewachsen waren, „schmuggelte“ Marion und ihre kleine Schwester von Ost- nach West-Berlin. Man schrieb das Jahr 1960, die S-Bahn fuhr noch zwischen den beiden Stadthälften, die gerade mal ein Jahr später so grausam getrennt werden sollten. Von West-Berlin, berichtet Marion Struck-Garbe, nahmen sie dann aber sicherheitshalber das Flugzeug...
Hänseleien wegen des sonderbaren Dialekts, Ausbildung zur Erzieherin, schließlich das Studium, zweiter Bildungsweg. Im gläsernen Foyer des Asien-Afrika-Instituts neben dem Jugendstil-Gebäude der erst 1919 gegründeten Hamburger Universität (Die „Pfeffersäcke“ fanden das lange überflüssig, sagt Struck-Garbe) berichtet sie der MZ von ihren Aufenthalten in der Südsee.
Von Tonga, wohin sie 1978 für drei Monate ihre erste „Kleine Feldforschungsreise“ führte, hart erarbeitet mit Nebenjobs. Von Kiribati und den Marshall-Inseln, wohin sie Ende der 80er mit ihrem erst zehn Monate alten Sohn reiste, und schließlich von Papua Neuguinea, wo sie mit Familie von 1996 bis 2001 lebte.
Dort ermunterte sie Künstlerinnen, aus dem Schatten ihrer männlichen Kollegen herauszutreten, am Ende gab es sogar Ausstellungen der Bilder - und die Anfrage von Künstlern, ob sie nicht auch für sie so etwas organisieren könnte... Ja, ein kleiner Erfolg auf dem Weg zur Gleichberechtigung.
In einer Weltgegend, die auf einigen Inseln zwar die matrilineare Erbfolge praktiziert aber leider auch - und dies Struck-Garbe zufolge mehr als in Europa - mit Gewalt gegen Frauen zu kämpfen hat. Eine Ausstellung am Tagungsort Jugendherberge, die die Ethnologin gemeinsam mit ihren Studierenden konzipiert hat, wird während der Tagung, von Freitag bis Sonntag, über dieses dunkle Kapitel in der Südsee informieren.
Heute bei Greenpeace
„Ich bin ein Tausendsassa“, fasst Struck-Garbe zusammen, wenn man angesichts ihrer Aktivitäten zwischen Hörsaal und Kindergarten ein wenig ins Trudeln gerät. Heute, längst im Rentenalter, liege ihre Hauptbeschäftigung allerdings bei Greenpeace. Als Mitarbeiterin organisiert die 70-Jährige die Aktionen der Umweltschutzorganisation mit, Schwerpunkt ist aktuell die Antarktis.
Da muss man dann vielleicht schon erklären, warum man für die Fahrt nach Wittenberg das Auto nimmt und nicht den ICE? Sie wolle anlässlich der Tagung auch Orte ihrer Kindheit in der Umgebung aufsuchen, sagt Marion Struck-Garbe entschuldigend. Griebo etwa, wo sie Sommerferien bei der Tante verbrachten.
Vielleicht schaut sie sich ja auch noch einmal das Haus an der Pappelbrücke an: „Vergnügungszentrum des Westens“ hatte der Vater sein Lokal beworben, wo es „Dschungeltänze“ gab und Amüsements unter dem Motto „Haiti“, wie sich die Tochter erinnert. „In dem großen Saal habe ich Fahrradfahren gelernt.“
Ein neues Museum wird die Kleinwittenbergerin, die auszog die Welt zu erkunden, am Wochenende noch nicht betrachten können, vorgesehen sei aber eine Führung durch die Sonderausstellung des Zeughauses. (mz)