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Reformationssommer  Luther und die Avantgarde: Luise Schröder will mehr Frauen auf Gedenktafeln in Wittenberg

Von Corinna Nitz 11.01.2017, 06:00
Luise Schröder gehört zu den Künstlerinnen und Künstlern, die an der Schau „Luther und die Avantgarde“ im alten Gefängnis mitwirken.
Luise Schröder gehört zu den Künstlerinnen und Künstlern, die an der Schau „Luther und die Avantgarde“ im alten Gefängnis mitwirken. Thomas Klitzsch

Wittenberg - Unter der Überschrift „Von Wittenberg bis Venedig“ hat jetzt der „Tagesspiegel“ Top-Ausstellungen des Jahres 2017 aufgelistet. Zwischen Documenta in Athen und Kassel, Biennalen in Istanbul, Lyon und Venedig oder einem Tintoretto/Tizian/Veronese-Aufgebot in Madrid wird dem reisefreudigen (und nicht ganz unbetuchten) Kunstenthusiasten die Schau „Luther und die Avantgarde“ ans Herz gelegt. Die ist wie berichtet ab Mitte Mai anläsllich des Reformationsjubiläums im alten Gefängnis von Wittenberg zu sehen.

Wie der Vorsitzende der projektverantwortlichen Stiftung für Kunst und Kultur in Bonn, Walter Smerling, am Dienstag auf eine Nachfrage der Mitteldeutschen Zeitung erklärt, ist die Zahl der eingeladenen internationalen Künstlerinnen und Künstler, respektive künstlerischen Positionen von 60 auf rund 70 gestiegen.

Eine Position kommt von Luise Schröder, sie hat ihrer Konzeption den Arbeitstitel „Blinde Flecken“ gegeben - im Mittelpunkt stehen die Gedenktafeln an Häuserfassaden in der Wittenberger Altstadt. Darauf erinnert wird an historische Persönlichkeiten männlichen Geschlechts, gerade einmal zwei Frauen habe sie auf den inzwischen 100 Tafeln ausfindig machen können.

Schröder will dieses „Missverhältnis“, das Ausdruck einer „männlich dominierten Geschichts- und Erinnerungskultur innerhalb des Stadtbildes“ sei, ändern. Im Moment ist die 34-jährige Künstlerin aus Leipzig, die ebendort an der Hochschule für Grafik und Buchkunst, Fotografie und und Medienkunst studierte, auf Recherchetour in Wittenberg.

Interviews mit Vertreterinnen verschiedener Institutionen in der Stadt stehen ebenso auf ihrer To-do-Liste wie Quellenforschung beispielsweise im Stadtarchiv. Vor allem hofft Schröder bei dem Versuch, die „männliche Geschichtsschreibung“ in der Öffentlichkeit einerseits zu verhandeln und sie andererseits zu ändern, auf Mithilfe aus der Bevölkerung.

Sie bittet Bewohner und Bewohnerinnen der Stadt mitzuteilen, welche weiblichen Persönlichkeiten Wittenbergs (historische und aus dem Hier und Heute) es verdient hätten, auf einer neuen Gedenktafel erwähnt zu werden.

Für ihre künstlerische Intervention in Wittenberg bittet Luise Schröder um Mithilfe aus der Bevölkerung. Welche weiblichen Persönlichkeiten der Stadt aber auch Besucherinnen sollten auf 101 möglichen Gedenktafeln Erwähnung finden?, so lautet die zentrale Frage. Gesucht werden Frauen aus der Geschichte bis in die Gegenwart, die im öffentlichen Raum mit einer Gedenktafel gewürdigt werden sollten. Die gesammelten Vorschläge für eine Gedenktafel werden anonymisiert auf einer Wandtapete, im Rahmen der Ausstellung „Luther und die Avantgarde“, zu sehen sein. Schröder wird selbst eine Gedenktafel gestalten, die dann im öffentlichen Raum platziert wird. Bei den Einreichungen wird um eine kurze Begründung gebeten.

Präsentiert wird die Schau „Luther und die Avantgarde“ wie berichtet im Rahmen des Wittenberger Reformationssommers 2017 im alten Gefängnis. Die Schau ist ein Projekt der Stiftung Kunst und Kultur in Kooperation mit dem in Wittenberg ansässigen Reformationsjubiläumsvereins. Mehr als 60 internationale Künstlerinnen und Künstler setzen sich mit impulsgebenden Gedanken der Reformation auseinander. Weitere Standorte der Ausstellung sind Berlin und Kassel. Die Schau sei „eine aktuelle Bestandsaufnahme künstlerischen Schaffens, sie versammelt Positionen zu Phänomenen, die uns heute weltweit beschäftigen. Das alte Gefängnis in Wittenberg ist ein herausfordernder, aber auch hoch spannender Ausstellungsort“, so Walter Smerling, Vorsitzender der Stiftung für Kunst und Kultur und Sprecher des Kuratoriums. Ermöglicht wird die Schau durch die Unterstützung der EKD.

Wer Luise Schröder unterstützen möchte, schickt seinen Vorschlag per E-Mail an [email protected] - um eine kurze Begründung des Vorschlags wird gebeten. Einsendeschluss ist der 19. Februar 2017.

Schröder hat Einzel- und Gruppenausstellungen im In- und Ausland bestritten. Zuletzt arbeitete sie u. a. im Rahmen einer Kooperation des Goethe-Instituts an einem Projekt über Frauen in Kibbuzim in Israel sowie in der Villa Aurora in Los Angeles (USA) über Gedenkkultur.

Gedenk- und Erinnerungskultur tauchen in ihrem Schaffen immer wieder auf. „Man muss genau schauen, was heute im Umgang mit der Vergangenheit passiert“, sagt sie unter Hinweis etwa auf Holocaust und Flüchtlingsfragen. Für genauso wichtig erachtet sie es, auf Frauenthemen hinzuweisen. Unterschiedliche Bezahlung bei gleicher Arbeit, Probleme bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Wertschätzung - Schröder könnte die Liste gewiss verlängern, es sei „noch einiges einzufordern“.

Die geplante Arbeit für die Ausstellung „Luther und die Avantgarde“ ist zweigeteilt: Für den öffentlichen Raum wird Luise Schröder eine Tafel entwickeln, die sich auch im Material von den etablierten Emailletafeln unterscheiden soll. Ein Standort müsse noch gefunden werden. Der zweite Teil der Arbeit wird unter anderem auch den Prozess der Entstehung sichtbar machen. Gezeigt wird er auf umlaufenden Wandtapeten in einem Raum des alten Gefängnisses.

Das wird schon seit einigen Wochen für die Ausstellung vorbereitet. Von „ästhetischer Infrastrukturierung“ spricht Walter Smerling von der Stiftung Kunst und Kultur. Es gebe etwa 40 Zellen, aber insgesamt 65 Räume, vom Keller bis zum Dach. Neben Reinigungsarbeiten müssen auch Reparaturen vorgenommen oder zerstörte Fenster ausgetauscht werden.

Ab dem 1. März werden die teilnehmenden Künstler vor Ort sein. Deren Namen (etwa Ai Weiwei, Günther Uecker, Isa Genzken) lesen sich wie ein Who is Who der internationalen Kunstszene. Die meisten, so Smerling, hätten „voller Euphorie“ zugesagt und sind „besonders motiviert durch den Ort“.

Über „Luther und die Avantgarde“ heißt es, in der Schau begegnen sich der Reformator „als Vordenker und Avantgardist seiner Zeit und aktuelle Kunst, die Position bezieht zu gesellschaftlichen Fragen unserer Tage“. Noch im Januar wird es ein „Stadtgespräch“ zum Projekt geben. Mit Luise Schröder können jene, die etwas zu deren Projekt beisteuern möchten, schon jetzt in Kontakt treten. (mz)