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Luther und die Avantgarde Ai Weiwei und Reformationsjubiläum: Ausstellung im Alten Gefängnis ab Mai geplant

Von Irina Steinmann 28.10.2016, 16:24
Im Reformationssommer 2017 wird das alte Wittenberger Gefängnis neben dem Amtsgericht zum Ausstellungshaus. „Luther und die Avantgarde“ setzt sich, im weitesten Sinn, mit Reformation auseinander.
Im Reformationssommer 2017 wird das alte Wittenberger Gefängnis neben dem Amtsgericht zum Ausstellungshaus. „Luther und die Avantgarde“ setzt sich, im weitesten Sinn, mit Reformation auseinander. Thomas Klitzsch

Wittenberg - Das ist in den vergangenen Jahrhunderten eher selten vorgekommen: dass Wittenberg nicht Außenstelle von etwas ist, sondern Außenstellen hat. Genau das aber wird passieren im Jubiläumsjahr des Thesenanschlags.

Vom 19. Mai bis 17. September 2017 ist die Lutherstadt Schauplatz eines Vorhabens, das seinesgleichen sucht. Für vier Monate zieht die eigens aus diesem Anlass und eigens für diesen Ort konzipierte Ausstellung „Luther und die Avantgarde“ in den alten Knast am Amtsgericht.

500 Jahre nach dem Thesenanschlag, aus dem sich bis heute die Bedeutung der kleinen Stadt speist, wird damit, nun, kein weltweites, aber ein „bundesweites Projekt von Wittenberg ausgehen“, verspricht Walter Smerling.

700 Quadratmeter Fläche bietet das Ex-Gefängnis, genutzt werden für die Ausstellung 52 Räume, darunter 38 echte Zellen. Bespielt wird auch der Innenhof, wo Installationen ihren Platz finden werden. Die zu erwartenden Werke sind so vielfältig wie die beteiligten Künstler, neben Bildern und Zeichnungen gibt es Plastiken, Installationen, Video; thematisch werden beispielsweise auch Zelle oder Kanzel aufgegriffen. Eine „Besucherschule“ soll nicht nur den Andrang steuern, sondern via Film etc. auch mit den einzelnen Künstlern bekannt machen. Das Gebäude gehört nach Auskunft der Stadt dem Land Sachsen-Anhalt und wurde für die Ausstellung dem Verein Reformationsjubiläum 2017 zur Nutzung überlassen. „Luther und die Avantgarde“ ist Teil der Weltausstellung Reformation, das Kombiticket wird 19 Euro kosten; es soll auch ein Einzelticket geben, dessen Preis aber laut Smerling noch nicht feststeht. (mz/irs)

Smerling, Kunstprofessor und Vorsitzender der Stiftung Kunst und Kultur, und Sprecher des international und hochkarätig besetzten Kuratorenteams der Wittenberger Schau, ist an diesem Freitag - wie so oft in den letzten anderthalb Jahren - in die Lutherstadt gekommen, um nach der Hauptstadtpresse vor 14 Tagen nun auch den lokalen Medien das vorzustellen, was seine Stiftung als Veranstalter in Kooperation mit dem Verein „Reformationsjubiläum 2017“ und dank finanzieller Unterstützung der EKD im Sommer der Reformation hier auf die Beine stellt.

Ein „absolutes Who’s who der derzeitigen Kunst“, nennt Oberbürgermeister und Projektbeirat Torsten Zugehör (parteilos) die etwa 60 Künstler, die im früheren Gefängnis eigens angefertigte Werke ausstellen werden, und man muss kein Kunstkenner sein, um zu ermessen: Zugehör übertreibt nicht.

Ai Weiwei und Jonathan Meese, Ólafur Elíasson und Ayse Erkmen, Markus Lüpertz, Isa Genzken oder Erwin Wurm sind nur einige der auch allgemein klingenden Namen. Und sie alle sind auf eine bestimmte Art - Nachfolger Luthers, des Avantgardisten Luthers als „jemandem, der neue Wege gegangen ist“, gegen Widerstände und unter Nutzung moderner Medien.

„Wir haben Luther zum Anlass genommen, um über die Rolle der Künstler nachzudenken“, so Smerling, und deren Umgang, Offenlegung und Bewältigung von Themen und Problemen der heutigen Zeit. Es sind also keine Heiligenbildchen oder sonstigen Lutherdevotionalien zu erwarten. Denkanstöße zum Umgang mit Bildern - und hier ist Schau inhaltlich dann schon wieder ganz nah bei Luther - freilich schon.

„Jede Zelle eine Haltung“, bringt Smerling das Konzept auf den Punkt, wobei so ein Gefängnis natürlich ein „ganz besonders interessanter Ort für Freiheit“ sei. Derzeit werden die Zellen des bereits 1950 als Gefängnis aufgebenen und seit vielen Jahren leerstehenden Gebäudes gereinigt und für den Ausstellungszweck auch ein bisschen saniert.

Zum Teil - manche Künstler wünschten dies, andere nicht - würden die Zellen auch wieder original mit Tisch und Bett eingerichtet, so Smerling. Ab März seien die Künstler dann selbst vor Ort am Zug und kommen persönlich ins Gefängnis, denn nicht wenige von ihnen steuern schließlich nicht nur eigens geschaffene Kunstwerke bei, sondern gestalten die Zellen selbst als Kunstwerk, wie etwa der von Smerling als Beispiel genannte US-Amerikaner Richard Jackson, der seine Zelle komplett und krustig in Komplementärfarben ausmalen wolle - und seine Werke mit dem Rücken zum Betrachter aufhängen werde, auch dies eine Aufforderung, sich selbst ein Bild zu machen. Er hoffe, sagte Walter Smerling am Freitag, dass das auch viele Einheimische tun werden.

„Ich möchte, dass es ein Ausstellungsprojekt wird, über das sich die Wittenberger freuen.“ Im Januar werde er selbst wieder in die Stadt kommen, um interessierte Bürger im Rahmen eines „Stadtgesprächs“ - so heißt eine bewährte Veranstaltungsreihe der Stadtverwaltung zu aktuellen Fragen - über die Ausstellung „Luther und die Avantgarde“ zu informieren.

Und die Außenstellen der Wittenberger Avantgarde-Ausstellung? Jeweils eine Kirche in Berlin und der Dokumenta-Stadt Kassel, drei Werke. Einmal in 500 Jahren darf sich der Stellenwert ruhig umdrehen. (mz)