Jagdunfall bei Pratau Jagdunfall bei Pratau: Mutmaßlicher Schütze von Hohenroda ist 29-jähriger Polizist

Hohenroda - In der Ferne rattern Erntemaschinen, hier am Feldrand aber ist es beschaulich und ruhig. Nur die Vögel zwitschern. Traktorfahrer stehen neben ihren abgestellten Maschinen. Plötzlich aber kracht ein Schuss, wie aus heiterem Himmel. Gleich darauf sind Schmerzensschreie zu hören. Hilferufe. Ein Jagdunfall. Zwei Männer sind verletzt.
Ein Querschläger hat die beiden, 22 und 63 Jahre alt, am Rand eines großen Maisfeldes bei Hohenroda - einem Ortsteil von Seegrehna - getroffen. Wie die Polizei gestern mitteilte, hatte ein Jäger am Dienstag kurz vor 16 Uhr einen Schuss auf ein Wildschwein abgegeben. Das Projektil allerdings kam ganz woanders an, der Querschläger verletzte die beiden Landarbeiter.
Männer erleiden schwere Fußverletzungen
Kurze Zeit später kümmerte sich ein Notarzt am Feldrand um die Männer, die beide schwere Fußverletzungen erlitten. Der 63-Jährige wurde zur weiteren Versorgung per Hubschrauber in eine Spezialklinik nach Halle geflogen. Seinen 22-jährigen Kollegen brachte ein Rettungswagen in ein Wittenberger Krankenhaus. Die Polizei ermittelt nun wegen des Verdachts der fahrlässigen Körperverletzung.
Auf dem Acker waren mehrere Jäger dabei, durch die Ernte aufgescheuchtes Wild zu erlegen. „Die Bestände sind hoch“, sagte Kreisjägermeister Martin Gersch. Gerade in den großen Maisfeldern befänden sich häufig zahlreiche Wildsauen. Eine derartige Erntejagd werde ihm zufolge stets genau vorbereitet, um Unfälle zu vermeiden. „Aber ein Gefahrenpotenzial gibt es schon“, sagte Gersch.
Eine Gewehrkugel durchschlägt im Januar 2015 ein Fenster und trifft ein Kinderbett in Rockenhausen (Rheinland-Pfalz). Ein großes Wunder: Der Säugling bleibt unverletzt.
Im März wird in Boxberg (Sachsen) ein Jäger aus der Waffe seines Begleiters am Bein getroffen.
Ein Schütze in Trendelburg (Hessen) will im Mai 2015 einen Waschbären erlegen, trifft sich aber selbst.
Jäger veranstalten im Juli 2015 in Perwenitz (Brandenburg) eine Erntejagd, zehn Meter vom Ortsrand entfernt. Es gibt große Aufregung bei der Bevölkerung, da die Jagd in der Nähe der Ortschaft statt findet und die Wildschweine panisch davon laufen. Vorkommnisse gibt es bei der Jagd nicht.
In Nauen (Brandenburg) stirbt im September 2015 ein Mann. Ein Jäger hatte ihn mit einem Wildschwein verwechselt.
Die Wildschweinjagd in dem Maisfeld bei Hohenroda hatte nach Angaben der Polizei der Jagdpächter korrekt vorbereitet, gegen ihn werde auch nicht ermittelt. Nach dem Schuss liegt ansonsten aber ein Mantel des Schweigens über dem Geschehen. Wie die Organisation im Detail ausgesehen hat, wie viele Jäger beteiligt waren, welcher von ihnen wofür zuständig war - dazu gab es vorerst keine Angaben. Der Agrarbetrieb, auf dessen Gelände sich der Jagdunfall ereignete, äußerte sich nicht. Und die Untere Jagdbehörde, angesiedelt beim Landkreis, verweist auf die Polizei. „Die Ermittlungen laufen, Auskunft gibt es allein von der Polizei“, sagte Kreissprecher Ronald Gauert.
Bereits vor vier Jahren war bei einer Erntejagd auf einem Feld des Agrarbetriebes ein 47-jähriger Mann von einer Kugel ins Bein getroffen worden. Zur gleichen Tageszeit, kurz vor 16 Uhr.
Untersuchungen werden fortgesetzt
Die Untersuchungen am Ort des Geschehens sind am Mittwoch fortgesetzt worden. Zeugen wurden befragt, Spuren gesichert, ein Sprengstoffspürhund kam zum Einsatz. Am frühen Nachmittag folgt eine dürre Presseerklärung: Ein 29-jähriger Jäger aus dem Landkreis Wittenberg soll den verhängnisvollen Schuss abgegeben haben. Nach MZ-Informationen ist der Freizeit-Jäger selber Polizist.
Lesen Sie auf der nächsten Seite unter anderem, warum Peta ein generelles Verbot der Freizeitjagd fordert.
Die Spurenlage deutet Angaben einer Polizeisprecherin zufolge darauf hin, „dass das Projektil abgelenkt wurde“. Damit bestätigt sich die Annahme, dass es ein Querschläger war, der die beiden Traktorfahrer am Vortag an den Füßen traf. Auch sie kommen aus dem Kreis Wittenberg.
Bei der Wildschweinjagd am Dienstag wurde, wie Jäger bestätigten, die übliche großkalibrige Munition verwendet. Die Geschosse sind speziell auf das Erlegen von Schwarzwild ausgelegt. Sie besitzen eine hohe Durchschlagskraft und können unter Umständen auch noch in einer Entfernung von 5.000 Meter ihre tödliche Wirkung entfalten.
Keine Mutmaßungen zum Verlauf des Unglücks
Kreisjägermeister Gersch weiß um die Gefahren und schätzt deshalb Erntejagden nicht besonders. „Wenn ich es vermeiden kann, gehe ich nicht hin.“ Andererseits sieht er die Jäger in einer Zwickmühle. „Wir müssen etwas gegen Wildschäden tun.“
An Mutmaßungen über den Verlauf des Unglücks möchte Gersch sich nicht beteiligen. „Was passiert ist, ist ganz schlimm.“ Dem Schützen stellten sich jetzt viele Fragen. Es gehe um den möglichen Verlust der Jagderlaubnis, um den Verzicht auf den Besitz von Jagdwaffen - und natürlich auch um Bestrafung.
Entsetzen herrscht unterdessen beim Deutschen Jagdverband, der nach eigenen Angaben die Interessen von 370.000 Waidgenossen vertritt. Der September erweist sich nach den Worten von Sprecher Torsten Reinwald als „leider rabenschwarzer Monat“. Bereits vor einer Woche hatte es in Nauen (Brandenburg) einen tödlichen Jagdunfall gegeben. Die Polizei geht auch dort von einem Unfall aus. Die näheren Umstände sind aber wie bei dem Drama im Landkreis Wittenberg noch längst nicht bis ins Letzte geklärt.
Jeder Jagdunfall ist einer zu viel
„Jeder Jagdunfall ist einer zu viel“, sagte Reinwald. Ohne den Ermittlungsergebnissen vorgreifen zu wollen, verweist er auf Grundregeln des jagdlichen Schießens, die unter keinen Umständen missachtet werden dürften. „Wer elementare Grundsätze ignoriert, darf kein Jäger sein.“ Dazu gehöre, dass der Schütze eindeutig erkennen und wissen muss, auf welches Tier er überhaupt schießen will. Das Feuer etwa auf Geräusche hin zu eröffnen, die man vielleicht einem Wildschwein zuordnen könne, sei „katastrophal verantwortungslos“. Genauso stehe jeder Jäger in der Pflicht, die Flugbahn des Geschosses so zu kalkulieren, dass es zu keinen Gefährdungen kommen könne.
Als erste Reaktion auf die tödlichen Ereignisse will der Jagdverband nun die Aufklärungsarbeit unter seinen Mitgliedern verstärken. So soll es in Kürze zusätzliche Weiterbildungsangebote geben.
Peta verlangt Verbot der Freizeitjagd
Nicht allen geht das weit genug. Die Tierschutzorganisation Peta zum Beispiel verlangt ein generelles Verbot der Freizeitjagd. Vanessa Reithinger, Fachreferentin für Wildtiere: „Jährlich ereignen sich dutzende Vorfälle, bei denen Fehlschüsse oder Querschläger Menschen verletzen oder gar töten, Gewehrkugeln in Häuser einschlagen oder Spaziergänger plötzlich unter Beschuss geraten.“
Derartig massive Kritik flammt nicht zum allerersten Mal auf. Schon vor vier Jahren, als ein Helfer bei einer Treibjagd in Leipzig starb, gab es diese Forderung - damals ohne nennenswerte Resonanz. (mz)