Ein Abschied in süßer Wehmut
BAD SCHMIEDEBERG/MZ. - Mit einer Festveranstaltung wird der 61-Jährige am Freitagnachmittag im Kurhaus nach 39 Arbeitsjahren für das Unternehmen feierlich in den Ruhestand verabschiedet. "Es ist ein komisches Gefühl und ein wenig peinlich, wenn man so gebauchpinselt wird", sagt der Diplom-Jurist. Und auch sonst bleibt der emotionale Zwiespalt. "In jedem Abschied liegt eine süße Wehmut", philosophiert er.
In diesen Tagen kann sich Siegfried Scholz vor Lobeshymnen kaum retten. Im aktuellen Gästemagazin des Eisenmoorbades zollen ihm Weggefährten seitenweise ihren Respekt. Die Stadt will den scheidenden Kurdirektor zu ihrem Ehrenbürger ernennen. Sie alle verweisen auf die Entwicklung der GmbH und die Rolle des Geschäftsführers. Die nackten Zahlen beeindrucken: 170 Millionen Euro Investitionen in die Infrastruktur der Kur GmbH seit 1990, drei Prädikatisierungen für die Stadt, 470 Angestellte, 220 000 Übernachtungen und knapp 30 Millionen Euro Umsatz im Jahr. Das Eisenmoorbad ist ein Leuchtturm in der Region und Marktführer im Osten Deutschlands. "Siegfried verdanken wir den Hauptanteil dieses Erfolges", sagt Dr. Detlef Linsner, Vorsitzender der Gesellschafterversammlung und enger Freund.
Scholz spricht hingegen von der "tollen Mannschaft", ohne die auch er nichts hätte bewegen können. Wenn man ihn fragt, worauf er besonders stolz ist, dann kommt - der eine oder andere mag sich wundern - diese Antwort. "Wir haben von Anfang an immer pünktlich die Löhne gezahlt, auch wenn die Zeiten schwierig gewesen sind. Diese Verantwortung darf man nie vergessen." Die modernen Klinikbauten, das schmucke Kurzentrum, die deutschlandweit einzigartige weil ganzjährige Kneipp-Therapie erwähnt er erst später. Nachfolger Deddo Lehmann, der ab 1. August offiziell Regie führt, überraschen die Aussagen nicht. "Er lebt dem Unternehmen 24 Stunden am Tag uneigennützig seine Philosophie vor und hat die Gabe, mit Stil und Nachdruck andere für seine Visionen zu gewinnen", findet der frühere 2. Beigeordnete des Landkreises.
Technischer Leiter mit 23
Der Zufall bringt Scholz und das Eisenmoorbad zusammen. Oder ist es Schicksal? Der gebürtige Leipziger, 1969 als Projektingenieur im Maschinen- und Apparatebau Schkeuditz beschäftigt, sucht für sich und seine Rena eine Wohnung. Er inseriert in der FDGB-Zeitschrift "Tribüne", verschleiert sein Ansinnen mit einer neuen beruflichen Herausforderung, der er sich stellen wolle. Mehrere Angebote trudeln ein, darunter auch aus Bad Schmiedeberg. Scholz, politisch ein Liberaler und Mitglied der LDPD, greift zu. Er zieht in eine Wohnung im Oberstübchen des Kurhauses, nicht ahnend, welche Bedeutung dieser Ort für sein Leben noch erlangen sollte. Mit gerade einmal 23 Jahren wird er 1970 Technischer Leiter im Eisenmoorbad und schnell zu einem Künstler in der Mangelwirtschaft. "Er hat Ressourcen erschlossen, wo andere gescheitert sind. Und er hatte seit jeher Ideen, die teilweise so kühn waren, dass man im ersten Moment schlucken musste", erinnert sich Detlef Linsner.
Richtiges Gespür
Dem Eisenmoorbad geht es in der DDR besser als vergleichbaren Häusern. "Wir haben die Kontakte zu unseren Patienten genutzt, die in Kombinaten und Betrieben in hohen Funktionen standen, um uns mit den Dingen zu versorgen, die wir brauchten." Der Staatsmacht ist das kaufmännische Bestreben des Kurbetriebes durchaus ein Dorn im Auge. Das Fass läuft fast über, als das Eisenmoorbad die Villa "Bismarck" entkernt und Ein- bis Zweitbettzimmer nebst eigenen Nasszellen einrichtet. Vorbei die Zeiten der kollektiven Unterkünfte wie bei den Sieben Zwergen. "Es hat ein mächtiges Theater gegeben, weil der örtlichen Parteileitung der Standard zu hoch war", erzählt Scholz. "Für uns ist der ganzheitliche Ansatz der Genesung aber wichtiger gewesen."
Mit der Wende schlägt die große Stunde, ist Scholz tatsächlich der richtige Mann am richtigen Platz. Klinikkonzerne strecken ihre Fühler in Richtung Bad Schmiedeberg aus, doch das Eisenmoorbad bleibt standhaft, gibt die Filetstücken wie das Kurhaus nicht her. Als Scholz im Unternehmen gebeten wird, die Verantwortung zu übernehmen, sagt er zu seiner Frau: "Ich mache es ein Jahr. Dann sehen wir weiter." Fast zwei Jahrzehnte sind es an der Spitze geworden. Der Geschäftsführer kämpft gegen provinzielles Denken, berät sich anfangs mit Horst Birwé, dem ehemaligen Kurdirektor aus Bad Lippspringe. Der Gast steht im Vordergrund. "Das Heu muss dem Ochsen munden und nicht dem Bauern", bringt es Scholz auf den Punkt. Unermüdlich treibt er das Eisenmoorbad voran. Die genutzte Fläche wächst um fast 80 Prozent, das Tempo des Strukturwandels ist enorm. "Es ist besser, eine Entscheidung zu treffen, als gar keine. Mit dem Risiko musst du leben" In der Gesellschafterversammlung habe man jedenfalls öfter angeregt diskutiert, erzählt Linsner.
Engagement bleibt
Jetzt loszulassen, die Geschicke anderen zu überlassen, ist nicht leicht. "Ein Unternehmer, der seinen Laden so strukturiert, dass ohne ihn nichts läuft, hat seine Firma schlecht geführt", sagt Scholz. Eineinhalb Jahre bereitete er seinen Nachfolger behutsam auf den Job vor. "Das Unternehmen ist in guten Händen. Es war der richtige Schritt." Nun freut sich der 61-Jährige auf die Familie, den Garten, die Reisen. Von der Bildfläche verschwindet er nicht. Im Stadtrat wird sich das FDP-Mitglied engagieren, in der Gesellschafterversammlung des Eisenmoorbades seine Erfahrungen einbringen.
Und während Deddo Lehmann "den Stil fortsetzen will, ohne Herrn Scholz zu kopieren", freut sich Detlef Linsner auf die neue Rolle seines Freundes im Wohltätigkeitsverein, neben der Stadt der zweite Gesellschafter des Eisenmoorbades. "Wir wären bekloppt, würden wir sein Wissen in den Sand setzen."