Industriehistorie in Weißenfels Industriehistorie in Weißenfels: Großvater kaufte den Klinkerbau

Weissenfels - Der imposante Industriebau zwischen den Straßen Am Güterbahnhof und Weinbergstraße gegenüber dem Bahnhof in Weißenfels hat eine lange Geschichte und diente ganz offensichtlich in deren Verlauf einer Vielzahl von Firmen als Domizil. Zwar bleibt noch immer im Dunklen, wann das Gebäude errichtet wurde, aber das muss bereits im zu Ende gehenden 19. Jahrhundert gewesen sein.
Getreidegeschäfte wurden im Gebäude betrieben
Anfang des Jahres 1900 hat Willy Otto senior das Gebäude gekauft. Das schreibt sein Enkel Horst Otto, der selbst lange Jahre Weißenfelser war und heute in Bad Wörishofen im Allgäu lebt. „Mein Großvater hat damals dieses Wirtschaftsgebäude mit den Hausnummer Weinbergstraße 9a und 15a und die Wohnhäuser Nr. 15 und 17 erworben. Das Wohnhaus Nr. 9 und der später abgebrannte Speicher wurde dann noch angebaut“, heißt es in der E-Mail von Horst Otto.
Willy Otto habe darin eins der größten Getreidegeschäfte der Umgebung betrieben. Ursprünglich wies auch eine Beschriftung auf dem Turm des Speichers darauf hin. „Erst als das Versorgungskontor Anfang 1950 das Objekt von uns angemietet hatte, wurde die Schrift entfernt und durch die noch heute sichtbare Leuchtschrift ersetzt“, schreibt Otto weiter.
Parallel dazu hat der Volkseigene Erfassungs- und Aufkaufbetrieb (VEAB) - der Produkte von Bauern aufkaufte - den Getreidespeicher weiter genutzt. Erst ab den 1970er Jahren nutzte das Versorgungskontor für Industrietextilien den Speicher als Lager.
Die Größe des Bauwerks legte nahe, dass es zu verschiedenen Zeiten auch vielfältige Nutzungen gab. So hat MZ-Leser H.-J. Stehlik in einer alten Broschüre von 1908 verschiedene Anzeigen gefunden. So befanden sich darin offenbar auch die Papiergroßhandlung sowie die Geschäftsbücher- und Schreibheftfabrik von Bodo Bergk.
Ebenfalls zu der Zeit warb der Backofenbauer Alexander Fischer für seine Produkte, die in dem Industriekomplex hergestellt wurden. Horst Otto kann sich zumindest daran erinnern, dass in der Garage, die die Familie nutzte, Abbildungen von Bäckereimaschinen zu sehen waren. Was es aber in dem Bauwerk nie gegeben habe, sei eine Schuhfabrik. Die Darstellung auf einer Internetseite, dass dort Richard Kannengießer eine Schuhfabrik betrieben haben soll, sei falsch, schreibt Otto. „Mein Großvater hat nur von anderen Schuhfabriken wie von der Schuhfabrik Kurt Bickel Material eingelagert“, erklärt der Enkel. Kurt Bickel sei übrigens sein Großvater mütterlicherseits gewesen.
„Wir belieferten die gesamte Hausschuhindustrie der DDR"
Nach dem Tod von Großvater Otto hat Vater Willy Otto junior 1961 das gesamte Objekt als Eigentümer übernommen. Nach dessen Tod im Jahr 1985 wurde eine Erbengemeinschaft Eigentümer, die den Komplex 2008 über eine Immobilien-Auktion verkauft habe. Nach Horst Ottos Darstellung gehört übrigens das Gelände vor dem Klinkerbau auf der Seite zum Bahnhof hin bis an die Hausmauer heran der Deutschen Bahn. An die beziehungsweise die Reichsbahn zu DDR-Zeiten habe man sogar Gebühren für die Nutzung der Toreinfahrten zahlen müssen.
Horst Otto hat übrigens selbst zwischen 1972 und 1985 im Versorgungskontor für Industrietextilien gearbeitet. Daher wisse er auch sehr genau, was dort gelagert und umgeschlagen wurde. „Wir belieferten die gesamte Hausschuhindustrie der DDR sowie alle fünf Ostseewerften mit Filz und das Gesundheitswesen mit Bekleidung.“
Gebäude brennt 1982 wegen einer Silvesterrakete aus
Nach dem von einer Silvesterrakete ausgelösten Brand des Speichers in der Nacht vom 31. Dezember 1981 zum 1. Januar 1982, bei dem der Gebäudeteil ausgebrannt sei, gab es Gedanken zum Wiederaufbau. „Obwohl die Versicherung das finanzieren wollte und das Versorgungskontor den Lagerraum brauchte, haben Funktionäre von Weißenfels auf Abbruch bestanden“, schreibt Otto. Aufgrund der massiven Bauweise, die Tragfähigkeit habe 1.000 Kilogramm pro Quadratmeter betragen, musste der Teil gesprengt werden. (mz)