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Chronik hält die bewegten Zeiten fest

Von Andreas Richter 26.12.2005, 17:19

Weißenfels/MZ. - Der große Tag war den Großen vorbehalten. Zur nicht öffentlichen Einweihung kamen die Mitarbeiter der am Umbau beteiligten Betriebe und natürlich die Großköpfe der Sozialistischen Einheitspartei. "Das waren wohl an die 500 Leute", blickt Uwe Freudenberg zurück, der an jenem Abend als Kellner im HdW arbeitete. Eigentlich habe alles gut geklappt, weiß er noch. Und erinnert sich daran, dass die Kellner hinter vorgehaltener Hand schon ein bisschen geschmunzelt hätten, als in den sozialistischen Eröffnungsreden die "Sieger der Geschichte" bemüht wurden.

Anderthalb Jahre lang arbeitete Freudenberg dann im ersten Haus im Landkreis. Erlebte die Silvesterfete 1985 / 86 als erste öffentliche Veranstaltung im neuen HdW. War bei so manchem Betriebsfest, bei Frauentagsfeiern und Unterhaltungsabenden dabei. "Eine Veranstaltung jagte die andere", erinnert er sich. Fred Frohberg kam und Heinz Quermann. Monika Herz sang für Schlagerfreunde und Helga Hahnemann trat mehrfach vor ausverkauftem Haus auf. Wer wann im HdW war - Uwe Freudenberg hat alles in einer Chronik festgehalten. Auch den 5. Juni 1986, als Erich Mielke, Chef der DDR-Staatssicherheit, mit seinem Tross im Ledersaal des Hauses speiste. Freudenberg selbst gehörte allerdings nicht zu den Auserwählten, die Mielke bedienen durften. Warum, das weiß er bis heute nicht.

"Es war oft stressig, aber es war eine wunderschöne Zeit", meint Uwe Freudenberg heute. In seiner Chronik hat er alles festgehalten. Auch die damaligen Preise. Ein Viertelliter Deutsches Pilsner kostete 61 Pfennig, die gefüllte Rinderroulade mit Salzkartoffeln 4,90 Mark. Dabei war das Haus in die Preisstufe S eingeordnet, die höchste Stufe nach dem Interhotel.

Als Uwe Freudenberg im August 1987 das HdW als Kellner verließ, ging er mit einem weinenden Auge. Doch ihm war es gelungen, eine schon lange gehegte Absicht in die Tat umzusetzen. In der damaligen Leninstraße 2 eröffnete er ein halbprivates Geschäft als Kommissionshändler des Konsums. Den Werdegang des Hauses in der Nicolaistraße beobachtete er jedoch weiterhin. Nach der Wende dauerte es nicht lange, bis der Viertelliter Bier schon 1,80 Mark kostete. Bis die Gäste weniger und die Betriebsfeiern und Tanzabende seltener wurden. Noch ging es aber eine Weile weiter in dem Haus, das wieder zum "Goldenen Hirsch" wurde. Die Wildecker Herzbuben kamen, Karl Dall und Jürgen von der Lippe. Die Silvesterfete 1992 / 93 war eine der letzten großen Feiern im ehrwürdigen Haus. Schließlich wurde es ein schleichender Tod. Noch eine Verkaufsveranstaltung hier und ein Kindernachmittag da. Bauliche Mängel wurden entdeckt, schrittweise dem Personal gekündigt. "Spätestens seit Ende 1995 war endgültig Schluss", erinnert sich der Heimatfreund.

Nachdem Vandalismus dem leer stehenden Gebäude schon zuvor mächtig zugesetzt hatte, rückte im Oktober 2002 die Abrissbirne im Hinterhaus an. Aber auch dieser traurige Moment sollte Uwe Freudenberg nicht entgehen. Als er Wind davon bekam, setzte sich der Langendorfer auf sein Fahrrad, um den Abriss wenigstens mit dem Fotoapparat zu dokumentieren. Wenn er heute an den mit Pappe vernagelten Fenstern des Hauses vorüber geht, beschleicht ihn Wehmut und er weiß am 20. Jahrestag der Wiedereröffnung: "Ein Stück Weißenfelser Geschichte ist für immer verschwunden."