Sangerhausen Sangerhausen: In der Bäckerei, auf See und dem Motorrad zu Hause
SANGERHAUSEN/MZ. - Ein kleines Jubiläum, nämlich ihr 135-jähriges Bestehen, begeht in diesem Jahr die Sangerhäuser Bäckerei Feist. 1876 gegründet, wird sie seitdem als Familienbetrieb geführt - nun schon in fünfter Generation durch Andreas Feist. Sein Vater, Bäckermeister und Konditor Dietrich Feist, hat ihm längst den Betrieb übergeben und kürzlich den Goldenen Meisterbrief der Handwerkskammer Halle erhalten.
Reichlich drei Jahrzehnte, von 1965 bis 1996, war Dietrich Feist Chef der Bäckerei. Zwar hätte er ganz gern einen technischen Beruf erlernt, zum Beispiel Elektriker, ging dann aber doch nach der achten Klasse, wie es üblich war, drei Jahre in die Lehre zu Bäckermeister Erhard Wienhold nach Leipzig. Um diese Zeit, erinnert sich der 72-Jährige, wurden Bäcker gesucht, denn viele Bäckergesellen wechselten in den Bergbau. Dort gab es mehr zu verdienen.
Nach der Lehre kam der Sangerhäuser allerdings nicht gleich zurück. Er arbeitete unter anderem in Saalfeld, Zingst, Berlin und Dresden. Dort "hängte" er noch den Konditor dran, besuchte zwei Jahre den Meisterkurs in der Abendschule und hatte 1961 seinen Meisterbrief in der Tasche. Er fuhr auf Handelsschiffen mit, arbeitete als Bäcker und Koch und konnte so sein Fernweh stillen. "In Europa war ich fast überall, bin rings um Afrika gefahren. Über 30 Länder habe ich damals kennen gelernt." Das Ent- und Beladen der Schiffe habe damals wesentlich länger gedauert als heute, er habe viel gesehen. "Es war meine schönste Zeit."
1964 kehrte Dietrich Feist in seine Heimatstadt zurück und übernahm die Bäckerei. "Das war für DDR-Verhältnisse ein moderner Betrieb." Seine Frau verrät mit einem Augenzwinkern, dass er sie 1965 "aus Erfurt hergeholt" habe. "Es ist ganz wichtig, dass der Ehepartner mitzieht. Ich habe nachts viertel drei in der Backstube gestanden, meine Frau kam um sechs runter. Die Schreibtischarbeit haben wir zusammen gemacht."
34 Lehrlinge hat Dietrich Feist im Laufe der Zeit ausgebildet. Und wie er es aus seiner Lehrzeit kannte, haben etliche mit im Haus gewohnt - mit Familienanschluss. Dagmar Feist, von Haus aus Bankkauffrau, setzte sich noch mal in der Bäckereifachschule Hannover auf die Schulbank, um die Facharbeiter- und Ausbildungseignungsprüfung zu erwerben.
Die Bäckerei, die sich im Wohnhaus der Familie befand, wurde Schritt für Schritt erweitert. Schon Ende der 1970er Jahre gab es zwei Mehlsilos, die elf Tonnen Mehl fassten. Zehn Tonnen reichten rund drei Wochen. Es wurde eine Gasheizung für den Backofen angeschafft, eine vollautomatische Brötchenanlage und eine Teegebäckmaschine kamen hinzu. "Wir hatten damals immer vier, fünf Verkäuferinnen im Laden, sie hatten voll zu tun", sagt der Goldmeister. "Die Nachfrage war riesig. Sonnabends um neun waren die Brötchen meistens alle." Und pro Tag wurden damals immerhin 10 000 Stück und 600 bis 700 Brote gebacken, Torten, Kuchen und Feingebäck.
Material gab es, auch zu DDR-Zeiten, sagt der langjährige Obermeister der Berufsgruppe und Innung. "Man musste Kaufmann sein und sich kümmern, für die Weihnachtszeit ab September die Zutaten bestellen. Edelkonserven wie Ananas, Mandarinen, Pfirsiche oder Aprikosen waren freilich schwerer zu beschaffen."
Seit Dietrich Feist den Betrieb an den Sohn weitergegeben hat, stand er ihm noch mehrere Jahre als Berater zur Seite. Und wenn nötig, helfen Dagmar und Dietrich Feist auch heute noch mal aus. Obwohl beide eigentlich durch Radfahren, Schwimmen, Fitnesstraining oder Bergwandern ziemlich ausgelastet sind. Der 72-Jährige pflegt nach wie vor seine Leidenschaft fürs Motorradfahren, die mit 18 Jahren begann. Sie reisen gern und sind dankbar, gesundheitlich fit zu sein. "Wir legen viel Wert auf gesunde Ernährung", stimmen sie überein. Dazu gehört natürlich auch mal ein Stück Kuchen. Während Dagmar Feist am liebsten Streusel oder Bienenstich mag, esse ihr Mann alle Sorten gern. "Er ist der beste Kuchenesser, den es gibt."