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IS-Anhängerin IS-Anhängerin aus Sangerhausen: Ist Leonoras Rückkehr nach Sachsen-Anhalt so einfach möglich?

Von Alexander Schierholz Aktualisiert: 21.01.2022, 13:19
IS-Anhängerin Leonora M. aus Sangerhausen an der syrisch-irakischen Grenze.
IS-Anhängerin Leonora M. aus Sangerhausen an der syrisch-irakischen Grenze. AFP

Sangerhausen/Halle (Saale) - Leonora M. also will zurück nach Hause. Zurück nach Breitenbach, 200 Einwohner, Ortsteil von Sangerhausen, Kreis Mansfeld-Südharz. Zurück zu ihrer Familie, ihren Freunden, denen sie als 15-Jährige vor vier Jahren den Rücken gekehrt hat, weil sie für sich eine Zukunft sah bei der Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) in Syrien.

Aber wird sie das überhaupt können, zurückkehren? Nach allem, was man weiß, sitzt Leonora M. derzeit in einem Lager der „Syrisch-Demokratischen Kräfte“ (SDF) an der syrisch-irakischen Grenze. Reporter der Nachrichtenagentur AFP konnten sie dort besuchen. Zuvor waren sie und ihr Ehemann, der aus Zeitz stammenden Dschihadist Martin Lemke, von SDF-Kämpfern gefangen genommen worden. Die von Kurden geführte Truppe kämpft in der Grenzregion gegen den IS - in einem vom Bürgerkrieg verheerten Land.

Leonora M. aus Sangerhausen soll während ihrer Zeit beim IS zwei Kinder geboren haben

Unter welchen Umständen könnte eine gefangen genommene Deutsche wie Leonora M. von dort überhaupt nach Hause zurückkehren? Das Auswärtige Amt gibt sich am Montag zugeknöpft. Es heißt, eine konsularische Betreuung Deutscher sei nach Schließung der Botschaft in Damaskus „faktisch nicht möglich“.

Unabhängig davon prüfe die Bundesregierung aber Optionen, um deutschen Staatsbürgern eine Ausreise aus Syrien zu ermöglichen. Das gelte besonders in humanitären Fällen.

Trifft das zu auf Leonora M., die während ihrer Zeit beim IS zwei Kinder geboren haben soll? In ihrem Heimatort Breitenbach jedenfalls hoffen sie auf ihre Rückkehr.

Am Montagnachmittag taucht die Sonne die Häuser dort in ein warmes Licht. Es ist kalt, null Grad zeigt das Thermometer im Auto. Der Wind pfeift einem um die Ohren. Vielleicht deshalb präsentiert sich der rund 30 Kilometer nordwestlich von Sangerhausen gelegene Ort im Harz so gut wie menschenleer. Bis auf ein Fernsehteam ist kaum ein Mensch zu sehen. Die Familie von Leonora M. will sich gegenüber der MZ nicht äußern. Die Firma des Vaters lässt auf Anfrage ausrichten, dass er an keinem Gespräch interessiert sei. „Die Telefonnummer darf ich nicht rausgeben“, sagt eine Mitarbeiterin. Auch auf das Klingeln an seinem Haus reagiert niemand.

In Breitenbach ist IS-Anhängerin Leonora willkommen

Bei den wenigen Einwohnern, die reden wollen, ist das Mädchen, das 2015 mit 15 Jahren zum IS in Syrien ging, dafür umso mehr Gesprächsthema. „Ich habe es erst vorhin erfahren“, sagt Roswitha Böhme. Die 58-Jährige ist mit einer Freundin auf Wandertour ins rund drei Kilometer entfernte Wolfsberg.

„Ich freue mich mit der Familie“, sagt Böhme, die mit ihrem Mann gleich neben Leonoras Elternhaus wohnt. Ihre Freundin ergänzt: „Leonora ist ein ganz unauffälliges liebes Mädchen gewesen.“ Die Familien seien Gartennachbarn, man habe so immer mal ein Wort gewechselt. „Als sie dann weg war, konnte ich es kaum fassen. Aus Breitenbach zum IS?“ Die Frau schüttelt den Kopf. „Es war schlimm. Wir haben damals mit den Eltern mitgelitten“, sagt die 66-Jährige und kämpft mit den Tränen.

Die beiden Frauen hätten nichts dagegen, wenn Leonora M. trotz ihrer Vergangenheit beim Islamischen Staat nach Breitenbach zurückkehren und dort wohnen würde. So sieht das auch Ortsbürgermeisterin Cornelia Liebau (CDU): „Ich denke, sie ist bei uns willkommen im Ort“, hatte sie am Wochenende gesagt.

„Ich hätte nicht gedacht, dass sie überhaupt noch lebt.“

Manfred Römmisch ist einer ihre Amtsvorgänger und meint: „Ich hätte nicht gedacht, dass sie überhaupt noch lebt.“ Und: „Was macht man nicht alles für Dummheiten in der Pubertät.“ Er glaube nicht, dass von Leonora eine Gefahr ausgeht. „Ich denke, sie hat so die Schnauze voll, dass sie glücklich ist, wenn sie mit ihren beiden kleinen Kindern dort unten raus ist.“

Wenn sie „raus“ ist, hätte Leonora M. wohl einiges zu erzählen. Davon, wie das damals war, als sie sich über Monate häufiger als es für eine 15-Jährige üblich ist mit dem Islam beschäftigte. Als sie über Kontakte in sozialen Netzwerken im Internet offenbar immer mehr Gefallen fand am Terror des selbst ernannten „Islamischen Staates“, sich immer stärker davon faszinieren ließ. Experten sprechen in einem solchen Fall von einer Radikalisierung. Sie geht meist schleichend vor sich, und mit Hilfe einer ausgefeilten Propaganda-Maschine.

Wie das funktioniert, hatte schon kurz nach dem Verschwinden von Leonora M. die Soziologin Matenia Sirseloudi in der MZ beschrieben: „Es gibt Propaganda, von der sich speziell junge Frauen angesprochen fühlen.“ Es war die Hochzeit des IS, in der verunsicherte Teenager rekrutiert wurden: Ihnen wurde vorgegaukelt, sie würden für den Aufbau des Kalifats benötigt, ihnen wurde Unterstützung versprochen und das Paradies auf Erden: Wohnungen, Lebensmittel, Wasser - alles kostenlos. Und Gemeinschaft dazu.

Leonora ließ sich von IS-Propaganda blenden

Das Internet war damals schon voll mit Fotos und Videos von cool wirkenden, Waffen tragenden jungen Männern. „Wie kleine Popstars“, so beschrieb die Soziologin Sirseloudi das Phänomen. Die Zielgruppe: junge Menschen, vor allem Frauen, auf der Suche nach sich selbst und dem Sinn des Lebens. Manche glaubten Antworten beim IS zu finden.

Leonora M. war offenbar nicht die einzige, die sich von solcher Propaganda blenden ließ: Das Bundesamt für Verfassungsschutz geht von mehr als 1.000 Islamisten aus, die in den zurückliegenden Jahren aus Deutschland nach Syrien oder in den Irak gereist sind, die meisten jünger als 30, mehr als ein Fünftel Frauen. Rund ein Drittel ist bisher wieder zurückgekehrt, etwa 200 sollen in Syrien oder im Irak ums Leben gekommen sein.

Im Justizzentrum in Halle, an der Merseburger Straße im Süden der Stadt, sind sie schon gespannt auf das, was Leonora M. zu erzählen hat. Dort hat die Staatsanwaltschaft Halle ihren Sitz. Nach Leonoras Verschwinden hatte die Behörde ein Ermittlungsverfahren gegen die damals 15-jährige Schülerin eingeleitet. Der Vorwurf: Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat, Paragraf 89a, Strafgesetzbuch. Es ist ein schweres Verbrechen, auf das bis zu zehn Jahre Haft stehen. Der Verdacht, sich einer Terrororganisation angeschlossen zu haben, wie im Fall von Leonora M., genügt für einen solchen Vorwurf.

Doch nachdem M. in Syrien untergetaucht war, stellte die Staatsanwaltschaft das Verfahren vorläufig ein. Das Mädchen war nicht greifbar, „es gibt mit Syrien keine polizeiliche Zusammenarbeit“, sagt Behördensprecher Klaus Wiechmann. Doch würde Leonora M. nun nach Deutschland zurückkehren, würden die Ermittlungen automatisch wieder aufgenommen werden. „Wir würden sie dann als Beschuldigte vernehmen“, kündigt Wiechmann an.

Zieht Karlsruhe den Fall der jungen Frau aus Breitenbach an sich?

Nicht nur in ihrem Heimatort Breitenbach und in Halle warten sie auf die Rückkehr von Leonora M. Auch in Karlsruhe. Dort sitzt die Bundesanwaltschaft, die für die Verfolgung terroristischer Straftaten zuständig ist. Die Karlsruher Ermittler haben den Fall Leonora M. im Blick - und geben sich ebenso zugeknöpft wie das Auswärtige Amt: „Natürlich beschäftigen wir uns damit“, sagt eine Sprecherin. Mehr nicht.

Gut möglich, dass die Bundesanwaltschaft den Fall an sich zieht. Es wäre nicht das erste Mal. So hatte Karlsruhe die Ermittlungen übernommen, nachdem im Juli 2017 die damals 16-jährige Linda W. aus dem sächsischen Pulsnitz im Irak verhaftet worden war. Von der Oberlausitz in den Dschihad - auch Linda W. soll sich dem IS angeschlossen haben. Sie wird auf ihre Rückkehr nach Deutschland noch eine Weile warten müssen. Vor einem Jahr hatte ein irakisches Gericht sie zunächst zu sechs Jahren Haft verurteilt. Später war die Haftstrafe nach Medienberichten dann um ein Jahr verkürzt worden. (mz)