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Das verlorene Mädchen Das verlorene Mädchen: Wie Leonora aus Sangerhausen die Zeit beim IS erlebt

Von Frank Schedwill Aktualisiert: 21.01.2022, 13:25
Leonora im Nikab
Leonora im Nikab afp

Breitenbach - Leonora lebt allem Anschein nach. Die Nachricht ist seit dem Wochenende das Thema in Breitenbach (Landkreis Mansfeld-Südharz). Viele der etwa 200 Einwohner des Sangerhäuser Ortsteils haben das Mädchen, das Anfang März 2015 mit 15 Jahren zum Islamischen Staat (IS) gegangen war, für tot gehalten. Und jetzt taucht Leonora auf einmal in Medienberichten auf dem Internetkanal Youtube auf: In einem Beitrag des Fernsehsenders Euronews sieht man die heute 19-Jährige in einen schwarzen Nikab gehüllt, wie sie in der Tür eines Autos stehend etwas isst. Und auf Bildern, die ein Fotograf der Nachrichtenagentur AFP gemacht hat, trägt die blasse junge Frau einen zwei Wochen alten Säugling auf dem Arm.

„Der ganze Ort hat die Suche nach Leonora damals mitverfolgt. Alle haben sich gewundert, als sie auf einmal weg war“, sagt eine Frau, die am Sonntagvormittag auf dem Weg zum Breitenbacher Friedhof ist. „In so einem kleinen Dorf kennt doch jeder jeden, da fühlt man mit der Familie mit. Klar haben wir immer gehofft, dass das Mädchen irgendwann gesund und munter wieder zurückkommt.“

Geschockte Familie

Leonora ist 15 Jahre alt, als sie mit ihrer besten Freundin nach Syrien reist, um sich der Terrormiliz IS anzuschließen. Zurück bleiben die geschockte Familie, Freunde und Mitschüler. Offenbar ist sie der Propaganda des IS verfallen. Der Islamische Staat, das Paradies, mit jungen Männern, die deutsch sprechen, Waffen tragen, cool wirken. Soziologin Matenia Sirseloudi, die an der Uni Bremen zu dem Phänomen geforscht hat, sagt damals: „Es gibt Propaganda, von der sich speziell junge Frauen angesprochen fühlen.“ Die Männer wirkten „wie kleine Popstars“. Offenbar verfällt auch Leonora dieser Parallelwelt. Schon drei Tage nach ihrer Ankunft heiratet sie dort den Dschihadisten Martin Lemke, sagt sie der Nachrichtenagentur AFP.

Der 28-jährige Lemke ist in Zeitz aufgewachsen, lebt später nördlich von Leipzig, bevor er für den IS in den Krieg zieht. Leonora versichert, dass ihr Ehemann für die Terrormiliz nur als Techniker tätig gewesen sei und Computer und Handys repariert habe. Laut einem Bericht der „Zeit“ gehört der gelernte Schweißer jedoch in Rakka zur Religionspolizei Hisbah und zum gefürchteten IS-Geheimdienst Amnijat. Demnach soll er selbst an Hinrichtungen beteiligt gewesen sein und Gefangene enthauptet haben.

Dritte Ehefrau, zwei Kinder

Leonora ist seine dritte Ehefrau und bekommt zwei Kinder von ihm. „Ich blieb im Haus, um zu kochen und zu putzen“, erzählt die junge Mutter der AFP in gebrochenem Englisch. Zunächst hätten sie in der IS-Hochburg Rakka gelebt. „Am Anfang, als sie die großen Städte kontrollierten und viel Geld hatten, war alles gut“, berichtet Leonora. „Als sie Rakka verloren haben, wechselten wir jede Woche das Haus“, meintdie junge Frau, die sich heute durch die Propaganda der IS-Miliz in den sozialen Medien getäuscht fühlt. Mehrfach habe sie versucht zu fliehen, sagt sie. Doch das erste Mal sei sie von der IS-Miliz gefasst und sogar kurzzeitig inhaftiert worden. Das zweite Mal habe ihr Mann sie erwischt. Über die Dschihadisten hat sie heute wenig Illusionen. „Sie haben die Frauen allein gelassen, ohne Essen. Wir waren ihnen egal“, sagt sie. (mz/afp)