„Vieles wird nicht mehr gesehen“ Interview mit Katrin Budde (SPD) über ihre zweite Legislaturperiode im Bundestag
Im MZ-Interview erläutert Bundestagsabgeordnete Katrin Budde (SPD), wie sie auf Kanzler Olaf Scholz (SPD) blickt und welche Dinge sie bisher für den Wahlkreis erreicht hat.

Sangerhausen/MZ. - Erst GroKo, dann Ampel – Katrin Budde (SPD) ist mitten in ihrer zweiten Legislaturperiode im Bundestag. Im Gespräch mit Chefreporter Joel Stubert spricht sie über die Probleme und den Alltag der Ampel-Koalition sowie über die Gründe dafür, dass es dem Osten wirtschaftlich immer noch nicht so gut geht wie dem Westen.
Katrin Budde, Sind Sie es nicht leid, ständig Bundeskanzler Olaf Scholz verteidigen zu müssen?
Katrin Budde (58): Ich kann verstehen, dass manche Menschen mit diesem nordisch-kühlen Charme nicht umgehen können. Aber so ist er nun mal und ich kenne ihn seit 30 Jahren. Ich habe ihn da schätzen gelernt. Auch wegen der Zurückhaltung und hohen Fachkenntnis, die man so nicht merkt, da er sie nicht auf der Zunge trägt. Er sagt zu, wenn was machbar ist.
Verstehen Sie denn die Kritik an seinem Führungsstil?
Katrin Budde (58): Ich kann verstehen, dass sich die Menschen in Zeiten, wo viele Gewissheiten wegbrechen, klare Ansagen wünschen. Aber wer nur klare Ansagen will, wird irgendwann damit leben müssen, dass er in einer Diktatur gelandet ist.
Ansonsten muss er sich den Schwierigkeiten einer Demokratie stellen, wo es immer Aushandlungsprozesse gibt. Und Menschen neigen eben dazu, dass wenn sie etwas richtig finden, dass jemand für sie auch so entscheiden soll. Ich persönlich würde auch sagen: Ja, gerne mit mehr Emotionen, aber immer noch besser, abgewogen und entschieden, als einer wie Trump, der immer wieder korrigieren muss.
Die Ampel-Koalition hat die schlechtesten Umfragewerte einer Regierung jemals: Woran liegt das?
Katrin Budde (58): An Olaf Scholz liegt es nicht. Mit dieser Situation hätte jeder Kanzler zu tun, auch Merkel war keine Ausgeburt an Emotion. Die Gemengelage, Nachwirkungen der Pandemie, der Ukraine-Krieg, die Energiepreise sind Gründe für die Situation.
Und es gibt ja gefühlt in mehr Ländern der Welt Krieg statt Frieden. Viele haben Zukunftsangst. Und das andere ist: Wir sind drei Partner aus unterschiedlichen Richtungen. Die Grünen sind nicht mehr die Grünen mit sozialliberalen Wurzeln und nur noch wenige aus der Bündnis-90-´ Zeit, sondern meist gut-verdienendes Öko-Bürgertum. Die denken in anderen Kategorien.
Und wir haben eine FDP, die immer, wenn sie in die Regierung geht, danach wieder aus dem Bundestag fliegt und einen Herrn Lindner, der meint, dass immer, wenn er laut ist, etwas verhindern zu können. Die Menschen wünschen sich, dass der Kanzler das kompensiert. Aber dem kann er nicht gerecht werden, das würde die Auseinandersetzungen oft nur verschärfen.
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Es entsteht der Eindruck, dass es in der Ampel viel Zoff gibt.
Katrin Budde (58): Die Große Koalition, in der ich ja auch im Bundestag war, hatte nicht weniger Zoff, jetzt sind es aber noch mehr Meinungen, die aufeinanderprallen.
Haben Sie ein Beispiel?
Katrin Budde (58): Wenn man sich den Paragraphen 219 a (Abtreibung, Anm. d. Red.) und die Diskussion darüber anschaut oder die Diskussion um Erneuerbare Energien oder queere Ehen oder den Mindestlohn, dann sind wir in der GroKo auch ganz schön aufeinandergeknallt. Sind es nur zwei Partner, wirkt es allerdings leiser. Und in der Finanzkrise hat es auch oft geknallt. Viele Themen wären mit der CDU auch nicht leichter.
Der Eindruck bleibt: FDP und Grüne streiten und die SPD steht in der Mitte und weiß nicht, wie sie sich verhalten soll...
Katrin Budde (58): Ich würde mir schon wünschen, dass die SPD deutlicher sagt, was unsere Position ist und damit meine ich nicht nur den Kanzler. Aber wir haben im Alltag die Aufgabe, die Mitte zu sein. Wir versuchen, das zusammenzubinden und Kompromisse zu finden.
Wenn wir eine dritte konfrontative Lösung anbieten würden, würde gar nichts funktionieren. Wir sind am Ende für die Kompromisse zuständig. Ohne die SPD hätte es viele Kompromisse gar nicht gegeben. Und man darf auch nicht vergessen, wir sind alle drei auch gewählt worden und es gibt all diese Positionen auch in der Gesellschaft. Im Grunde spielt sich das gleiche auf politischer Ebene ab wie gesellschaftlich. Das polarisiert sich auch immer mehr.
Wie würden Sie Ihre Arbeit in den vergangenen mehr als zwei Jahren im Bundestag benoten?
Katrin Budde (58): Das kann ich wirklich nicht. Beim Mindestlohn wäre es eine 1, das ist durchgesetzt. Bei Kulturförderung stärken und ins Grundgesetz aufnehmen dann eine 5, weil das nicht erreicht wurde. Wir haben Teile gut umgesetzt, das geht nur leider oft unter.
Wer redet noch über zwölf Euro Mindestlohn? Das hat vielen Menschen in Ostdeutschland geholfen. Auch das Kindergeld haben wir erhöht und über die Kindergrundsicherung gab es lange Diskussionen, aber das haben wir auch geschafft. Da würde ich uns eine 1,5 oder 2 geben, denn es hätte schneller und besser sein können.
Bei der Abfederung der Energiepreissituation würde ich sogar eine 0,9 geben, denn die Befürchtungen sind nicht eingetreten: Keine Wohnung ist kalt geblieben. Beim Heizungsgesetz würde ich vom Ergebnis eine 2,5 oder 3 geben, beim Verfahren eine 6. Wie blöd kann man sein? Ich war zwar nicht selbst beteiligt, aber dennoch. Grundsätzlich wird vieles nicht mehr gesehen, was gemacht wurde.
Welche Note geben Sie der Ampel an sich?
Katrin Budde (58): Eine Drei.
Was haben Sie erreicht für den Wahlkreis?
Katrin Budde (58): Für mich war extrem wichtig, ich bin ja im Kulturbereich tätig, dass der Bundeszuschuss für Bad Lauchstädt für das Festspiel der deutschen Sprache verstetigt wird. Es wird in den nächsten vier Jahren mit jeweils 150.000 Euro im Bundeshaushalt finanziert.
Dazu kommen das Denkmalschutzsonderprogramm für die Ulrichkirche in Sangerhausen und das Schloss Mansfeld. Und zum Beispiel die 25 Millionen Breitbanderschließung für den Landkreis Mansfeld-Südharz.
Durch das Programm „KulturInvest“ konnte das Dach der Universitätskirche mit 1.378.222 Euro Bundesmitteln saniert werden und beim Programm „Sanierung kommunaler Einrichtungen in den Bereichen Sport, Jugend und Kultur“ konnte ich 1,35 Mio. Euro für den Ersatzneubau der Radballhalle in Teutschenthal OT Zscherben einwerben.
Auch freuen wir uns immer wieder über den regen Zuspruch von Bürgerinnen und Bürgern, die sich den Bundestag anschauen wollen. Da könnten wir mehr holen, als möglich sind.
Vor der Wahl haben Sie sich im MZ-Interview für bessere ärztliche Versorgung ausgesprochen, etwa durch Medizinische Versorgungszentren (MVZ). Nun hat der Kreis aber das Regent in Eigenregie gemacht, wieso konnte der Bund vorher nicht helfen?
Katrin Budde (58): Es wird ja dem Bund vorgeworfen, dass er die Ursache für Krankenhaus-Schließungen ist. Zur Wahrheit gehört auch, dass in den Jahren vorher im Land nicht geschafft wurde, selbst Strukturverbesserungen hinzubekommen.
Eine Kombination aus Schwerpunkt-Krankenhäusern und kleineren MVZs wäre eine gute Lösung, auch deshalb, damit die Krankenhäuser sich nicht gegenseitig die Patientinnen und Patienten wegnehmen. Ziel des Bundes ist die Weiterentwicklung der Krankenhausfinanzierung, die das bisherige System um ein nach Versorgungsstufen differenziertes System erlösunabhängiger Vorhaltepauschalen ergänzt.
Im Programm „Regent“ ist übrigens auch Bundesgeld drin und in Mansfeld-Südharz hat sich das Projekt „Digitale Residenz Praxis“ gegründet, um Zukunftsmodelle zur Versorgung von Pflegeheimen und deren Umgebung mit Fachärztlichen Dienstleistungen im Bereich der Telemedizin zu erproben. Dass wir gemeinsam solche Modelle machen, finde ich klug.
Wie stehen Sie zum Thema Bürgergeld und der Kritik, dass Leute deshalb nicht arbeiten wollen?
Katrin Budde (58): Mir ist noch keiner untergekommen, der wegen des Bürgergelds seinen Job aufgegeben hat. Das Problem ist der erste Arbeitsmarkt, dort verdienen die Menschen zu wenig. Der muss sich nach oben entwickeln.
Wie kann das denn klappen?
Katrin Budde (58): Es gibt, gerade im Osten, immer noch eine zu niedrige Tarifbindung. Die Menschen müssen deshalb wieder in Gewerkschaften gehen, das gibt mehr Kampfkraft. Bei Aryzta war es zu sehen. Stress beim Bürgergeld kommt fast nur aus Ostdeutschland, im Westen sind die Lohnabstände größer.
Letztlich muss auch der Mindestlohn weiter angehoben werden und die Gewerkschaften müssen gestärkt werden. Aber ich sage auch: Wir sind in einer grundkapitalistischen Gesellschaft, da kann der Staat nicht alles regeln.
Wie sehen Sie die Finanzlage im Landkreis? Durch die Kreisumlage-Urteile hat er weniger Einnahmen. Wie könnte man das lösen?
Katrin Budde (58): Der Bund kann da nichts machen, das ist eine Aufgabe, die im Land gelöst werden muss. Wenn der Kreis weniger zur Verfügung hat, kann man nicht erwarten, dass der Kreis das gleiche weiter finanziert, nur mit weniger Einnahmen.
Dann müssen die Kommunen eben schauen, was sie selbst finanzieren können, wo vorher der Landkreis unterstützt hat, denn das Geld bleibt ja jetzt bei den Kommunen. Vermutlich kann der Kreis nicht anders, als sich auf die Pflichtaufgaben zu konzentrieren.
Wieso müssen Kommunen denn in einem so reichen Land überhaupt schauen, ob man einen Spielplatz finanziert oder den Breitensport, nur als Beispiele. Wie kann das sein?
Katrin Budde (58): Es hat mit der Einnahmesituation zu tun. Wir haben weniger Unternehmen, die ihren Sitz hier haben. Und wir haben weniger gut verdienende Menschen. Das beides führt zu einer ganz anderen Einnahmesituation. Was mich ärgert, ist, wenn Leute hier gut verdienen und im Rentenalter wieder zurück nach Niedersachsen ziehen. Da geht uns Geld verloren. Wir brauchen Menschen, die arbeiten, gut verdienen und mehr Unternehmen, die hier Steuern zahlen.
Sind Sie fürs Aussetzen der Schuldenbremse?
Katrin Budde (58): Ja. Aber ich weiß, dass wir keine Mehrheiten bekommen. Wir müssen ja die CDU immer mit einbeziehen und die FDP blockiert auch. Es ist wichtig, bei großen Entscheidungen diejenigen teilhaben zu lassen, die nicht mit in der Regierung sind. Und über vier Parteien eine Lösung finden, die über alle Zeiten trägt. Es ist realistisch, sie einmal auszusetzen und in dieser Zeit dann zu reformieren. Es dürfte immer mehr Hochwasser geben und es kann auch mal wieder eine Pandemie geben. Die Kosten werden zum überwiegenden Teil aus dem Bund finanziert.