Eine letzte Tour ans Meer Wünschewagen erfüllt Schwerkranker den letzten Wunsch - Reise zur Schwester

Warnemünde/Quedlinburg/Westdorf - Es wird wohl ihre letzte Urlaubsreise gewesen sein: Die krebskranke Irena Glass, 56, besuchte am Wochenende ihre Schwester in Prebberede bei Rostock. Das war ihr Herzenswunsch: Noch einmal zu ihrer ein Jahr jüngeren Schwester fahren.
Der Besuch wird Irena Glass für immer in guter Erinnerung bleiben: Wie die Schwestern nachmittags in Ruhe Kaffee trinken und Kuchen essen, natürlich viel quatschen und abends vor dem Fernseher auf dem Sofa dösen.
So einfach ließ sich der - eigentlich bescheidene, aber doch so wichtige - Wunsch nicht erfüllen. Denn die 56-Jährige lebt im Harz-Hospiz in Quedlinburg und kann nicht mal eben in den Zug oder Bus steigen. Dass sie nun in Richtung Ostsee fahren und am Strand spazieren gehen konnte, verdankt sie dem „Wünschewagen“ des Arbeiter-Samariter-Bunds (ASB). In dem speziell umgebauten Krankenwagen ging es am Sonnabend auf die Fünf-Stunden-Fahrt nach Prebberede.
Wünschewagen - Fachkräfte sind mit auf Tour
„Ich hatte erst ein bisschen Angst vor der langen Fahrt“, berichtet Irena Glass, „es hat aber alles gut geklappt.“ In dem besonderen Wagen mit den aufgeklebten Sternen können die Fahrgäste sitzen, liegen und bei Bedarf auch einen Film ansehen. Mit dabei waren Physiotherapeutin Christina aus dem Hospiz - sie ist Irena Glass’ Bezugsperson - und zwei Ehrenamtliche des ASB mit Ausbildungen in der Pflege und als Rettungsassistent.
„Der Wünschewagen - letzte Wünsche wagen“ heißt das ASB-Projekt, das Menschen in ihrer letzten Lebensphase einen Herzenswunsch erfüllt: zum Beispiel einen Besuch im Fußballstadion oder einen Ausflug mit der Familie. Derzeit sind 17 Wagen in Deutschland unterwegs. Das Konzept gibt es hier seit 2014, es stammt aus den Niederlanden. Informationen gibt es unter wuenschewagen.de.
Irena Glass’ Schwester betreibt in Prebberede eine Hundepension. Für die kranke Frau seien es etwas viele Tiere gewesen, sagt sie. Doch mit den kleinen Hunden habe sie sich gerne beschäftigt. Am zweiten Tag ging es mit dem blauen „Wünschewagen“ nach Warnemünde.
Irena Glass: „Die Leute haben geguckt, wenn sie den Wagen gesehen haben.“ Immer wieder hielt der Fahrer an, die Gruppe stiegt zum Beispiel am Hafen aus, um Erinnerungsfotos zu machen. „Wir haben uns auch ein Fischbrötchen geholt“, berichtet Irena Glass, die am Strand an der Ostsee spazieren ging. Die Luft roch nach Meer, und der Wind pfiff - „Ich war ganz schön durchgefroren.“
Irene Glass hat einen Tumor im Bauch
Vor einem Jahr hätte die 56-Jährige niemals daran gedacht, dass sie schon bald solche Hilfe für einen einfachen Besuch braucht - obwohl ihr das Thema nicht ganz fremd ist: Sie hatte sechs Jahre ihre Mutter zu Hause gepflegt. Offen erklärt Irena Glass: „Ich hatte einen Tumor im Bauch.“
Im Februar oder März 2018 habe sie gemerkt, dass etwas nicht stimmt: „Ich bin schwächer geworden.“ Es folgte eine fast fünfstündige Operation. Doch diese konnte sie nicht wieder gesund machen, ihre Tage sind gezählt. Darum zog sie von ihrer Wohnung in Aschersleben ins Quedlinburger Hospiz, in dem ihre Schwester regelmäßig reinschaut - trotz der Entfernung hält die Familie zusammen.
Patienten im Quedlinburger Hospiz haben keine medizinischen Chancen
„Unsere Gäste sind austherapiert“, sagt Hospiz-Geschäftsführer Christian Schulz. Man könne nichts mehr für sie tun - außer „ihre letzte Zeit so schön wie möglich machen“. Die bis zu zehn Gäste essen beispielsweise zusammen mit den Pflegerinnen im Gemeinschaftsraum, der - mit Fernseher und Aquarium - eher an ein Wohnzimmer erinnert.
Zuletzt waren sie auf dem Weihnachtsmarkt in Quedlinburg. Es sei auch für die 29 Angestellten nicht leicht, wenn ein Gast dann stirbt. Schulz erklärt: „Sie wachsen uns ans Herz!“
Auch Irena Glass ist ihnen ans Herz gewachsen. Einer Mitarbeiterin hatte sie von ihrem Wunsch beiläufig erzählt. „Sie ist sehr bescheiden und dachte, dass das zu viel Organisation für uns sei“, berichtet Schulz. „Aber dafür sind wir ja da.“ In einem Fernsehbericht hatte er von dem Wünschewagen erfahren und Kontakt aufgenommen. „Ich finde, das ist eine schöne Idee, damit die Gäste dann friedlich gehen können.“ (mz)
