Metallplatten gegen „Strahlen“ Was Zeugen aus Quedlinburg über den mutmaßlichen Mörder aussagen
Die Verhandlung wegen der tödlichen Schüsse auf einen 73-Jährigen in Quedlinburg wird fortgesetzt.

Quedlinburg/Magdeburg/MZ - Zurückhaltend, immer höflich. So beschreiben Zeugen am Dienstag im Prozess vor dem Landgericht Magdeburg den 73-jährigen Michal W., der am 31. August vergangenen Jahres in Quedlinburg auf offener Straße erschossen wurde. W. sei „die ehrlichste Haut gewesen, die ich je in meinem Leben kennengelernt habe“, sagt einer der Zeugen und nennt dafür ein Beispiel:
Er selbst sei Gastwirt, und Gäste hätten Michal W. gefragt, ob dieser, wenn er in seine Heimat Polen fahre, nicht billige Zigaretten mitbringen könne. „Da hat er gesagt, das macht er nicht. Er hat gesagt: Ich bin Gast in diesem Land“, schildert der Zeuge.
„Michal wear sehr liebenswert, sehr zuverlässig, ausgesprochen hilfsbereit und sehr sachkundig.“
Zeugin am Landgericht über das Opfer aus Quedlinburg
Am zweiten Tag des Prozesses, mit dem die tödlichen Schüsse juristisch aufgearbeitet werden sollen, hat die Erste Große Strafkammer Zeugen gehört, die Michal W. kannten. Sie hat sich durch Aussagen aber auch ein Bild von dem 49-Jährigen zu schaffen versucht, dem vorgeworfen wird, den 73-Jährigen im Zustand der Schuldunfähigkeit heimtückisch getötet zu haben. Er soll sich dem arglosen Michal W. von hinten genähert, ihm in den Rücken geschossen haben und dann mit dem Fahrrad geflüchtet sein.
Michal W., erklärt eine Zeugin, sei „sehr liebenswert, sehr zuverlässig, ausgesprochen hilfsbereit und sehr sachkundig“ gewesen. Dass er Streit mit jemandem gehabt haben könnte, halte sie für ausgeschlossen. „Er ist jedem Streit aus dem Weg gegangen, hat immer versucht, Kompromisse zu finden.“
Das bestätigt eine weitere Zeugin; auch sie hat mit Michal W., der schon seit vielen Jahren in Quedlinburg lebte und in einem Kunst- und Auktionshaus tätig war, zusammengearbeitet. Beide Frauen berichteten, dass der 49-Jährige und der 73-Jährige sich gekannt hätten.
Sie habe den Eindruck gehabt, dass der 49-Jährige, der „kontaktarm“ sei und „in seiner eigenen Welt“ lebe, und Michal W. recht gut miteinander zurechtgekommen seien, sagt eine der Frauen. Der 49-Jährige „hat mit niemandem groß gesprochen“; er habe nur einige wenige Male Michal W. beispielsweise um Werkzeug gebeten. Das sei kurz und sachlich gewesen, „aber zumindest ein Gespräch“.
Psychologin berichtet über „bizarres Verhalten“ des Angeklagten, der seine Matratze auf den Schrank gelegt hat
In der Schilderung eines anderen Zeugen klingt das etwas anders: Nachdem der Mord geschehen war, habe er den 49-Jährigen, mit dem er als Jugendlicher befreundet gewesen sei, bei einem zufälligen Aufeinandertreffen angesprochen, schildert der Zeuge. Er habe ja gewusst, dass der Mann und das Opfer sich kannten.
„Außer dass er gesagt hat, dass er ihn nicht besonders leiden konnte, hat er nicht viel dazu gesagt“, berichtet der Zeuge. Und er fügt hinzu, dass der Beschuldigte noch gesagt habe, Michal W. „habe so was angezogen“. Er habe aber nicht nachgefragt. Auch dieser Zeuge schildert den 49-Jährigen als „Einzelgänger“.
Von „bizarrem Verhalten“ spricht eine Psychologin, die den 49-Jährigen nach dessen Verhaftung in einer Justizvollzugsanstalt täglich aufsuchte. Tagsüber habe er stets auf einem Stuhl gesessen, keine Fragen, keine Wünsche geäußert, berichtet sie als Zeugin vor Gericht.
Nachts, das habe die Überwachungskamera gezeigt, habe er die Matratze vom Bett genommen, sie mal auf den Tisch, mal auf den Boden und sich dann selbst darauf gelegt; er habe auch versucht, die Matratze auf den Schrank zu legen. Sie habe ihn daraufhin angesprochen.
„Er hat mir gesagt, er kriegt hier Strahlen ab. Er muss sich vor Strahlen schützen, weil die Russen hinter ihm her sind.“ Zudem habe er erklärt, Rabies – das Rabiesvirus ist das Tollwutvirus - gehabt zu haben, die „Parasiten seien mit Metabenzol behandelt“ worden. Und er habe ihr berichtet, auch eine seiner beiden Wohnungen in Quedlinburg mit Metallplatten versehen zu haben - zum Schutz vor die gegen ihn gerichtete Strahlung.
Ein Zeuge berichtet, dass der Angeklagte Betongehwegplatten im Fußboden verbaut habe
Ein Zeuge, der ebenfalls mit dem Opfer zusammengearbeitet hat und auch den Angeklagten kennt, bestätigt das: Der 49-Jährige habe in seiner Wohnung Trapezdachbleche verbaut und Betongehwegplatten als Fußboden.
Der Beschuldigte selbst äußert sich auch am Dienstag nicht. Geäußert hatte er sich dagegen gegenüber dem Sachverständigen, der ihn begutachtet – und ihn auch auf den Tatvorwurf angesprochen hat. „Er hat geleugnet, für die Tat verantwortlich zu sein“, so der Gutachter.
Michael Nagel, einer der beiden Verteidiger, stellt dazu eine Aussage vom ersten Verhandlungstag heraus: Hier hatte eine Zeugin erklärt, unmittelbar nach dem Schussgeräuschen einen Radfahrer wegfahren gesehen zu haben - der ihrer Meinung nach nicht der 49-Jährige war, den sie aus dem Stadtbild kenne. Nagel beantragte, die Aussage der Zeugin vollständig zu protokollieren. Der Prozess wird fortgesetzt.