Vom Verkäufer zum Dachdeckerhelfer Vom Verkäufer zum Dachdeckerhelfer: Der Inder Sunil Kumar arbeitet auf den Dächern in Quedlinburg

Quedlinburg - Es ist ein typischer Morgen Ende November. Die Temperatur liegt nur knapp über null Grad, dazu regnet es. Schon nach kurzer Zeit ist man nass und durchgefroren. Für die Dachdecker unter Leitung von Stefan Hubert ist das keine Ausrede. Sie stehen trotzdem auf dem Dach des Bahnhofs in Gernrode und entfernen das marode Holz.
Auch Sunil Kumar packt mit an. Für den Inder ist es die erste Arbeitswoche in Huberts Betrieb und überhaupt das erste Mal, dass er auf einem Dach arbeitet. „Das sind natürlich erschwerte Bedingungen, so wie das Wetter im Moment ist“, sagt Hubert, aber Kumar scheint die Kälte nichts auszumachen. Er hilft, wo er gebraucht wird. Kein Murren und kein Meckern sind von ihm zu hören. „Ich bin ja nicht alleine hier. Wenn die anderen Jungs da stehen, bin ich auch dabei“, erklärt er.
Sunil Kumar kommt ursprünglich aus Indiens Hauptstadt Neu Delhi, wo zurzeit 27 Grad sind und die Sonne scheint. Aber er hatte Zeit, sich an das deutsche Klima zu gewöhnen. Vor über zehn Jahren ist er nach Deutschland gekommen. Einen richtigen Grund, warum es ihn hierher verschlagen hat, kann er nicht nennen. In der Schule habe er gelernt, wie groß die Welt ist und da wollte mehr sehen als nur Indien, erzählt Kumar und ergänzt: „Deutschland hat mir gefallen, und da bin ich geblieben“
Seit einem halben Jahr lebt er im Harz und war eigentlich auf der Suche nach einem Job im Verkauf, als er in den Laden kam, der zu Huberts Betrieb gehört. „Im Verkauf war nichts frei, aber wir haben zurzeit einen Arbeitskräftemangel an Dachdeckern“, berichtet Hubert, „und da haben wir ihn gefragt, ob er das nicht versuchen möchte.“
Win-Win-Situation für Kumar und Betrieb
Genau das hat Kumar dann gemacht. „Ich habe es ausprobiert, und der Beruf hat mich überzeugt.“ Obwohl er noch keine Erfahrungen auf dem Gebiet hatte, gefiel ihm die Arbeit von Anfang an. Dazu kommt ein anderer wichtiger Aspekt: Die Chemie zwischen ihm, seinem Chef und den Kollegen hat sofort gestimmt. „Ich wurde wie in einer Familie aufgenommen. Ich fühle mich nicht, als ob ich erst eine Woche dabei bin“, so Kumar, der jetzt als Dachdeckergehilfe angestellt ist.
Auch Stefan Hubert ist zufrieden mit seinem neuen Mitarbeiter. „Das passt. Was er lernt, kann er gleich praktisch anwenden.“ Diese praktische Anwendung erfolgt fast jeden Tag auf einem anderen Dach. Stefan Hubert und seine acht Mitarbeiter sind in der ganzen Region unterwegs, vor kurzem haben sie an einem großen Projekt der Bundeswehr in Blankenburg mitgearbeitet.
Der eigentliche Schwerpunkt von Huberts Firma liegt aber auf der Sanierung historischer Dächer. Unter anderem waren sie an der Restaurierung des alten Fachwerkhaus in der Pölle 46 in Quedlinburg beteiligt, das vor wenigen Wochen mit dem Bundespreis für Handwerk in der Denkmalpflege ausgezeichnet wurde.
Einen Preis hat Sunil Kumar in seinem neuen Beruf zwar noch nicht gewonnen, aber er hat trotzdem bereits bewiesen, dass Mut sich manchmal lohnt. „Es gibt Leute, die bleiben zehn Jahre arbeitslos, weil sie nichts in ihrem Beruf finden. Ich finde, da sollte man lieber was anderes ausprobieren“, erklärt Kunar. (mz)