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Rollstuhlfahrer in Quedlinburg Rollstuhlfahrer in Quedlinburg: Schwachstellen im Unesco-Welterbe

Von Sabine Herforth 11.10.2016, 16:05
Oberbürgermeister Frank Ruch (v.l.) tastet sich mit Ute Kittel den Schlossberg hinab. Klaus Stegmann und Jens-Uwe Lilienthal  fahren lieber vorwärts.
Oberbürgermeister Frank Ruch (v.l.) tastet sich mit Ute Kittel den Schlossberg hinab. Klaus Stegmann und Jens-Uwe Lilienthal  fahren lieber vorwärts. Sabine Herforth

Quedlinburg - Es ruckelt und schüttelt ganz gehörig, wenn Ute Kittel mit ihrem Rollstuhl in der Welterbestadt unterwegs ist. „Dieses Geholper mag ich gar nicht“, sagt die Quedlinburgerin, die sich am Montagvormittag von Oberbürgermeister Frank Ruch durch die Blasiistraße, über den Schlossberg und den Wordgarten schieben ließ.

Dieser hatte zum zweiten Mal zu einem Rundgang eingeladen, um Schwachstellen ausfindig zu machen, die vor allem für Menschen mit körperlichen Einschränkungen ein Problem sind. Denn: Quedlinburg soll barriereärmer werden.

„Wir wissen um die Schwierigkeiten, die altes Pflaster mit sich bringt“, erklärt Oberbürgermeister Frank Ruch zu Beginn. Wo die Stadt ansetzen müsse, wüssten die Betroffenen jedoch am besten. Gemeinsam mit Vertretern der Verwaltung, von Selbsthilfegruppen, Einrichtungen und Vereinen sowie direkt Betroffenen wurde deshalb eine besonders schwierige Strecke gewählt, die noch viel Verbesserungspotenzial in Sachen Barrierefreiheit birgt.

Im September vergangenen Jahres hatte der Oberbürgermeister erstmals zu einem Rundgang durch die Stadt aufgerufen. „Wir konnten einige kleinere Stellen schnell verbessern“, führt Ruch aus. So wurden Hinweisschilder am Rathaus sowie am Einwohnermeldeamt angebracht, die auf barrierefreie Toiletten hinweisen. Weitere Bordsteinabsenkungen und Bänke sollen noch in diesem Jahr folgen.

Beim diesjährigen Rundgang stehen den Teilnehmern einige Hürden bevor. Schon in der Blasiistraße zeigen sich die Nachteile schmaler Fußgängerwege und großer Abstände bei verbauten Platten.

An vielen Stellen bleibt nur der Weg über die Straße, wo wiederum die groben Steine zum Hindernis werden. Wie anstrengend es für Rollstuhlfahrer ist, sich durch die Stadt zu bewegen, davon macht sich der Oberbürgermeister selbst ein Bild und übernimmt bei Ute Kittel das „Steuer“. Auch er muss ständig vom Gehweg auf die Straße wechseln und wieder zurück.

Für die Quedlinburgerin steht das Schloss normalerweise nicht auf dem Ausflugsplan. Denn den Schlossberg kann sie nur in einem Auto bewältigen, im Rollstuhl ist die Strecke undenkbar.

Klaus Stegmann meidet den Schlossberg aus dem gleichen Grund. Bei der Runde am Montagvormittag kommt er schnell an seine körperlichen Grenzen, als es bergauf geht. „Das ist ein Kraftakt. Aber runter ist es fast noch schlimmer“, sagt er.

Dann bestehe die Gefahr, vornüber zu kippen und sich ernsthaft zu verletzen. Viel Spielraum, die Bereiche rund um das Schloss, barriereärmer zu gestalten, sieht er jedoch nicht. Wichtiger sei ihm, dass die Wege an sich in Ordnung sind. „Wenn die Pflaster Löcher haben, ist es schwierig“, erklärt der Quedlinburger, der vor vielen Jahren lernte, sich in seinem Rollstuhl ohne fremde Hilfe zu bewegen.

Ein Knackpunkt bleiben nach wie vor abgesenkte Bordsteine, erklärt Sabine Bahß, zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit der Stadt Quedlinburg. An vielen Stellen im ganzen Stadtgebiet gebe es Bedarf. Im Durchschnitt kostet die Absenkung etwa 3000 Euro je Baumaßnahme. Das Niveau einfach nur abzusenken reiche aber nicht. Rollstuhlfahrer hätten dadurch zwar eine Hürde weniger und sparen Umwege, aber: „Ein abgesenkter Bordstein ist für den Blinden und Sehschwachen wieder ein Problem“, so Bahß.

„Wir suchen die Bordsteine schon mal, um Orientierung zu finden“, erklärt Jörg Schulze. Er muss sich mit einem Blindenstock in der Stadt zurechtfinden. An abgesenkten Übergängen, die für ihn nicht erkennbar in die Fahrbahn münden, bekommt er deshalb Probleme. Trotz guter Ortskenntnis und Unterstützung ist auch für ihn der Ausflug am Montag eine Herausforderung. „Man sollte sich wirklich Zeit nehmen, wenn man den Weg als Sehgeschädigter

geht. Man muss sich immer wieder Orientierungspunkte suchen“, begründet er. Für die Aktion findet der Wedderslebener jedoch nur positive Worte. „Ich finde es gut, wenn er da so dranbleibt“, lobt er den Oberbürgermeister.

Nach gut eineinhalb Stunden am Rollstuhl kommt Frank Ruch ordentlich ins Schwitzen. Was für die meisten ein kleiner Spaziergang ist, bedeutet für körperlich eingeschränkte Menschen eine gewaltige Anstrengung. Ziel des Oberbürgermeisters sei es, genau diese Thematik immer wieder in den Fokus zu rücken. Zudem wolle er das Signal senden, dass eigene Probleme auch mal zurückgestellt werden müssen, um Projekten zur Barrierefreiheit den Vorrang zu geben, „damit die, die es ohnehin etwas schwieriger haben, durchs Leben zu kommen, etwas einfacher haben“. Darüber hinaus sei es ihm ein Anliegen, „die Problematik in der Öffentlichkeit wach zu halten“. Deshalb kündigte er auch für das kommende Jahr wieder einen Rundgang an. Dann wolle er sich der Problematik barrierefreier Toiletten annehmen.

Kommentar Seite 8

(mz)

Mit Hilfe von Jens-Uwe Lilienthal  vom Bauhof (v.l.) wagt sich    Klaus Stegmann den Schlossberg runter. Für Jörg Schulze ist der  Weg etwas leichter zu bewältigen. Gudrun Bergmann von der Evangelischen Stiftung Neinstedt hat dennoch ein Auge auf die Situation.
Mit Hilfe von Jens-Uwe Lilienthal  vom Bauhof (v.l.) wagt sich    Klaus Stegmann den Schlossberg runter. Für Jörg Schulze ist der  Weg etwas leichter zu bewältigen. Gudrun Bergmann von der Evangelischen Stiftung Neinstedt hat dennoch ein Auge auf die Situation.
Sabine Herforth
Rollstuhlfahrer
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