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Nach dem Orden weiche Knie

Von DETLEF ANDERS 25.02.2011, 13:29

QUEDLINBURG/MZ. - "Staatskanzlei Magdeburg" - der Absender des Briefes versetzte Petra Klingner zunächst einmal einen Schrecken - "Ich habe doch keine Fördermittel falsch abgerechnet", war der erste Gedanke der Vereinschefin des Behinderten- und Rehabilitationssportvereins (BRSV) Sine Cura Quedlinburg. Doch es war ein ausgesprochen positiver Brief - die Einladung zur Auszeichnung mit der Bundesverdienstmedaille, die Bundespräsident Christian Wulff verlieh und am Mittwoch von Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmer ausgehändigt wurde.

"Am Ende hatte ich weiche Knie", erinnert sich Petra Klingner (53) nach der Auszeichnung an ihre Dankesworte in der Staatskanzlei. Schließlich wäre alles, was sie im Ehrenamt für den Verein erreicht hat, ohne ihre Mitstreiter nicht möglich gewesen.

Auf der Suche nach Sportangeboten für die geistig behinderten Kinder und Jugendlichen stellten die Lehrer der Sine-Cura-Schule fest, dass es keinen Verein gab, der es ihnen ermöglichte, regelmäßig Sport zu treiben. Michael Vogel, der damalige Geschäftsführer des Kreissportbundes Quedlinburg, unterstützte die Idee, einen eigenen Verein zu gründen.

Die Schule war nach der Wende gebildet worden. Zu DDR-Zeiten gab es für geistig behinderte Kinder lediglich eine Tagesstätte. Petra Klingner, die in Friedrichsbrunn Unterstufenlehrerin war, aber nach dem Babyjahr zur Wendezeit dort keine Stelle mehr hatte, wurde abgeordnet. Eigentlich hatte die Allröderin, die seit 2006 in Blankenburg lebt, keine spezielle Ausbildung. Doch sie fuchste sich dort hinein und wurde mit ihrer Sportlehrbefähigung auch gebraucht. "Die Wende im Osten gab meinem Lehrer-Dasein eine völlig neue Aufgabenstellung."

Der am 23. April 1993 gegründete "Sportverein der Sonderschule G" begann mit Gymnastik und Tischtennis. Heute gibt es die Arbeitsgemeinschaften "Schule in Sport und Verein" auch im Schwimmen, der Leichtathletik, Musik und Tanz, Rhythmische Gymnastik, Psychomotorik, Bosseln, Boccia, Basketball oder Floorball. Nachdem der Verein dem Behinderten- und Rehasportverband Sachsen-Anhalt (BSSA) beitrat, konnte auch Rehasport für Erwachsene angeboten werden. Neben den Arbeitsgemeinschaften für die 50 Schüler in elf Sportarten gibt es heute eine Dialyse-Sportgruppe, eine Gefäß-Sportgruppe und eine Sportgruppe für Menschen mit orthopädischen Problemen. Viele Lehrer haben die Ausbildung zum Fachübungsleiter absolviert und sind nach der Schule für den Verein tätig. 13 Übungsleiter sind es inzwischen.

Höhepunkte des jährlichen Vereinslebens sind die Trainingslager in der Bispinger Heide. Mit 30 geistig behinderten Kindern fahren die Übungsleiter eine Woche weg und ermöglichen nicht nur die erlebnisreiche Tage, sondern auch den Eltern einmal Zeit für sich. "Da steckt viel soziales Engagement dahinter. Das endet nicht hinter der Schultür", betont Petra Klingner.

Größtes Aushängeschild des Vereins ist sicherlich die jährliche Ausrichtung der Winterspiele für über 600 geistig behinderte Kinder und Erwachsene, die der BSSA in Friedrichsbrunn durchführt. Mittlerweile ist der Andrang selbst aus den angrenzenden Bundesländern so groß, dass es im 20. Jahr 2012 Beschränkungen geben wird.

Vereinssportfeste werden im Rahmen der Kreis-Kinder- und Jugend-Olympiade organisiert. Den Kindern werden zudem Erfolgserlebnisse durch Teilnahmen an deutschlandweiten Wettkämpfen, wie dem Jugend-Länder-Cup, vermittelt und andere Orte gezeigt. Im vergangenen Jahr wurde das erste Sportfest der Förderschulen für geistig behinderte Kinder im Harz mit Teilnahme von polnischen Schülern auf die Beine gestellt, 2007 das landesweite Sportfest des BSSA in Güntersberge organisiert. Am 16. März gibt es sogar das erste Floorball-Turnier. Petra Klingner ist der Motor, "aber wenn ich da stehe und habe keine Teile, die mit mir funktionieren, dann würde ich allein mit einer Sportgruppe da stehen und könnte nicht das organisieren, was wir jetzt erleben".

Die Blankenburgerin dankte am Mittwoch aber nicht nur ihren sieben Kolleginnen, mit denen sie den Verein gründete, den weiteren Vorstandsmitglieder Eva-Maria Siegmund und Erika Pingel, sondern auch Schulrektorin Birgit Schröder, BSSA-Geschäftsführerin Andrea Holz als unermüdliche Beraterin, den stellvertretenden Geschäftsführer des Kreissportbundes Thomas Trautmann als Ansprechpartner, der Stadt, dem Landkreis und Michael Lütje von der Kommunalen Beschäftigungsagentur sowie den Vereinsärzten. Und mit weichen Knien auch ihrer Familie, "ganz besonders meinem Mann und meiner Tochter".