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Brasilianer sagen dem Harz Adieu

Von ANDREAS BÜRKNER 06.02.2009, 15:29

BALLENSTEDT/MZ. - Ersteres vor allem, weil damit die stressige Phase der umfangreichen Organisation und Betreuung vorbei ist und sich die Zwölftklässlerin des Ballenstedter Wolterstorff-Gymnasiums wieder mehr auf ihre anstehenden Abiturprüfungen konzentrieren kann. Auf der anderen Seite sind ihr in diesem Zeitraum natürlich die Jugendlichen zwischen 16 und 18 Jahren ans Herz gewachsen.

"Jeder hat so seine kleinen Eigenheiten", beobachtete sie bei gemeinsamen Aktionen, wobei das Schlittenfahren am Friedrichsbrunner Hang ebenso zu den Höhepunkten gehörte, wie die Besichtigung von alten Burgen - kein Wunder, kannten doch bis auf wenige aus dem Süden des Landes stammende Brasilianer Schnee nur vom Hörensagen. Auch Burgen aus dem Mittelalter gibt es in ihrer Heimat nicht. Nach der gemeinsamen Einstimmung werden die Schüler auch mit italienischen oder deutschen Wurzeln nun zu neuen Gasteltern ziehen, bei denen sie bis zum Ende des Jahres bleiben.

Doch was führte sie ausgerechnet nach Deutschland? "Wir möchten die Sprache direkt in diesem Land lernen", war für Eduarda Santini der Grund. "Andere Kulturen beobachten", nannte Maria Clara Smith ihre Motivation und Pollux Freire verwies auf "Germany in the middle of Europe", Deutschland in der Mitte Europas, wie sich die Jugendlichen vorwiegend englisch verständigten. Bis auf Paula Gioia, der einheimischen Lehrerin, verstand niemand die portugiesische Muttersprache, also blieben nur Schulenglisch oder Hände und Füße übrig.

Gioia und Bea Musiol unterrichteten gemeinsam täglich acht Stunden deutsche Sprache und Lebensweise, machten sie mit Besonderheiten des Landes und der Bewohner bekannt. Schnell begriffen die Brasilianer daher auch, dass der als kühl empfundene Empfang allein an der zurückhaltenden, abwartenden Art der Deutschen lag. "Wir Südamerikaner sind viel offener, gehen auf Menschen zu", bezeichneten sie die Mentalität der hiesigen Bevölkerung als "exotisch". Doch längst ist das Eis gebrochen, haben sie "sehr nette Familien" gefunden, mit denen sie ihre Hobbys sogar teilen können. "Mit Brasilianern über Fußball zu reden, ist keine Kunst", fand der Ballenstedter Gastvater Matthias Brabandt, bei dem mit Bruno Guimaráes nur einer der drei Jungen unter sieben Mädchen war.

Aber auch Musik, Tanzen, Lesen oder Singen sind ähnliche Interessen wie die der hiesigen Jugend, selbst die Träume unterscheiden sich kaum: "Einmal nach Australien, Afrika oder Kanada." Nur ins Nachbarland Argentinien und die USA kamen zwei bisher von ihnen, Katherine Cozer von Staa sogar schon nach Frankfurt und Mainz - mit dem Vater als Pilot.

Madlen Schumann, die einmal Internationales Management studieren möchte, kann sich indes als Siegerin fühlen - sie gewann den Wettbewerb der Quartiersuche. "Gleich mehrere werden von YFU angesprochen", erzählte sie von "Youth For Understanding", der Austauschorganisation, die seit 1957 schon über 45 000 Jugendliche zum Schüleraustausch in 40 Länder vermittelte. "Wer zuerst alle Voraussetzungen schafft, bekommt den Zuschlag." Sie selbst war vor zwei Jahren zum Austausch in den USA, in der Olympiastadt Salt Lake City. "Dies ist auch ein Dank an die YFU." Ihr erster Versuch im Sommer 2008 war noch gescheitert, "doch auch mit Hilfe der Mitteldeutschen Zeitung habe ich zehn Familien in Ballenstedt, Friedrichsbrunn, Quedlinburg, Ermsleben und Meisdorf gefunden, am 29. Oktober 2008 kam der Zuschlag."

Damit begann die Vorbereitung vor Ort, unterstützt von Siegwart Werth, der bereits mehrfach Schüler in Ballenstedt zu Gast hatte. "Am 9. Januar landeten die Brasilianer in Frankfurt und wurden drei Tage später mit Zuckertüten im Gymnasium begrüßt", blickt Madlen wehmütig zurück. Aber eines weiß sie von den Gästen auch: "Nicht nur vom Wissen und der Sprache sind sie besser auf Deutschland eingestimmt - zahlreiche Einkäufe haben auch das Gepäck auf die hiesigen Temperaturen angepasst."