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Tageblatt/MZ stellt Varianten vor Straßenbahn-Ausbau Teil 3: Der realistische Altstadtring

Die kürzeste Strecke vereint geringe bauliche Probleme mit hohem Fahrgastpotenzial - und wird deshalb von Stadt und „Ille“-GmbH präferiert.

Von Harald Boltze Aktualisiert: 12.02.2022, 10:32
Diese Bus-Haltestelle wäre neuer Stopp der „Ille“. Die Schienen  lägen in der Mitte der rechten Fahrspur. Fahrtrichtung? Gen Salztor.
Diese Bus-Haltestelle wäre neuer Stopp der „Ille“. Die Schienen lägen in der Mitte der rechten Fahrspur. Fahrtrichtung? Gen Salztor. (Foto: Torsten Biel)

Naumburg - Ausführlich haben wir bereits die Vor- und Nachteile des „Großen Rings“ und des „Mittleren Rings“, sprich: die Varianten zur Erweiterung der Straßenbahn über den Moritzberg sowie unter dem Dom entlang, beleuchtet. Beide haben gegenüber der heute im Fokus stehenden, kürzesten Strecke einen symbolischen Vorteil, es käme tatsächlich zu einem Ringschluss. Deutlich schwerer wiegen hingegen die baulichen Herausforderungen: beim „Großen Ring“ unter anderem der Verzicht auf die historischen Wagen wegen zu steilen Gefälles, beim „Mittleren Ring“ etwa der notwendige Abriss von Häusern an der Engstelle in der Freyburger Straße.

Doch blicken wir nun auf die kleinste Variante. Hier würde die „Ille“ von der Poststraße auf den Postring abbiegen und dann auf der rechten Autofahrspur des Lindenrings gen Salztor zuckeln. Die Überlegung, die Bahn sogar mittig auf dem Lindenring fahren zu lassen, wurde verworfen - auch, weil der Denkmalschutz dies als Zerstörung der Promenade ablehnte.

Nachteile: Es ist offensichtlich: Ein klassischer Ring würde bei dieser Strecke nicht entstehen, eher ein Lasso. Wenn man genau hinsieht, sind es sogar zwei Schlingen, eine zusätzliche noch entlang des Markgrafenwegs als Wendeschleife, um Beiwagen zum barrierefreien Fahren einsetzen zu können. Ein weiterer Nachteil: Mit drei neuen Haltestellen am Kramerplatz, vor dem Café Kattler sowie am „Schlachthof“/Neuen Theater, entstünde ein Stopp weniger als bei den längeren Varianten. So lautet auch eine zuweilen gehörte Skepsis: „Na, lohnt sich denn das Ganze da überhaupt?“ Dazu hat Oberbürgermeister Armin Müller eine klare Meinung: „Die Erweiterung der Straßenbahn ist eine große Chance, die wir nutzen sollten. Dank Fördermitteln könnte hier ein wichtiger Schritt zur Stärkung von öffentlichem Nahverkehr und Tourismus geschehen.“

Schon zu DDR-Zeiten rollte die Straßenbahn den Lindring entlang.
Schon zu DDR-Zeiten rollte die Straßenbahn den Lindring entlang.
(Foto: Straßenbahn GmbH)

Vorteile des Lindenrings: Wer denkt, dass die kurze Variante weniger Fahrgäste bringt, täuscht sich. In einem aufwendigen, anerkannten Verfahren hat die Stadtverwaltung ermittelt, dass rund um den Lindenring aufgrund einer Vielzahl öffentlicher, von Naumburgern wie Einheimischen frequentierten Einrichtungen deutlich mehr Fahrgastpotenzial steckt als etwa in überwiegenden Wohnstraßen wie am Moritzberg. Mit 176.000 zusätzlichen Kunden „gewinnt“ die kürzeste Variante gegen die „mittlere“ (150.000), und die längste Strecke (50.000) liegt, so überraschend das klingt, hinten.

Weiterer klarer Vorteil: Mit Investitionskosten von „nur“ 10,8 Millionen Euro (im Vergleich zu 20,3 und 31,5) handelt es sich um den günstigsten Ausbau, zudem um denjenigen mit den mit Abstand geringsten technischen Schwierigkeiten. Das Aufreißen des einen Lindenringpflasters wird im Rathaus sogar als positiver Synergie-Effekt gesehen, da die wellige Fahrbahn eh sanierungswürdig ist. Auch wenn man sich bei allen drei Varianten eine 90-prozentige Förderung aus dem „Strukturwandel“-Topf erhofft, ist der Kostenpunkt hinsichtlich der klammen Haushaltslage nicht zu vernachlässigen. In den Kosten inklusive bei allen Varianten ist die Verlegung der alten Gleise in der Poststraße, die dann nicht mehr links im Gegenverkehr liegen sollen. Allen Strecken gleich ist zudem, dass Ampeln an diversen Kreuzungen nötig würden.

Finanzierung: Nicht nur, dass die städtischen Eigenmittel bei der kleinsten Variante mit einer halben Million Euro nur etwa halb so hoch wären wie bei den anderen Varianten. Auch die Wirtschaftlichkeit wird für den „Altstadtring“ als wesentlich besser berechnet. Der jährliche Zuschuss beträgt hier „nur“ 88.000 statt 455.000 sowie 560.600 Euro. Und das, weil weniger Personal gebraucht würde, da man dann mit zwei Bahnen ausreichen würde, die in gleicher Richtung fahrend den angestrebten 15-Minuten-Takt schaffen. Notwendig wäre bei der Lindenring-Variante eine Neuausrichtung der Buslinien. Dies wäre aber eher Chance als Problem, da das Bussystem von etlichen Beobachtern eh als optimierungswürdig gesehen wird, etwa vom Unterstützerkreis der Straßenbahn, der klar für die kürzeste Variante plädiert und dafür extra eine umfangreiche Studie hatte anfertigen lassen (wir berichteten).

Einschätzung: Und da sind wir bei einem wichtigen Punkt. Denn auch die beiden Protagonisten des Vorhabens sprechen sich deutlich aus: „Ich werde dem Rat die kurze Variante klar empfehlen“, sagt OB Armin Müller. „Auch für mich ist das die eindeutige Vorzugsstrecke“, meint Straßenbahn-Geschäftsführer Andreas Plehn.

Ausblick: Wenn hoffentlich viele Bürger ihre Meinung artikuliert haben (siehe „Bürger sind gefragt...“), wird der Gemeinderat, wohl im April, entscheiden. Dann gibt es drei Möglichkeiten. Erstens: Er stimmt keiner der Varianten zu. Das Projekt wird ad acta gelegt, die Eigenmittel der Stadt fließen in andere Projekte. Zweitens: Der Rat entscheidet sich für eine der längeren Varianten. Dann wird die Stadtverwaltung aktiv und versuchen, alle finanziellen und baulichen Hürden aus dem Weg zu räumen. Wie lange das dauert, sei aber nicht abzuschätzen, heißt es aus dem Rathaus. Und drittens: Der Rat votiert für den Lindenring. Dafür scheint die Zeitschiene klarer. „Wir würden Fördermittel aus dem Strukturwandel-Programm beantragen, wobei eine Bewilligung womöglich erst 2023 erfolgen würde. Dann braucht es wahrscheinlich ein Planfeststellungsverfahren und zwei bis drei Jahre intensive Planung. Ein Baustart in 2026 und eine Fertigstellung in 2028 zum großen Stadtjubiläum wären somit sportlich, aber nicht unrealistisch“, blickt Bau-Fachbereichsleiterin Ute Freund voraus.

Was aber passiert, wenn im Rat die Entscheidung mit 21:19 nur ganz knapp für eine Variante ausfällt? „Dann erscheint das ganze Projekt wenig sinnvoll. Bei so einer wichtigen Sache wäre es wünschenswert, auf eine breite Zustimmung bauen zu können“, so OB Müller. „Ille“-Geschäftsführer Andreas Plehn blickt optimistisch voraus. „Fast alle Stadträte, die das Gespräch mit uns gesucht haben und erst skeptisch gegenüber dem Lindenring waren, konnten wir durch unsere Argumente überzeugen.“