Nach Anschlag in Halle Nach Anschlag in Halle: Trauer im Ständehaus Merseburg

Merseburg - „Es ist super, super komisch, zwei Tage nach diesen schrecklichen Morden in Halle hier zu stehen und über dieses Thema zu sprechen.“ Eigentlich wollte die Autorin Veronika Kracher ihr Beileid zum Ausdruck bringen, wie sie gegenüber der MZ vor ihrem Vortrag im Rahmen des Merseburger Kulturgesprächs „Popkultur & Identität“ erklärte. Aber man merkte: Selbst ihr fehlten die Worte nach den Verbrechen, bei denen auch ein 20-jähriger Merseburger getötet worden war. „Ich habe mich seit zwei Tagen mit nichts anderem befasst“, erklärt sie dann gegenüber den Studenten des Fachbereichs Soziale Arbeit/Medien/Kultur, von denen ein Teil die Veranstaltung organisiert hatte.
Täter von Halle sei vermutlich in irgendeiner Art gekränkt gewesen
Für die Erstsemester war das Kulturgespräch zur Pflichtveranstaltung erklärt worden, wodurch die Veranstaltung zumindest gut gefüllt war.
Veronika Kracher hatte nicht nur für den „Tagesspiegel“ über die Ereignisse in Halle geschrieben. Sie beschäftigt sich schon seit Jahren mit dem Thema Täter, die aus gekränkter Männlichkeit agieren, oder sogenannten „Incel“. Incel ist ein Kofferwort aus involuntary, dem englischen Wort für „unfreiwillig“ und celibacy, dem englischen Wort für „Zölibat“.
„So bezeichnen sich vorwiegend in den USA weiße, heterosexuelle Männer, die der Meinung sind, Frauen würden ihnen den Sex vorenthalten und deshalb auch Gewalt gegen Frauen ausüben oder das zumindest gut finden.“ Auch der Täter von Halle sei vermutlich in irgendeiner Art gekränkt gewesen, sei aber ein neuer Tätertyp. „Denn er hat sich offenbar als Einzelperson organisiert.“ Diesen Typus müsse man analysieren und ihm entgegentreten. „Damit so etwas nie wieder passiert“, sagte die Autorin.
Unmut über Zeitrahmen der Veranstaltung
Bei Autor Frank Apunkt Schneider ging es dann tatsächlich um Popkultur, zu der natürlich auch Popmusik gehört, die wiederum die Kraft hat, auch Probleme widerzuspiegeln. „Zum Beispiel ist Migration kein Straßenfest. Das ist stressig. Menschen migrieren bis zum Umfallen, und zwar, weil sie etwas Besseres haben wollen, weil sie nichts mehr zu Fressen haben. Und solche Sachen macht Popmusik hörbar.“ Und die Kulturindustrie sorge dafür, dass sich diese Dinge weltweit verbreiten.
Das aktuelle Kulturgespräch war keines in der Tradition der 2002 gestarteten Reihe. „Ich habe meinen Unmut darüber schon zum Ausdruck gebracht“, sagte der Merseburger Ralf Buschendorf. „Man keine eine solche Veranstaltung doch nicht am Freitag von 10 bis 17 Uhr ansetzen.“ Es gebe schließlich auch interessierte Merseburger, die noch im Berufsleben stehen und gar nicht kommen könnten.
Merseburgs OB Bühligen begrüßte in diesem Jahr wieder das Kulturgespräch
In der Vergangenheit waren aus dem Kulturgespräch immer wieder tolle Initiativen und Vereine hervorgegangen - zum Beispiel der Förderverein Kino Völkerfreundschaft, die Defa-Filmtage oder auch der Merseburger Kunstverein Mer-Kunst. 2011 entstand die Idee eines Festivals für Merseburg, was der Bürgercampus wurde. „Heute ging es wohl mehr um Inhalte“, sagte Christian Licher vom Organisationsteam der Masterstudenten der Angewandten Medien- und Kulturwissenschaften.
Merseburgs OB Jens Bühligen (CDU) begrüßte, dass es in diesem Jahr wieder ein Kulturgespräch gab. „Das heißt ja, dass sich die Studenten, von denen ja viele in den Merseburger Vorstädten Leipzig und Halle wohnen, auch mit der Domstadt beschäftigen.“ Bühligen entschuldigte sich, dass er nicht pünktlich zum Auftakt der Veranstaltung gekommen war. Er hatte am Vormittag die Eltern des Merseburger Anschlagsopfers Kevin S. besucht.