Mit Zinn gegen den Tumor Merseburger Wissenschaftler forscht an neuem Krebsmedikament
Jährlich erkranken weltweit Millionen Menschen an Krebs. Goran Kaluđerović arbeitet an der Hochschule Merseburg an neuartigen Methoden zur Tumorbekämpfung. Die sollen günstiger sein und weniger Nebenwirkungen haben.

Merseburg/MZ - Beim letzten Mal gab es Einstein, diesmal bekam Goran Kaluđerović eine Figur von Marie Curie überreicht. Eine Chemikerin und Physikerin für den Chemiker, der nun in weniger als 24 Monaten bereits zum zweiten Mal den Forschungspreis für Mitarbeiter der Hochschule Merseburg erhalten hat. In beiden Fällen prämierte die Jury damit die Grundlagenarbeiten des Montenegriners für die Behandlung von Krebs. Und doch ging es um unterschiedliche Arbeiten.
Kaluđerović schraubt im Labor der Hochschule ein Plastegefäß auf: „Wie Puderzucker“, beschreibt er treffend das weiße Pulver darin, für das er den Einstein, also seinen ersten Forschungspreis, erhalten hat. Tatsächlich handelt es sich dabei um Nanoteilchen aus Siliciumdioxid. „Mesoporöse Silica“ in der Fachsprache. Die löchrigen Teilchen, die eine Größe von 100 Nanometern – das entspräche einem Coronavirus – bis zu einem Mikrometer haben können, sollen als Träger dienen. Sie können mit Wirkstoffen beladen werden, die so zielgerichteter in die Tumorzellen transportiert werden, damit unerwünschte Reaktionen unterwegs ausbleiben.
Bisher viele Nebenwirkungen
Bei der nun mit der Curie-Figur prämierten Arbeit geht es um die Medikamente, die auf diesen Trägern, diesen porösen Siliciumdioxidteilchen, transportiert werden sollen. „Der Goldstandard in der Krebstherapie ist bisher Cisplatin“, erläutert Kaluđerović. Das komme seit den 1970ern zur Anwendung. Es wirke zwar nicht gegen alle, aber viele Tumorarten.
Allerdings löst Cisplatin oft Nebenwirkungen wie Haarausfall aus. Problematisch ist aus Sicht des Forschers aber vor allem, dass es durch die Behandlung mit dem Medikament zu Nierenschäden kommen kann. Zudem wird für die Herstellung Platin benötigt. Ein teurer Ausgangsstoff. Auf der Suche nach einer Alternative ist Kaluđerović beim Zinn gelandet. „Zinnverbindungen sind früher zur Fäulnisbekämpfung etwa von Holz verwendet worden, weil es Bakterien abtötet. Sie sind sehr toxisch. Deshalb gilt es die passende Balance zu finden.“ Schließlich soll das Medikament nur die Tumorzellen treffen. Daher probiert der Chemiker seit Jahren, mit welchen Molekülen das Zinn am besten kombiniert werden muss, um die gewünschte Wirkung zu erzielen.
Zinn ist viel billiger als Platin
Über die erste Generation hat er bereits Artikel in Fachzeitschriften verfasst, jetzt forscht er an der zweiten. Die bisherigen Ergebnisse stimmen ihn zuversichtlich. „Der zinnbasierte Wirkstoff hat deutliche Vorteile gegenüber Cisplatin. Es tötet nicht nur die Tumorzelle, sondern kann sie auch so umprogrammieren, dass sie wieder zu einer normalen Zelle wird.“ Zudem werde im Vergleich zu Cisplatin nur ein Sechzigstel der Wirkstoffmenge benötigt, um dieselbe Wirkung zu erzielen.

Allein das wäre auch eine finanzielle Ersparnis. Hinzu kommt, dass Zinn viel billiger als Platin ist. Kaluđerović rechnet die Beschaffungspreise für das Labor vor: „100 Gramm Zinn, das wir für die Synthese benutzen, kosten etwa 70 Euro. Beim Platin sind es 50 Euro pro Gramm.“
Vielversprechende Tierversuche
Kaluđerović synthetisiert und testet die Zinnverbindungen im Labor an Tumorzellen – also in vitro (wörtlich: im Glas). Mittlerweile ist die erste Wirkstoffgeneration einen Schritt weiter, wird an lebenden Organismen (in vivo) getestet. Die Tierversuche mit Hautkrebszellen hätten Kollegen in Belgrad übernommen, berichtet der Forscher. „Sie konnten zeigen, dass bei den Tieren, die mit zinnbasierten Wirkstoffen auf Siliciumträgern behandelt wurden, kein Tumorwachstum mehr stattfand. Es gab bei den Tierversuchen keine Nebenwirkungen, kein Haarausfall, kein Nierenversagen, kein Gewichtsverlust.“
Weiter Weg zum Medikament
Vielversprechende Ergebnisse – und doch ist der Weg bis in die Praxis wie so oft in der Grundlagenforschung weit und unsicher. „Es ist nicht gesagt, dass der Stoff, der am besten in-vitro wirkt, auch in-vivo am besten ist. Deshalb sind in der Vergangenheit in Studien schon viele vielversprechende Medikamente ausgeschieden“, warnt Kaluđerović, der damit rechnet, dass es bis zu klinischen Studien seines Wirkstoffs am Menschen noch zehn Jahre dauern könnte. Sollten die Erfolg haben und es am Ende auch einen Abnehmer aus der Pharmazie für die Zinnidee geben, könnten in Merseburg die Wurzeln für ein neuartiges Krebsmedikament liegen. Dann bekämen Einstein und Curie wohl bald Gesellschaft.