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Erfolgsgummi Erfolgsgummi aus Buna: Wie die Nazis den Kautschuk nach Schkopau brachten

Von Robert Briest 02.07.2017, 10:00
Eng bebaut und von rauchenden Schloten überragt: Das Buna-Gelände in den 50er Jahren.
Eng bebaut und von rauchenden Schloten überragt: Das Buna-Gelände in den 50er Jahren. Trinseo

Schkopau - Vor 80 Jahren änderte sich die Welt der Reifenproduktion , sagt Ralf Irmert. Und sie änderte sich in Schkopau. Hier, am Rande eines bisher unbedeutenden Rittergutdorfs, entstanden zwar keine Reifen, wohl aber deren wesentliches Material: Kautschuk. Der ist bis heute wichtiger Lohnbringer in der Region.

Zuständig dafür ist mittlerweile Ralf Irmert. Der Geschäftsführer von Trinseo Schkopau, so der heutige Firmenname des Kautschukproduzenten, sitzt in einem eher schlichten Büro eines schmucklosen Hauses im Herzen des Chemieparks. Der Blick aus dem Fenster bleibt unweigerlich an den in der Sonne glänzenden Rohren hängen, durch die die Chemikalien in die benachbarten Produktionsgebäude fließen. Wie es früher aussah, zeigt Irmert auf Bildern eines Kalenders, den seine Firma zum Jubiläum aufgelegt hat. Rauchende Schlote sind darauf zu sehen, endlose Maschinenreihen.

Werk in Schkopau wurde für Herstellung synthetischen Kautschuks errichtet

Die Nazis wollten sich Mitte der 1930er Jahre unabhängig machen, von dem aus Asien und Afrika zu importierenden Naturkautschuk. Zur Autarkie benötigten sie synthetischen Kautschuk, hergestellt aus Kohle. Ein komplexes Verfahren, zu dessen Zweck sie das Werk in Schkopau errichteten. Bei der Standortwahl spielten wohl die nahe Braunkohle, die bereits bestehenden Leuna-Werke sowie die gute Verfügbarkeit von Wasser zur Kühlung, eine Rolle, sagt Irmert. Schließlich wurde der Kautschuk anfänglich in einem heißen Polymerisationsverfahren produziert.

.. wurde der Grundstein  für das Werk in Schkopau gelegt.  Nur ein Jahr später wurde dort bereits der  erste Kautschuk, vor allem für Reifen, produziert.

.. Millionen Tonnen Kaltkautschuk wurden seither nach Schätzungen von Trinseo in Schkopau produziert. Die Produktion wird derzeit ausgebaut.

.. Mitarbeiter zählt Trinseo heute am Standort. In Spitzenzeiten hatte Buna über 18.000. Damit zählte es zu den größten Unternehmen im Land.

.. Millionen Euro investiert Trinseo derzeit in neue Anlagen.  Der ursprüngliche Bau in den 30ern kostete 400 Millionen Reichsmark.

„Erst in den 1960er Jahren wurde das Kaltkautschukverfahren eingeführt. Das gibt dem Produkt bessere Eigenschaften“, berichtet der Geschäftsführer. Das Ergebnis sei aber weiterhin ESBR gewesen. Emulsions-Styrol-Butadien-Kautschuk – das R kommt vom englischen rubber. Irmert schätzt, dass in Schkopau bisher mehr als 3,5 Millionen Tonnen des Kaltkautschuks produziert wurden. Noch heute ist ESBR eines der Hauptprodukte von Trinseo. Allerdings, merkt Irmert an, seien seither weitere Kautschukvarianten hinzugekommen.

Stolz verweist er auf die Forschungsabteilung, die in Schkopau mittlerweile knapp 70 Mitarbeiter umfasse. „Die Lebenszyklen von Kautschukprodukten sind deutlich kürzer geworden, waren es früher zehn Jahre, sind es heute zwei bis vier.“ Es geht um weniger Rollwiderstand und gleichzeitig mehr Bremshaftung für die Reifen. Denn in deren Produktion gehen mehr als 80 Prozent der in Schkopau produzierten Kautschukballen. Und die sind anders als das runde Endprodukt Weiß. Das Schwarz komme erst durch die Zugabe von Ruß, der Grip und UV-Stabilität bringt, erklärt Irmert, der sich sicher ist: „Nur mit alten Produkten wären wir nicht mehr hier.“

Kautschukherstellung in Schkopau nach der Wende vor dem Aus

Auch so stand die Kautschukherstellung in Schkopau nach der Wende auf der Kippe. Die Anlagen des in Spitzenzeiten über 18.000 Mitarbeiter zählenden Buna-Werks stammten aus den 60er und 70er Jahren, waren mithin teilweise veraltet. Mitte der 1990er übernahm dann jedoch der Chemiekonzern Dow das Areal. Kautschuk wurde von der zentralen Produktstrecke zu einer unter mehreren und ging 2010 schließlich an Trinseo.

Doch Name und Mitarbeiterzahl - heute sind es etwa 550 - sind nicht die einzigen Dinge, die sich seither geändert haben. Die auch außerhalb des Werkes am leichtesten wahrnehmbare Änderung: Der berüchtigte Schmutz ist verschwunden. Irmert hat dafür zwei Erklärungen: Die heutige Anlage halte natürlich geltende Umweltstandards ein. Vor allem aber sei der Staub und Dreck der DDR-Zeit keine direkte Folge der Kautschukproduktion gewesen, sondern der Gewinnung der notwendigen Zwischenprodukte aus Kohle, vor allem die Carbidgewinnung führt er hier an.

Trinseo investiert 50 Millionen Euro bis 2018 in Kautschukstandort Schkopau

Heute werden die Vorprodukte nicht mehr in Schkopau selbst gewonnen. Styrol und Butadien kommen in Kesselwagen oder per Pipeline aus dem Werk in Böhlen bei Leipzig. Als Grundstoff für deren Herstellung dient auch nicht mehr Kohle, sondern Erdöl. Auch die Lebensdauer der Reifen als Endprodukt hat sich massiv erhöht. „Die Reifen hatten vor 80 Jahren eine Ausfallrate, die konnte man im Prozentbereich angeben“, erzählt Irmert. Heute sei man da bei der Haltbarkeit in einer anderen Welt.

Damit auch der Kautschukstandort Schkopau nicht irgendwann doch noch mal einen Platten bekommt, investiert Trinseo derzeit. 50 Millionen Euro sollen bis 2018 verbaut werden, in neue Butadientanks etwa, um unabhängiger von Pipelinestörungen zu werden. Ende August/Anfang September werde auch die neue Pilotanlage fertig sein, berichtet der Geschäftsführer. Mit der will das Unternehmen künftig Neuentwicklungen schnell in größeren Mengen produzieren, damit die Reifenhersteller sie testen und in ihre eigenen Entwicklungen einbauen können. (mz)

Historische Polymerisationsbatterie für den Warmkautschuk
Historische Polymerisationsbatterie für den Warmkautschuk
Trinseo