Das Rätsel der Weißenschirmbacher Hungerquelle Das Rätsel der Weißenschirmbacher Hungerquelle: Ist der Eimer voll, dann läuft er über
Weißenschirmbach/MZ. - Das Geheimnis der so genannten Hungerquelle in Weißenschirmbach beschäftigt die Einwohner schon lange. Es ist auch wirklich kurios. Tritt die Quelle im Frühjahr mitten im Ort zu Tage, dann folgt in aller Regel danach ein trockenes Jahr. Die zurückliegenden Monate waren dafür ein Paradebeispiel. Bis zum Mai / Juni sprudelte das Wasser aus der Quelle. Was danach kam, ist bekannt: eine extreme Trockenheit. Die MZ lüftet nun das Geheimnis, das viele dort schon sehr lange beschäftigt.
Weißenschirmbach befindet sich im westlichen Randbereich einer flachen geologischen Muldenlagerung. In ihrem Kern ist zwischen Mücheln und Freyburg Muschelkalk ausgebildet. Der Ort Weißenschirmbach selbst steht aber schon vollständig im Austrichbereich des unterlagernden Oberen Buntsandsteins. Die Schichten des Oberen Buntsandsteins bestehen im Gegensatz zu ihrem Namen überwiegend aus schlecht durchlässigen Schluff- und Tonsteinen. Sie fallen flach nach Osten in Richtung auf das Muldenzentrum ein. Noch weiter westlich schließt sich der Mittlere Buntsandstein an, der tatsächlich überwiegend aus Sandsteinen besteht, die einen guten Speicher für Grundwasser bilden. Der geologische Bau des Untergrundes ist auch aus dem prinzipiellen Profil in der Abbildung ersichtlich.
Für die Bewegungsmöglichkeit des Grundwassers ist wichtig, dass in Nähe der nördlichen Ortsgrenze wahrscheinlich eine Störung verläuft. Störungen sind bedeutende Bruchflächen, an denen infolge gewaltiger tektonischer Kräfte in der Vergangenheit einzelne Festgesteinsschollen sich vertikal zueinander bewegt haben. Die Störungsgebiete sind in der Regel bevorzugte Bewegungsbahnen für das Grundwasser.
Über die Störung ist die Ortslage mit dem eigentlichen Grundwasserneubildungs- und Speicherraum, dem Verbreitungsgebiet des Mittleren Buntsandsteins, verbunden. Der Übergang vom Mittleren zum Oberen Buntsandstein zeichnet sich in der Landschaft morphologisch deutlich ab. Der härtere Mittlere Buntsandstein leitet über zur Hochfläche des Ziegelrodaer Forstes. Nach Osten fällt das Gelände ab und ist von zahlreichen in West-Ost-Richtung verlaufenden Tälchen mit kleinen, nur episodisch Wasser führenden Bächen durchzogen. Sie werden von den Grundwasserspeichergesteinen des Mittleren Buntsandsteins gespeist. An den wenig durchlässigen Schichten des Oberen Buntsandsteins wird das Grundwasser des Mittleren Buntsandsteins an einer natürlichen unterirdischen Mauer aufgestaut und läuft gelegentlich in die kleinen Quertäler "über".
Alles deutet darauf hin, dass es sich bei der Hungerquelle ebenfalls um einen solchen Überlauf handelt, der allerdings das erwähnte Störungsgebiet als Bewegungsbahn nutzt. Dem Ganzen liegt vermutlich folgender Mechanismus zugrunde: Die Grundwasserergänzung in einem Grundwasserleiter vollzieht sich über die Versickerung eines Teils des Niederschlagswassers. Sie ist sehr ungleichmäßig über das Jahr verteilt.
Im Sommerhalbjahr erfolgt trotz der im Mittel deutlich höheren Niederschlagsquote praktisch keine Grundwasserneubildung, da die höhere Landverdunstung und die Transpiration der Pflanzen die Feuchtigkeit vollständig aufbrauchen. Im Winterhalbjahr (worunter hier die Periode vom Oktober bis März verstanden wird) kann dagegen die Versickerungsfront sich ungehindert bis in den Grundwasserbereich fortbewegen.
Im zeitigen Frühjahr erreichen deshalb die Grundwasserspiegel in ihrem jährlichen Gang die maximalen Höhenlagen. Wenn in den Grundwasserspeichergesteinen des Mittleren Buntsandsteins eine bestimmte Spiegelhöhe überschritten wird, springt über das Störungssystem als verbindendes Element im Frühjahr die Hungerquelle an. Wie kommt nun die von der Überlieferung abgeleitete Verbindung zu dem trockenen Jahr zustande? Mehrere trockene und mehrere nasse Jahre folgen selten aufeinander. Der Schlüssel der überlieferten Beobachtung könnte darin liegen, dass einem nassen Jahr, dass sich noch im nächsten Frühjahr im Anspringen der Quelle äußert, in der Regel ein trockneres Jahr folgt.
Das Trockenjahr wiederum bewirkt, dass die Mindestgrundwassermarke zum Anspringen der Quelle im nächsten Frühjahr nicht erreicht wird. Es folgt aber sehr wahrscheinlich ein Normaljahr. Das in dem Beitrag vom 1. August unzutreffend als "Trockenjahr" deklarierte Jahr 1994 kann allerdings trotzdem als Beispiel gelten, da das vorangegangene Winterhalbjahr außerordentlich niederschlagsreich war.
Wie das gesamte Jahr 1994 überhaupt. Man erinnere sich nur an das Saale-Hochwasser. Der Eindruck großer Trockenheit ist offenbar deshalb entstanden, weil der Sommer gleichzeitig sehr heiß war. Auch das Jahr 2002 war extrem nass. Nach meinen eigenen Messungen lag in Merseburg die Jahressumme des Niederschlages um 40 Prozent höher als das langjährige Mittel. Und da auch die Wintermonate bis zum Januar von dem Überschuss betroffen waren, war im Frühjahr ein Füllstand erreicht, der die Quelle aktiviert hat. In diesem Jahr sieht es nicht so aus, als ob die Quelle im Frühjahr wieder anspringen würde. Hoffentlich kommt dann wieder einmal ein Normaljahr.
(Unser Autor ist Dezernatsleiter Umwelt- und Hydrogeologie im Landesamt für Geologie und Bergwesen.)