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Von der Hofkapelle zur Zirkusluft

Von STEFFEN DÖRRE 10.05.2010, 16:31

KÖTHEN/MZ. - Über mangelnde kulturelle Auswahl konnte man sich am vergangenen Sonnabend in und um Köthen wahrlich nicht beklagen. Countrynacht in der Kulturscheune, Musikmeile, Weltrotkreuztag - und im Veranstaltungszentrum das "Nocturne im Kerzenschein" der Kreismusikschule "Johann Sebastian Bach". Eine Nachtmusik auch, aber nicht nur für Klassik-Fans. "In Köthen geht es wunderlich, das weiß die ganze Welt", so ließen Martina und Manfred Apitz den Nocturne-Chor nach einem Stück von Johann Nicolaus Bach singen.

Und wenn man genau hinsieht, dann kann man es wohl auch heute noch entdecken, das Wunderliche - da mag die ältere Dame, die sich just bei diesem Lied bereits an den Geräuschen eines tätigen Kugelschreibers störte, eher noch eines der weniger erfreulich-possierlichen Beispiele sein. Manfred Apitz war zur Freude der Musikschulgäste, die an diesem Abend den großen Bach-Saal auch beinahe gänzlich befüllten, ganz in seinem Element. Ob mit Trompete an den Lippen, Violine auf der Schulter - oder beinahe musikmeilengemäß mit der E-Gitarre; er riss seine Musiker-Kollegen und die Besucher gleichermaßen mit.

Manchmal sogar mit Sprüngen, wie sie selig Hänschen Rosenthal höchstselbst zur Ehre gereicht hätten. Dalli Dalli musste es aber auch wirklich gehen, das Wenden der Notenblätter; Telemann, Robert Schumann - aber auch swingende Schlager wie "Man müsste Klavier spielen können" und "Am Sonntag will mein Süßer mit mir segeln geh'n" wollten schließlich nicht nur virtuos, sondern auch zügig vorgetragen sein.

Die Kraft der Atemluft, Finger auf den Saiten und viel Rhythmusgefühl, das brachten die Künstler in die teilweise Jahrhunderte alten Stücke ein, derweil weiter draußen in der Stadt auch eher schon Bits und Bytes mannigfaltigen Musikgenuss an die Zuhörer brachten. Und so verändert sich eben manches, während einiges auch bleibt bzw. wieder neu entsteht - wie die neu gegründete Köthener Hofkapelle, die an diesem Abend mit dem Schlossconsortium, dem bereits erwähnten Nocturne-Chor und Solisten wie Marie Apitz, Norbert Schulze, Konrad Deißner, Nick Gerngroß und Andreas Hardelt für die Köthener Musikfreunde sich ins Zeug legte. Und das mit historischen Instrumenten wie Barockviolinen, einer Barockviola - "nur Kopien", wie Apitz verschwörerisch raunte - Laute, Traversflöte und anderen, die weniger auf Lautstärke abzielen, sondern eher auf intimeren Klang; durch andere Bögen, die man extra gekauft hat, einen tieferen Kammerton und anderes mehr.

Nach der ungarischen Csardas-Folge, mit der dann auch die Internationalität nicht fehlte, kam die Pause, die den Gästen dieses erfreulich erschwinglichen Kulturgenusses sogar kostenlose Getränke und Knabbereien bot. Alsdann gastierte die Tanzgruppe des Köthener Ludwigsgymnasiums mit einer Zirkus-Suite, die schon den Hauch von Zelt und Sägespänen vermitteln konnte - und überdies mit zierlichen Pferdchen, anmutigen orientalischen Tänzerinnen und gelenkigen Clowns auch die Augen erfreute.

Zum Tag der Befreiung gab es den Ringelnatzschen Zyklus "An die hochverehrten Herren", von Marie Apitz vorgetragen, deren Blondschopf ansonsten hinter dem Geigenpult hervorlugte. Und als ob man die Gäste schon auf die Musikmeilen-Nacht vorbereiten wollte, wurde es dann rockiger. Meister Apitz mit der E-Gitarre "Got the Lonesome Blues", "Nobody knows", "Swing Low", "Something" von George Harrison, "Kinder" von Bettina Wegner und schließlich die "Lebenszeit" der Puhdys. Es war nach halb elf, als die "Nachtmusik im Kerzenschein" endete - nicht ohne das Versprechen, dass es im Oktober die Fortsetzung geben wird. Auch Wünsche nimmt man in der Kreismusikschule gern entgegen - denn schließlich soll dieser Höhepunkt für die Köthener Musiklernenden und -lehrenden freudige Herausforderung ebenso sein wie für die Gäste wohlgefälliges Musikgenießen.