Glocken läuten zu ungewohnter Zeit „In der Scheune lagen die Toten“: Erinnerung an den Bombenangriff im August 1944 auf Naundorf
Ortsbürgermeister und Anwohner erinnern an das tragische Ereignis. Unter den Opfern waren zwei Kinder und fünf Zwangsarbeiterinnen aus der Ukraine.

Naundorf/Lausigk/MZ. - Die Glocken der Dorfkirche in Lausigk läuteten, obwohl dort am Freitag um 12 Uhr weder eine Taufe noch eine Hochzeit oder eine Beerdigung stattgefunden hat. Drei Anwohner haben sich eingefunden. Kornelia Horn (65), Horst Schulze (80) und Ortsbürgermeister Norman Tarnow (47, CDU) wollen an ein tragisches Ereignis in der Geschichte von Naundorf erinnern.
Vor 80 Jahren, am 16. August 1944 gegen 11.45 Uhr, sind elf Bomben aus einem Flugzeug der Alliierten auf Naundorf abgeworfen worden und haben dort 15 Menschen getötet, darunter zwei Kinder und fünf ukrainische Zwangsarbeiterinnen. Weil es in Naundorf keinen Friedhof gibt, wurden die Opfer auf dem Friedhof im benachbarten Lausigk beigesetzt.
„Viele Zeitzeugen sind ja inzwischen gestorben. Umso wichtiger ist es, solche Ereignisse der jungen Generation immer wieder ins Gedächtnis zu rufen und allen klarzumachen, wie furchtbar der Krieg gewesen ist“, betont Norman Tarnow.
Ob es sich bei dem Abwurf der elf Bomben, die je 250 Kilogramm schwer gewesen sein sollen, um einen sogenannten Notabwurf gehandelt hat – sprich auf ursprünglich nicht als Ziel vorgesehene Objekte vor einer Notlandung mit scharfen Bomben – das lässt sich nach 80 Jahren nur sehr schwer klären. Fest steht: Am 16. August 1944 hat es einen schweren Luftangriff von amerikanischen und britischen Flugzeugen auf die Junkers-Motorenwerke in Dessau sowie angrenzende Wohngebiete gegeben.
„In der Nähe gingen eine Reihe abgeschossener amerikanischer und britischer Flugzeuge nieder“, heiß es zu dem Angriff in der Online-Enzyklopädie Wikipedia. War unter den abgestürzten Flugzeugen auch die Maschine, die zuvor ihre Bomben auf Naundorf abgeworfen hat?
Ortsbürgermeister Norman Tarnow hat von Alteingesessenen erfahren, dass es sich bei dem Flugzeug um eine kanadische Maschine gehandelt haben soll, die von Jagdflugzeugen oder einer Flugabwehrkanone (Flak) getroffen worden sei und sich im Sinkflug befunden habe. „Bevor die Maschine hinter Quellendorf abgestürzt ist, soll sie ihre Bomben auf Naundorf abgeworfen haben.“
Drei Zeitzeugen berichteten 2014 über den Bombenangriff 1944 auf Naundorf
Auch vor zehn Jahren, am 16. August 2014, hatten Anwohner an die Opfer des Bombenangriffs von Naundorf erinnert. An der Kranzniederlegung im August 2014, über die eine Redakteurin damals im MZ-Lokalteil Köthen berichtet hat, nahmen auch drei über 80 Jahre alte Zeitzeugen teil:
Es waren die Schulfreunde Werner Köhler und Max Burghausen (beide Jahrgang 1930) aus Naundorf und Walter Strauß (Jahrgang 1929) aus Lausigk, die alle drei in der Landwirtschaft groß geworden sind.
„Der 16. August 1944 ist ein sehr warmer Sommertag. Um die Mittagszeit sind die meisten Bauern in Naundorf und Lausigk auf dem Feld, um Heu zu machen. Da wird jede Hand gebraucht, auch die der 14- und 15-jährigen Schulfreunde Werner Köhler und Walter Strauß aus Lausigk sowie Max Burghausen. Unterstützt werden die Bauern in diesem Jahr durch Zwangsarbeiterinnen aus der Ukraine. Jäh unterbrochen werden die Erntearbeiten um die Mittagszeit von einem Bombenangriff, der den Junkers-Motorenwerken gilt. Danach ist nichts mehr, wie es war“, heißt es weiter im Bericht der MZ von 2014.
Seit dem Jahr 1988 stehe anstelle eines früher errichteten schlichten Holzkreuzes ein Gedenkstein mit den Namen von vier ukrainischen Zwangsarbeiterinnen auf dem Friedhof in Lausigk, „der fünfte Name war auf dem verwitterten Kreuz nicht mehr zu entziffern“. Die deutschen Opfer seien in Familiengräbern beigesetzt worden.

Der 84-jährige Max Burghausen, der im Haus Nr. 4 in der Naundorfer Dorfstraße geboren ist, erinnerte sich im August vor zehn Jahren so: „Es war gegen 11.45 Uhr, wir sind gerade vom Acker gekommen. Als die Bomber kamen, hat meine Mutter entschieden, dass wir alle in den Keller runter sollen, was wir sonst eigentlich nicht gemacht haben. Dann gab es einen mächtigen Knall.“
Als der Junge wieder nach oben kam, sah er nur eine „Menge Dreck, der überall rumflog“. Max lief aufs Nachbargrundstück der Familie Goldmann und war entsetzt: Nur der zwölfjährige Heinz Goldmann hatte schwer verletzt überlebt. Seine Mutter, seine beiden jüngeren Brüder und weitere Angehörige lagen tot unter einem Ackerwagen. Er habe den Zwölfjährigen herausgezogen, der beide Beine gebrochen hatte und ins Krankenhaus gebracht werden musste, erzählte Max Burghausen 2014.
„In der Scheune bei Familie Turnier lagen die Toten auf dem Stroh, darunter auch Frau Goldmann mit ihren beiden Jüngsten“, erinnerte sich Zeitzeuge Werner Köhler im August vor zehn Jahren. Bei der Familie Fried in Naundorf sei die ukrainische Erntehelferin ums Leben gekommen, während Tochter Lotti überlebt habe. „Es war einfach nur schrecklich“, sagte Werner Köhler.