Das blaue Wunder Das blaue Wunder: Wissenschaftler der Hochschule Anhalt in Köthen arbeiten an besonderem Bier

Köthen - Es gibt Dinge, die stehen einfach fest. Die sind quasi Naturgesetz. Dass deutsches Bier eine goldgelbe Farbe hat, beispielweise, ist nicht erst seit dem Reinheitsgebot in Stein gemeißelt. Oder – war es, muss man sagen. Jedenfalls dann, wenn man am Tag der offenen Hochschultür am vergangenen Samstag die Halle 63 am Hubertusteich besuchte und dort ein Bier von blauer Farbe getrunken hat.
Nun hat dank diverser Farben aus dem Chemiebaukasten schon so manches Lebensmittel plötzlich ungewöhnliche Colorierungen erlebt. Das kann man, übertrieben gesprochen, faktisch im Hobbykeller zusammenmixen. Das blaue, noch namenlose Bier der Hochschule hingegen ist ein Werk der Wissenschaft. Denn Professor Jean Titze und Professor Carola Griehl haben in dem ungewöhnlichen Getränk die Möglichkeiten der Brau- und der Algentechnologie buchstäblich zusammenfließen lassen.
Lebensmitteltechnologie ist „eine innovationsgetriebene Branche“
„Wir haben schon vor Monaten damit begonnen, darüber nachzudenken, gemeinsam etwas zu machen“, sagt Jean Titze. Aus gutem Grund: Nicht nur, dass beide Professoren aus dem Fachbereich 7 der Hochschule Anhalt zu den kreativsten Köpfen des Landes in Biochemie und Lebensmitteltechnologie zählen.
Dazu kommt, dass die Lebensmitteltechnologie „eine innovationsgetriebene Branche“ (Titze) ist, dass man immer intensiver an einer Vision von „sauberen Lebensmitteln“ arbeitet. Ohne künstliche Zusätze.
Das gereifte Ergebnis in Köthen ist ein Bier – wenn man es denn am Ende noch so nennen wird -, das unter Verwendung der Alge Spirulina blau aus dem Zapfhahn strömt. Spirulina ist eine Blaualge, dem Leser eher als Ärgernis in sommerlich warmen Badeseen bekannt.
Der Stoff aus dem die blaue Farbe ist, heißt Phycocyanin und kommt aus der Natur
Unter Fachleuten haben die Cyanobakterien einen viel besseren Ruf. „In den 70-er Jahren wurden sie als Zukunftslebensmittel angepriesen“, sagt Prof. Griehl. Sie kennt Spirulina besser als jeder andere weit und breit, denn die Alge zum Bier wird in Griehls Köthener Forschungsreich produziert.
Der Stoff aus dem die blaue Farbe der Spirulina ist, heißt Phycocyanin und er kommt in der Natur ausschließlich in Algen vor. Es handelt sich bei Phycocyanin um einen wasserlöslichen Proteinfarbstoff. Um ihn fürs Bier zu nutzen, muss die Spirulina in einem Glasbehälter zusammen mit Glasperlen und wässriger Lösung aufgeschüttelt werden, bis sich das in der Zellwand befindliche Chlorophyll herausgelöst hat. Dann wird der blaue vom grünen Farbstoff getrennt – mit Aceton und ein bisschen Kochsalz.
Was nach dem Filtern übrigbleibt ist ein natürlicher Stoff, mit dem man Lebensmittel blau färben kann und der ein wahres Gesundheitswunder ist, wie die Informationstafel in Halle 63 ausweist – immunstimulierend, entzündungshemmend, antikarzinogen.
Die noch anstehenden Aufgaben in Sachen Hopfen, Malz und Algen sind anspruchsvoll
Das ist von der natürlichen Qualität her ein ganz anderes Kaliber als das so genannte Brillantblau FCF, ein Zusatzstoff, der unter der Kennung E 133 bislang als Lebensmittelfarbe verwendet wurde, etwa in der Spirituosenherstellung oder für Mundspülungen oder Süßigkeiten. Brillantblau ist – wenngleich für die Lebensmittelproduktion zugelassen - pure Chemie, Phycocyanin reine Natur.
Das blaue Wunder ist allerdings derzeit noch eher grünblau. Was Griehl und Titze mit professioneller Gelassenheit nehmen. „Wir sind im Forschungsstadium“, sagt die Professorin und der Brau-Experte Titze verweist darauf, dass man erst vor wenigen Wochen damit begonnen habe, am „Algenbräu mit Spirulina-Extrakt“ zu arbeiten. Mit anderen Worten: Auch wenn das blaue Bier - selbst getestet - schon jetzt gut schmeckt, bis zu dem Punkt, den Carola Griehl und Jean Titze ansteuern, ist es noch ein weiter Weg, über dessen zeitliche Dimension Titze nicht einmal spekulieren will.
Die noch anstehenden Aufgaben in Sachen Hopfen, Malz und Algen sind allerdings auch anspruchsvoll: „Wir arbeiten daran, dass der Farbstoff im Bier stabil bleibt“, sagt Jean Titze. „Wir kriegen das noch richtig blau“, sind beide sicher – auch wenn Goethes Farblehre dem ein wenig entgegensteht: Kommt Blau zu Gelb folgt Grün.
Der Kunde muss mit dem Bier aus Köthen immer den gleichen Blauton bekommen
Ergo: Weniger Gelb, mehr Blau. „Das Einhalten der Produktstabilität ist nicht nur im Hinblick auf das gewährte Mindesthaltbarkeitsdatum schwierig“, beschreibt Jean Titze. Auch die Gewährleistung einer wiederholbaren Bierqualität von Sud zu Sud müsse bedacht werden.
Der Kunde muss mit dem Bier immer den gleichen Blauton bekommen. Mit anderen Worten: Das Ziel verlangt noch einige Experimente, nicht nur zur Farbe, sondern beispielsweise auch was den Schaum und seine Konsistenz angeht. Das Ziel heißt: Ein stabiles Produkt. Ein dem Lebensmittelrecht entsprechendes marktreifes blaues Bier, das es so in den europäischen Gaststätten und Getränke-Handlungen noch nicht gibt. Und da die Hochschule als Produzent höchstens für homöopathische Dosen auftreten kann, sucht man parallel den Schulterschluss mit Brauereien. „Wir sind offen für Kooperationspartner“, unterstreicht der Brau-Professor.
Er und Carola Griehl sind zuversichtlich, dass ihr „tolles Produkt“ in der Innovationsbranche mehr als nur beiläufiges Interesse finden wird. „Feinherb und erfrischend blau“ hat es bei einem Algenworkshop am 14. Mai an der Hochschule sozusagen den ersten Praxistest mit Bravour gemeistert. Die Teilnehmer der Tagung zum Thema „Sachsen-Anhalt – Zentrum der Algenbiotechnologie in der Metropolregion“ genossen bei einem Empfang den Gersten-Spirulina-Saft in vollen Zügen. „Der Sekt ist schal geworden“, erinnert sich Carola Griehl, „weil alle unser Algenbier getrunken haben.“ (mz)
