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Anhalt-Bitterfeld Anhalt-Bitterfeld: Mit dem Zaunkönig als Nachbar

Von UTE HARTLING-LIEBLANG 26.08.2010, 19:07

KÖTHEN/MZ. - Ohne Garten könnten sich Marita (71) und Horst (70) Hauptvogel ihr Leben nicht vorstellen. Zwischen Astern, Himbeeren und Schwarzwurzeln fühlen sie sich wohl. Die Liebe zur Natur sieht man ihrer Parzelle an. Kein Unkräutchen verunziert den Gartenweg. Links und rechts blüht es in allen Farben. "Am 15. Mai haben wir hier im "Sonneneck" unser Einjähriges gefeiert", erzählt die 71-jährige Köthenerin. "Manchmal sind wir bis spät abends hier draußen."

40 Jahre lang haben die Hauptvogels einen Kleingarten in der Sparte "Hohe Brücke" bewirtschaftet. Mit zunehmendem Alter wurde ihnen der Weg mit dem Fahrrad quer durch die Stadt zu weit. Daher haben sie sich in der Sparte "Sonneneck" nach einem Ersatzgarten umgeschaut und ihn auch gefunden. Nun sind es nur wenige Schritte von ihrer Wohnung im Wohngebiet Rüsternbreite, und die beiden Rentner sind im Grünen. "Das hätten wir schon früher machen sollen", sagen sie. "Wenn ich beim Kochen mal schnell noch Petersilie brauche, bin ich im Nu im Garten", nennt Marita Hauptvogel nur einen Vorteil. Wenn die Beiden von ihrer Wohnung im Neubaublock aus auf die kleine Anlage blicken, erfreuen sie sich zusätzlich an den blühenden Parzellen.

Unvorstellbar, dass es die Anlage einmal nicht mehr geben könnte, findet auch Liane Schöne, die seit zehn Jahren einen Garten im "Sonneneck" bewirtschaftet. Insgesamt gibt es hier 23 Gärten. Im vergangenen Jahr bestand die Anlage, die sich zwischen den Hochhäusern ringsum etwas versteckt, 25 Jahre. Anfangs waren es einzelne Hausgärten, die hier mit den Neubaublocks aus dem Boden wuchsen und eine schöne Ergänzung zum städtischen Grün in diesem Wohngebiet sind. Ein richtiges kleines Vogelparadies hat sich entwickelt: "Grün- und Buntspechte, Zaunkönige, Grünfinken sowie Blau- und Kohlmeisen fühlen sich hier heimisch", zählt Liane Schöne auf. Auch Hummeln, Bienen und Schmetterlinge fanden einen Lebensraum.

Und dennoch wird diese Idylle zwischen den Neubaublocks in jüngster Zeit durch schlechte Nachrichten getrübt. Nachdem sich der Vorstand der Sparte Hals über Kopf verabschiedete, sind die Gartenfreunde im "Sonneneck" sozusagen "kopflos". Inzwischen haben auch sechs Gartenbesitzer ihre Kündigung eingereicht, erfuhr die MZ bei einem Besuch in der Anlage. "Viele geben den Garten aus Altersgründen auf", sagt Liane Schöne. Wünschen würde man sich, dass junge Leute nachfolgen. Bei einem Arbeitseinsatz haben sich die Mitglieder im "Sonneneck" erst kürzlich einige der Brachflächen vorgenommen und in Ordnung gebracht. Zu den Wäscheplätzen des Wohngebietes hin sollen keine neuen Gärten entstehen, ist man sich einig. Die liegen zu sehr im Blick der Öffentlichkeit. Aber es gibt genügend leer stehende Gärten, die einen neuen Besitzer suchen. In Kürze soll auch wieder ein neuer Vorstand gewählt werden, dann ist auch dieses Problem beseitigt, hofft Liane Schöne, die die Funktion der Kassiererin in der Sparte ausübt und auch beibehalten will.

Doch was wäre, wenn die Sparte keinen Bestand hätte? "Dann müsste sozusagen alles hier abgebaut werden, Bäume, Zäune, Wege, alles müsste raus", sagt die Kassiererin. Doch daran wollen die Gartenfreunde im Moment nicht denken. Sie hoffen, dass auch andere Bewohner der Rüsternbreite ihr Herz für einen der Kleingärten vor der Haustür entdecken. Zwischen 100 und 240 Quadratmeter sind die Gärten groß. Inzwischen sei es laut Satzung auch möglich, hier kleine Holzlauben und Geräteschuppen zu errichten. Selbst Platz für Sandkasten oder Planschbecken sei vorhanden, werben die Leute vom "Sonneneck". Blumen und Kräuter müssten nicht mehr nur auf dem beengten Balkon angebaut werden. Wer Interesse hat, kann einfach einmal in der kleinsten Köthener Gartensparte vorbeischauen und sich selbst ein Bild machen.

Leider ist das Problem des "Sonneneck" kein Einzelfall, bedauert die Vorsitzende des Kreisverbandes der Gartenfreunde, Regina Vieth. Etwa 30 Mitglieder verlassen den Verband jedes Jahr, vor allem aus Altersgründen. 2009 zählte der Verband noch 3008 Mitglieder. Von den ursprünglich 61 Anlagen im Altkreis Köthen musste bereits eine, die in Porst, dicht machen.

Interessieren sich nicht genügend junge Leute für einen Kleingarten, dann könnte das Porster Schicksal über kurz oder lang auch andere Anlagen betreffen, befürchtet Vieth.